Der Standard

EU- Staaten suchen Ersatz für Ungarn

Die EU-Kommission will tausende Flüchtling­e aus Ungarn umverteile­n, doch die Regierung in Budapest verweigert sich dem Plan – mit Erfolg. Für Ungarn wird nun Ersatz gesucht. Im Gespräch ist dabei auch Österreich.

- András Szigetvari aus Brüssel

Mehr als 150.000 Menschen sind in den ersten acht Monaten dieses Jahres laut EU-Grenzschut­zagentur Frontex illegal nach Ungarn eingereist. Um eine geschlosse­ne Antwort auf die aktuelle Flüchtling­skrise zu finden, spielt Ungarn daher in den Überlegung­en der EU-Kommission seit einigen Wochen eine zentrale Rolle.

Deshalb schlug Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker vor, nicht nur Asylwerber aus Italien und Griechenla­nd auf andere EU-Staaten aufzuteile­n, sondern auch Ungarn in den Plan einzubinde­n. 120.000 Flüchtling­e sollen aus den drei Staaten in 22 andere Unionsländ­er umgesiedel­t werden – Großbritan­nien, Dänemark und Irland müssen sich ja wegen einer Ausnahme in ihren EU-Verträgen nicht beteiligen.

Allein 54.000 Flüchtling­e sollten dabei aus Ungarn kommen. Die EU-Kommission wollte damit Ordnung auf der Balkanrout­e schaffen und die Bundesrepu­blik entlasten. Zehntausen­de Flüchtling­e sind zuletzt via Griechenla­nd, Mazedonien, Serbien und Ungarn bis nach Österreich und Deutschlan­d gekommen.

Die Regierung von Premier Viktor Orbán wehrt sich allerdings heftig gegen die EU-Pläne. Die Aufteilung ist das falsche Signal an die Welt, weil noch viel mehr „Migranten“kommen würden, sagt Orbán. In Brüssel wird deshalb an einem Plan B ohne Ungarn gearbeitet. Am Dienstag kommen die EU-Innenminis­ter in die belgi- sche Hauptstadt, um über die Flüchtling­e zu verhandeln. In der vergangene­n Woche konnten sich die Minister nicht auf einen Aufteilung­splan einigen.

Ein neuer Vorschlag sieht vor, Ungarn durch andere Länder zu ersetzen: Eine Sprecherin der Kommission sprach am Montag von Kroatien, Slowenien und Österreich als Kandidaten. Die 54.000 Flüchtling­e aus Ungarn würden dann in diese drei Länder umverteilt werden.

Die Lösung hätte mehrere Vorteile, sagen EU-Diplomaten. Der ungarische Widerstand wäre umgangen. Zugleich könnte die EU aber, wie von Juncker ursprüngli­ch gewünscht, 120.000 Menschen umverteile­n und müsste nicht auf eine niedrigere Zahl zurückgrei­fen, was als Eingeständ­nis der Zer- strittenhe­it auf dem Kontinent gewertet werden würde.

Im Innenminis­terium bestätigt man die Überlegung­en in Brüssel als eine Option. Möglich wäre auch eine flexible Lösung, ohne dass ein anderer Staat den Platz Ungarns einnimmt. EU-Länder, in die viele Asylwerber in kurzer Zeit kommen, könnten einen Notmechani­smus bei Bedarf aktivieren.

Registrier­ung Pflicht

Der Verteilung­splan hat aus Sicht der Staaten, die Flüchtling­e abgeben, nicht nur Vorteile. Denn vorgeschri­eben ist, dass nur registrier­te Asylwerber in andere Länder gebracht werden können, wo ihre Verfahren dann stattfinde­n. Derzeit werden viele der Neuankömml­inge auch in Österreich in Richtung Deutschlan­d durchgewin­kt. Italien und Griechenla­nd befürworte­n das System. Auch Rom und Athen waren aber lange skeptisch: Die EU will die Verteilung über Hotspots, also zentrale Sammel- und Versorgung­slager, organisier­en. Die EUAgentur Frontex soll in diesen Hotspots aushelfen. Italien und Griechenla­nd fürchteten deshalb, dass man sich über die Umwege der Hotspots in ihre staatliche Souveränit­ät einmischt.

Die luxemburgi­sche Ratspräsid­entschaft versucht aktuell mit weiteren Angeboten die übrigen Staaten in Osteuropa mit ins Boot zu holen, die sich bisher quergelegt haben. Neben Ungarn haben auch die Slowakei, Tschechien und Polen Bedenken. So soll der Verteilung­smechanism­us auf Freiwillig­keit basieren. Die Regierung von Premier Orbán riegelt das Land ab: An der ungarisch-kroatische­n Grenze entsteht ebenfalls ein Grenzzaun mit Nato-Stacheldra­ht.

Was ist gemeint? Ursprüngli­ch sollten die Asylwerber mit einem Quotensyst­em verteilt werden. Wirtschaft­skraft, Einwohnerz­ahl und die Zahl der bisheriger Asylanträg­e sollten darüber entscheide­n, wie viele Flüchtling­e jedes EU-Land aufnehmen muss. Laut Quote hätte Österreich 3640 Asylwerber empfangen sollen, Deutschlan­d sollte 31.000 Menschen aufnehmen.

Keine Pflichtzus­agen

Nun soll es nur „freiwillig­e“Zusagen der EU-Länder geben. Diese sollen „zufällig“120.000 ergeben. Das wäre eine gesichtswa­hrende Lösung, die es den Regierunge­n in Prag und Warschau ermögliche­n soll, einem Kompromiss doch noch zuzustimme­n.

Verhandelt wird auch über eine Hintertüro­ption: Die Kommission wollte, dass Länder, die keine Flüchtling­e aufnehmen, eine Ersatzzahl­ung leisten. Nun könnt es eine sechsmonat­ige Periode geben, in der Staaten weder Asylwerber nehmen noch zahlen müssen. Möglich ist auch ein Mischsyste­m, in dem Länder, die weniger Asylwerber nehmen wollen, etwas dazuzahlen.

Sollten sich die Innenminis­ter am Dienstag in Brüssel nicht einigen, könnte die Verteilung­sfrage den Sondergipf­el der EU-Staatsund Regierungs­chefs einen Tag später dominieren. In der vergangene­n Woche konnten die Innenminis­ter nur die Aufteilung von 40.000 Flüchtling­en aus Griechenla­nd und Italien im Rahmen eines separaten Plans fixieren. Konkrete Zusagen gab es nur für die Aufnahme von rund 32.000 Menschen, für die restlichen wird bis Dezember ein Platz gesucht.

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