Brüderliches Treffen zweier Antipoden
Jorge Mario Bergoglio war noch nie in den USA; doch nun reist er als kirchliches Oberhaupt, als Papst Franziskus, an. Mit seiner Kapitalismuskritik hat er schon vorab für reichlich Debattenstoff gesorgt, und die illegalen Zuwanderer setzen große Hoffnung
Es sei ein „brüderliches und sehr entspanntes“Treffen zwischen dem Heiligen Vater und Kubas atheistischem Ex-Präsidenten Fidel Castro gewesen, hieß es am Montag nach dem Gespräch der beiden Männer aus dem Vatikan. Schon bei seiner Ankunft am Sonntag hatte Papst Franziskus dem 89-jährigen früheren kommunistischen Revolutionsführer seine „spezielle Achtung“versichert – später, bei einer Messe, aber auch davor gewarnt, statt Menschen Ideologien zu dienen. Franziskus, der heute, Dienstag, in die USA weiterreist, hat die jüngste Annäherung zwischen Washington und Havanna unterstützt.
Esmeralda Dominguez hofft auf den Papst. Sie ist eine von 100 Frauen, die 100 Meilen marschieren, um am Mittwoch vor dem Weißen Haus zu stehen, wenn der Papst dort empfangen wird. Von York, einer Kleinstadt in Pennsylvania, geht es nach Washington, um auf die paradoxen Folgen einer vom Kongress verschleppten Reform des Einwanderungsrechts aufmerksam zu machen.
Dominguez, selbst US-Staatsbürgerin, wartet in Denver seit vier Jahren darauf, dass ihr Ehemann Jesús, einst über die Grenze aus Mexiko gekommen, eine Aufenthaltsgenehmigung erhält. An Krebs erkrankt, konnte sie eine Weile keiner Arbeit nachgehen, sodass ihr Mann die Familie irgendwie über die Runden bringen musste. Der Pontifex, hofft sie, möge deutliche Worte finden zum Dilemma von elf Millionen Menschen, die ohne gültige Papiere eingewandert sind, aber schon seit Jahren im Land leben, ohne die Grauzone verlassen zu können. Dass es nicht um Statistiken geht, sondern um menschliche Schicksale, solle er sagen.
So wie Dominguez bauen viele auf Jorge Mario Bergoglio, dessen Vater 1929 von Italien nach Buenos Aires kam und der die Biografien von Migranten allein schon aufgrund seiner Familiensaga ver- stehen sollte. Mit ihm verbindet sich die Hoffnung, dass eine moralische Autorität die Amerikaner in einem Moment, in dem Donald Trump mit Sprüchen von Massendeportation und Mauerbau Kapital aus einer latenten Verunsicherung schlägt, an den Kern ihrer Geschichte erinnert. „Daran, dass es Migranten und Flüchtlinge waren, die dieses Land aufgebaut haben“, wie es Eusebio Elizondo, Weihbischof in Seattle, in einem offenen Brief formuliert.
Besuche seit 1965
Franziskus war noch nie in den USA. Den Anfang machte 1965 Paul VI., nachdem fünf Jahre zuvor mit John F. Kennedy erstmals ein Katholik ins Oval Office gewählt worden war. Der musste misstrauischen Landsleuten versichern, dass er vom Vatikan keinerlei Instruktionen bekomme. Während Johannes Paul II. zwischen 1979 und 1999 fünfmal unter Jubel durch die Republik reiste, ist die Erinnerung an den Besuch seines Nachfolgers Benedikt XVI. 2008 fast schon verblasst.
Franziskus nun reist in ein Land, in dem soziale Ungleichheit ein zentrales Debattenthema geworden ist, nicht nur die Wohlstandsschere zwischen Arm und Reich, sondern vor allem die wachsende Kluft zwischen Millionären und einer Mittelschicht, deren Realeinkommen seit einer Generation stagniert.
Er kommt in ein Land, in dem der linke Demokrat Bernie Sanders – zunächst belächelt, heute ernsthafter Anwärter auf eine Präsidentschaftskandidatur – Stadien füllt, wenn er mit der Rhetorik von Occupy Wall Street von den 99 Prozent spricht, die von dem einen Prozent abgehängt würden.
In den Reihen der Republikaner wiederum gibt es Stimmen, die nicht nur Sanders, sondern auch Franziskus vorwerfen, die Realität zu verzerren. Newt Gingrich, in den 1990er-Jahren der führende Konservative im Parlament, zitiert Worte, mit denen der Pontifex neulich in Bolivien das kapitalistische Wirtschaftssystem charakterisierte, aber nur, um heftig zu widersprechen. „Die Mentalität des Profits um jeden Preis, ohne Rücksicht auf soziale Ausgrenzung oder die Zerstörung der Natur … Das sind nicht die Vereinigten Staaten“, protestiert Gingrich. Vielmehr handle es sich um ein Wirtschaftssystem, das Kreativität und harte Arbeit belohne.
„Obamas Papst“
Manche Republikaner sprechen denn auch von „Obamas Papst“, weil eben alles, was in Washington geschieht, partout ins Raster der Parteipolitik gepresst werden muss. Ein Abgeordneter, Paul Gosar aus Arizona, denkt sogar öffentlich darüber nach, die päpstliche Rede im Kongress, die erste überhaupt, die ein Kirchenoberhaupt auf Capitol Hill hält, zu boykottieren.