Gerhard Zeiler: Netflix braucht die TV- Sender
Turner-International-Boss Gerhard Zeiler ist heute, Dienstag, bei den Medientagen. Zuvor spricht der Medienmanager über die Macht von Bildern und „goldene“TV-Zeiten.
Standard: Ob Medien Fotos wie jenes des toten Flüchtlingskindes am Strand zeigen sollen, ist Gegenstand heftiger Debatten. Wie geht CNN mit solchen Bildern um? Zeiler: Ich kann nur meine eigene Meinung wiedergeben. Das Foto des dreijährigen Buben am Strand vergleiche ich mit dem des Mädchens im Vietnamkrieg, das gerade einen Napalm-Angriff überlebt hat. Transportiert man mit solchen Bildern eine Botschaft und zeigt es nicht nur aus Sensationsgründen, dann kann man damit darstellen, was in Europa heute passiert. Am augenscheinlichsten hat es die Bild- Zeitung gemacht. Sie hat die gesamte letzte Seite diesem Foto gewidmet. Mit einem Text, der dem Sinn nach sagt: „Wenn das die Werte Europas sind, dann machen wir etwas falsch.“
Standard: Weil Sie die „Bild“als positives Beispiel erwähnen ... Zeiler: Ich hab eine Seite der Zeitung als positives Beispiel dafür erwähnt, wie man etwas mit maximaler Botschaft erreichen kann. Das habe ich in den letzten zwei Wochen in nicht vielen anderen Medien so deutlich gesehen. Das hat mich berührt, da sage ich: Chapeau, so stelle ich mir engagierten Journalismus vor.
Standard: Die „Bild“-Zeitung hat der „Kronen Zeitung“ein Foto abgekauft, auf dem tote Flüchtlinge in einem Lkw zu sehen sind – zugespielt aus Polizeikreisen. Würden Sie das auch zeigen? Zeiler: Ich habe das Foto nicht gesehen, aber ich denke, damit würde ich mir schwerer tun. Meistens werden solche Entscheidungen erst nach intensiver Diskussion getroffen. Deshalb sollte man nicht so schnell mit dem erhobenen Zeigefinger wedeln, auch wenn man anderer Meinung ist.
Standard: Viele Leser haben das gemacht, indem sie sich an den Presserat gewandt haben. So viele Beschwerden gab es noch nie. Zeiler: Es gibt für mich einen Unterschied zum Foto mit dem Buben. Das wurde in einen Kontext gesetzt.
Standard: Welche Rolle spielt es, dass der „Krone“das Foto aus Polizeikreisen zugespielt wurde? Zeiler: Viele Medien, und wohl alle Chronikjournalisten, pflegen einen sehr guten Draht zu Polizeidienststellen. Ob Deutschland, Luxemburg, England oder Österreich, das ist überall gang und gäbe, ob man das gut findet oder nicht.
Standard: Das goldene Zeitalter der TV-Werbung scheint vorbei, Streamingdienste gewinnen Marktanteile: Wie reagiert Turner? Zeiler: Wir befinden uns im goldenen Zeitalter des Fernsehens. Nie wurde besseres Fernsehen angeboten, nie wurde mehr ferngesehen: Der lineare TV-Konsum geht seit 2013 leicht zurück, aber wenn sie all die anderen Endgeräte dazuzählen, auf denen ferngesehen wird – ob Smartphone, iPad oder Laptop – dann steigt der Fernsehkonsum deutlich. Klar ist aber auch: In Zukunft wird die Werbung nicht mehr alles bezahlen, was Medienunternehmen leisten, und deswegen brauchen wir auch andere Umsatzströme. Kabel- und Satellitengesellschaften zahlen unseren Sendern etwas dafür, dass sie transportiert werden. Standard: Netflix und Amazon investieren viel in Eigenproduktionen. Welche Antwort hat Turner? Zeiler: Netflix hat bisher etwa 20 Serien selbst produziert, und damit nur einen Bruchteil des Programms, das es braucht, um den Markt zu durchdringen. Den Rest kauft Netflix bei uns, den Turners und Disneys dieser Welt, ein. Insofern sind TV-Stationen ein großer Teil des Angebots von Netflix, Hulu und Amazon. Wir partizipieren an diesem Geschäftsmodell.
Standard: Sie sehen das nicht als Gefahr, sondern als zusätzliche Einnahmequelle? Zeiler: Natürlich sind das auch Konkurrenten. Es gibt einen Wettbewerb um die Kreativen, um das Zeitbudget der Konsumenten. Wir beobachten, was Netflix und Amazon tun, aber derzeit braucht Netflix uns Medienunternehmen mehr als wir sie.
Standard: Reizt Sie der ORF noch einmal? Zeiler: Der ORF war vor fünf oder sechs Jahren eine Überlegung, aber das ist vorbei. Ich habe einen tollen Job, den ich seit dreieinhalb Jahren mache und der mich neue Märkte, neue Kontinente, neue Kulturen, neue Menschen kennenlernen lässt und mich trotzdem jedes Wochenende nach Hause, nach Österreich, reisen lässt. Das wird der Abschluss meiner Medientätigkeit.
Standard: ORF nein, Politik ja? Sie gelten als Kanzlerreserve der SPÖ. Zeiler: Diese Frage musste kommen, und Sie werden nicht überrascht sein, dass ich dieses Thema nicht kommentiere.
GERHARD ZEILER (60) war ORF-Generalintendant und CEO der RTL-Group. Als Chef von Turner Broadcasting System International, der TV-Sparte von Time Warner, verantwortet er die Auslandsaktivitäten der Senderkette, darunter jene von CNN International. pLangfasssung: derStandard.at/Etat