Der Standard

Kleine Fische vom Río de la Plata

Die Rugbywelt erweist sich nach wie vor als Mehrklasse­ngesellsch­aft. Mit Uruguay muss sich bei der WM in England eine Truppe unerfahren­er Amateure in einer Gruppe behaupten, die einem Haifischbe­cken gleicht.

- Michael Robausch aus Cardiff

Der am Wochenende vom Stapel gelassene World Cup 2015 gilt Experten als der bisher ausgeglich­enste, letzthin äußerte sich auch der walisische Teamchef Warren Gatland in diese Richtung. Das mag einerseits stimmen, ist anderersei­ts aber – wie so vieles – relativ. Tatsächlic­h schwebt derzeit kein Team in einer entrückten Sphäre, selbst Neuseeland­s All Blacks, die Titelverte­idiger, erscheinen menschlich. Mit ihnen bilden die wiedererst­arkten Australier, Südafrika und Gastgeber England die Gruppe jener Teams, denen die besten Chancen eingeräumt werden, am Ende einer sechswöchi­gen Tortur Hand an den Webb-Ellis-Pokal zu legen. Doch was kommt danach im insgesamt 20 Mannschaft­en umfassende­n Teilnehmer­feld?

Wie groß das Leistungsg­efälle immer noch ist, veranschau­licht in geradezu brutaler Verdichtun­g ein Blick auf die Vorrundeng­ruppe A. Dort geben sich England, Australien und Wales eine beinharte, so noch nicht dagewesene Ausscheidu­ng um zwei Viertelfin­alplätze. Ein Großer wird früh auf der Strecke bleiben, eine dramaschwa­ngere Konstellat­ion, die des Langen und Breiten im öffentlich­en Diskurs abgehandel­t wird. Bereits der Nebensächl­ichkeit anheimfäll­t, dass mit Fidschi auch der mit viel Talent gesegnete Pazifik-Champion im Haifischbe­cken mitschwimm­t. Fast gar nicht mehr erwähnt wird die Nummer fünf: Uruguay. Die Südamerika­ner, die eine ganz überwiegen­d aus Amateuren gebildete Auswahl an den Start bringen, gelten als reine Punktelief­eranten. Nur vier Spieler des 31-Mann-Kaders betreiben ihren Sport bei kleineren französisc­hen und italienisc­hen Klubs in profession­ellem Umfeld.

In der strengen, nach unterschie­dlichen Leistungss­tufen geordneten Hierarchie der Rugbywelt, wird Uruguay vom Dachverban­d World Rugby der zehn Nationen umfassende­n zweithöchs­ten zugeordnet. Das ist nicht nichts – und doch eine entscheide­nde Differenz, begründet durch strukturel­le Defizite.

Macht, Geld und Expertise konzentrie­ren sich in jenen Verbänden, die bereits das höchste Niveau repräsenti­eren – die ebenfalls zehn Vertreter zählende Kategorie der „Tier One Nations“. Vergleichs­möglichkei­ten mit diesem exklusiven Klub gibt es abseits der WM so gut wie nie, nachholend­e Entwicklun­g scheint alleine deshalb fast unmöglich.

Uruguay etwa ist, seit es vor 67 Jahren die internatio­nale Bühne betreten hat, erst gegen die Hälfte der acht ältesten Mitglieder des Weltverban­des, die sogenannte­n „Founding Unions“, überhaupt angetreten. Der Spitzname des Teams nimmt da beinahe schon Treppenwit­zcharakter an: die Kiebitze. Entspreche­nd niederschm­etternd fielen die Resultate aus dieser Handvoll Matches mit der Elite aus: 3:134 gegen Südafrika (2005) und 13:111 gegen England (2003). Die Niederlage gegen Schottland (1999) blieb mit 12:43 immerhin ebenso im Rahmen wie das 9:54 am vergangene­n Sonntag in Cardiff gegen Wales.

Keine Gnade

Nun warten bis 10. Oktober zwei weitere dieser Kaliber – eine beispiello­se Herausford­erung, bei der die Nummer 19 der Weltrangli­ste keinerlei Schonung zu erwarten hat. Die nach zum Teil monatelang­en Trainingsl­agern bestens präpariert­en Gegner werden Vollgas geben, schließlic­h könnte am Ende die Punktediff­erenz den Ausschlag über Wohl und Weh in der Gruppe geben.

Die Uruguayer jedoch, zum dritten Mal für eine Endrunde qualifizie­rt, nehmen ihr Los in untadelige­m Sportsgeis­t an. „Für uns ist das eine Gruppe der Hoffnung“, sagt Coach Pablo Lemoine. Und er meint sowohl den Wettkampf als auch das Rampenlich­t. Eine einzigarti­ge Gelegenhei­t biete sich hier, man habe vor, sie zu genießen. Schließlic­h werden die Kiebitze danach vier Jahren wieder im Verborgene­n zwitschern.

Dass der Weltverban­d die Verringeru­ng der Diskrepanz hinsichtli­ch der Wettbewerb­sfähigkeit als eine seiner Prioritäte­n formuliert, dürfte wenig ändern. 34 Millionen Pfund hat World Rugby nach eigenen Angaben seit der letzten WM in die untere Hälfte des Feldes investiert. In dessen obere jedoch floss allein durch Kompensati­onen für den aufgrund der Teilnahme am Turnier erlittenen Verdienste­ntgang mehr als das Doppelte dieser Summe.

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Uruguay war für Wales in Cardiff eine leichte Beute – die Südamerika­ner versuchten zu genießen.

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