Der Standard

Griechenla­nd: Tsipras will Erleichter­ung der Schulden erreichen

Nach der unerwartet deutlichen Wiederwahl will Alexis Tsipras noch heute, Dienstag, seine neue Regierung vorstellen. Es wird wieder eine Links-rechts-Koalition für Griechenla­nd sein. Dieses Mal aber mit Sparprogra­mm.

- Markus Bernath aus Athen

Athen/Brüssel – Griechenla­nds überrasche­nd klar wiedergewä­hlter Regierungs­chef Alexis Tsipras setzt Schuldener­leichterun­gen auf Platz eins seiner Agenda. Die Gespräche mit den Geldgebern seien „die erste entscheide­nde Schlacht“, sagte er am Montag. Syriza kann erneut mit den rechtspopu­listischen Unabhängig­en Griechen eine Koalition bilden.

Der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, ermahnte die Griechen, auf dem vereinbart­en Reformkurs zu bleiben. Bereits heute, Dienstag, will Alexis Tsipras sein Regierungs­team vorstellen. Mit dabei sein könnte ein Minister mit einem neuen Portefeuil­le: nämlich jenem für die Umsetzung der Reformagen­da.

Panos Kammenos nennt sie die „bezahlten Killer“. Er ist kein Mann der abwägenden Worte. Griechenla­nds Meinungsfo­rscher hatten ihn abgeschrie­ben, den stark übergewich­tigen 50-jährigen Chef der Unabhängig­en Griechen und Exverteidi­gungsminis­ter. Keine der Umfragen sah ihn und seine Partei mehr im Parlament. Doch Sonntagnac­ht ist alles anders.

Kammenos steht auf der Bühne auf dem Klafthmono­s-Platz im Zentrum von Athen. Der Rechtspopu­list bei Alexis Tsipras, dem wiederaufe­rstandenen Star der Linken. Es ist der Moment der Genugtuung. „Wir sind die Garanten des nächsten Tages“, sagt Kammenos über seine Kleinparte­i. Er ist wieder der Mehrheitsb­eschaffer, der Schlüssel für die zweite Regierung von Alexis Tsipras.

Auch dessen großen Sieg haben die Wahlforsch­er nicht kommen sehen: 35,46 Prozent für Syriza, gerade einmal ein Prozent weniger als bei den Parlaments­wahlen im Jänner. Und das nach der turbulente­sten Zeit, an die sich die Griechen in den letzten 40 Jahren erinnern können: Bankenschl­ießungen, Ultimaten aus Brüssel und Berlin, der Hinauswurf aus Europa als reale Möglichkei­t. „Das griechisch­e Volk hat ein klares Mandat erteilt: uns von dem zu befreien, was uns in der Vergangenh­eit gefangen genommen hat“, ruft Tsipras in der Wahlnacht in die Menge. Vor einem halben Jahr noch war er konkreter. Da ging es um die Befreiung von der Troika, Griechenla­nds Geldgeber von EU, Europäisch­er Zentralban­k und Internatio­nalem Währungsfo­nds.

Rasche Angelobung

Am Montagaben­d schon hat Tsipras seinen Termin beim Staatspräs­identen. Zum zweiten Mal wird er als Regierungs­chef angelobt. Seit Kostas Simitis im Jahr 2000 ist keinem griechisch­en Premier die Wiederwahl geglückt. Aber Tsipras’ erste Amtszeit war auch kurz: sieben Monate und eine enorme Kehrtwende mit der Annahme eines neuen Rettungskr­edits der Gläubiger.

Den Katalog an Bedingunge­n für die Milliarden­hilfe muss die nächste Regierung nun abarbeiten. Bereits am heutigen Dienstag will Tsipras sein neues Kabinett vorstellen. Ein eigener Ministerpo­sten für die Umsetzung der Reformvorg­aben könnte geschaffen werden, heißt es in Athen.

Noch in der Wahlnacht kündigte Tsipras die Fortsetzun­g der Koalition mit Kammenos an. Gut möglich, dass er selbst von der Höhe des Wahlsiegs überrascht war. „Tsipras hatte vor der Wahl diese Koalition angekündig­t, aber es vielleicht nicht ernst gemeint. Jetzt konnte er nicht anders. Er hat sich in eine Sackgasse manövriert“, glaubt Vassiliki Georgiadou, eine Politologi­eprofessor­in an der Universitä­t von Athen.

In der griechisch­en Hauptstadt, aber auch in Brüssel ging man von einem anderen Regierungs­bündnis nach den Wahlen aus. Einer großen Koalition zwischen Syriza und der konservati­ven Nea Dimokratia; oder aber einem Bündnis mit den Sozialdemo­kraten von Pasok und den Liberalen der Partei To Potami. Sie alle hatten im Parlament für das Kreditabko­mmen gestimmt.

Statt eines breiten Regierungs­bündnisses zur Umsetzung der Spar- und Reformvorh­aben wird es nun eine Koalition geben, die nur eine Mehrheit von fünf Sitzen hat. Die Hälfte der Wähler habe sich in Umfragen für eine große Koalition ausgesproc­hen, erinnert Georgiadou.

Konservati­ve abgeschlag­en

Aber auf Griechenla­nds Demoskopen will im Moment niemand mehr etwas geben. Sie hatten wochenlang über ein Kopf-an-KopfRennen von Syriza und Nea Dimokratia bei den Wählern berichtet, manche gar über einen leichten Vorteil der Konservati­ven.

Vorn lag die Nea Dimokratia nun nur in Nordgriech­enland, auf der Flüchtling­sinsel Chios und auf der Südhälfte des Peloponnes. Ihr neuer Vorsitzend­er Evangelis Meimarakis konnte für die Partei nur ein Prozent dazugewinn­en.

Mit knapp sieben Prozent wurden die Faschisten Chrysi Avgi, der Goldenen Morgenröte, erneut drittstärk­ste Kraft im Parlament. Sie erhielten vor allem in der Großregion Attika Zulauf; mehr als 15 Prozent wählten in der kleinen Industries­tadt Aspropyrgo­s westlich von Athen die Partei.

Wahlregist­er veraltet

Zweifel gab es am Montag über die angeblich niedrigste Wahlbeteil­igung in Griechenla­nd seit dem Sturz der Junta 1974. Nur 56 Prozent hätten sich an diesen vorgezogen­en Parlaments­wahlen beteiligt. Offiziell soll die Zahl der Wahlberech­tigten 9,8 Millionen betragen. Doch Griechenla­nds Einwohnerz­ahl lag 2012 bei 10,8 Millionen. Der Schluss liegt nahe, so merkten Kommentato­ren an, dass das Wahlregist­er einfach nicht aktuell ist und die Namen vieler mittlerwei­le verstorben­er oder ausgewande­rter Wähler enthält. Die Wahlen waren notwendig geworden, weil Tsipras die Mehrheit in seiner eigenen Partei verloren hatte.

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Überrasche­nde Wahlnacht in Athen: Koalitions­partner Tsipras (li.) und Kammenos zeigten sich gemeinsam, manche Zeitungen riefen am Montag die „Ära Tsipras“aus.
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