Der Standard

Der Trotz der Griechen

Alexis Tsipras hat ein doppeltes Mandat: Sparprogra­mm, aber auch mehr Fairness

- Markus Bernath

Alexis Tsipras war kein Versehen. Der zweite spektakulä­re Wahlsieg des Linkspolit­ikers zeigt: Die Griechen haben ein neues Kapitel aufgeschla­gen. Sie wollen nicht mehr ihre alten Politiker. Denen fiel nie ein, Verantwort­ung für die Zerrüttung des griechisch­en Staates zu übernehmen. Die Griechen wollen aber auch nicht länger von den Euroländer­n und den Gläubigern bevormunde­t werden. Tsipras ist in Brüssel vorgeführt worden, er hat sein Wahlverspr­echen vom Ende des „Spardiktat­s“gebrochen, aber er steht immer noch. Er ist der Trotz der Griechen.

Doch sein Sieg ist mit vielen Problemen befrachtet – angefangen bei Tsipras selbst. Der griechisch­e Premier muss einen Reformkata­log abarbeiten, den die Geldgeber aufsetzten. Er soll Griechenla­nds Verwaltung „modernisie­ren“, sprich: auch Stellen kürzen. Er soll die Staatsfina­nzen mittelfris­tig auf ein Plus von 3,5 Prozent der Wirtschaft­sleistung bringen. Er soll überhaupt die Wirtschaft wettbewerb­sfähig machen und den Markt liberalisi­eren. Alexis Tsipras mag sich weiter verbiegen, aber er ist nicht der Mann für radikale Wirtschaft­sreformen. Das Kreditabko­mmen wird Stückwerk bleiben – wie bisher schon.

Der nächste Konflikt mit den Gläubigern kommt. Er ist angelegt in diesem Wahlsieg, der „den Arbeiterkl­assen gehört“, wie Alexis Tsipras erklärte. In ein paar Monaten, vielleicht in einem Jahr wird Griechenla­nd wieder mit der Eurogruppe streiten, bis Land und Regierung wanken. riechenlan­ds Geldgeber hätten gern eine andere Koalition gesehen. Eine „proeuropäi­sche“, gebildet aus Parteien, die im Parlament in Athen im vergangene­n Juli das neue Kreditabko­mmen und die ersten Spargesetz­e getragen haben. Tsipras aber ging den einfachen Weg – wie schon im Jänner, nach dem ersten Wahlsieg. Die Populisten von links machen einen Handel mit den Populisten von rechts. Fünf Stimmen Mehrheit im neuen Parlament sind knapp bemessen für die Aufgaben, die Tsipras vor sich hat. Doch der kleine Koalitions­partner ist so folgsam und diskret, dass der linke Premier in Wahrheit allein regieren kann.

Die Herausford­erung des Alexis Tsipras liegt anderswo. Nicht im Abhaken der Spar- und Reformlist­e aus Brüssel, sondern im Ausbalanci­eren

Gmit Reformen der Gerechtigk­eit. Wenn Tsipras politisch überleben will, muss er Staat und Gesellscha­ft in Griechenla­nd auf den Kopf stellen: die praktische Straflosig­keit für Schmiergel­dkassierer von früher beenden, für Besitzer von Schwarzgel­dkonten, für Kartellabs­prachen im Handel. Er müsste den Nepotismus im Arbeitsleb­en auszurotte­n helfen, der verhindert, dass nur vorwärtsko­mmt, wer es verdient und sich qualifizie­rt.

Tsipras kennt die griechisch­en Krankheite­n. Er stammt aus der wütenden Jugend der griechisch­en Linken, die sich gegen die Unfairness auf- lehnt, nicht aus der klassische­n Linken von früher, die gegen das Militär gekämpft hat.

Nur wenige dieser Rechts- und Gesellscha­ftsthemen haben Tsipras und seine Minister in ihrer kurzen ersten Amtszeit in Angriff genommen. Vieles blieb Rhetorik, die Finanzverh­andlungen mit den Gläubigern haben die meiste Energie verbraucht.

Alexis Tsipras ist heute in einer vorteilhaf­ten Lage. Er ist der erste Premier seit Beginn der Schuldenkr­ise, der nicht einer massiven Protestbew­egung auf der Straße gegenübers­teht. Die Chance für Reformen hätte er.

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