Der Standard

Grenzenlos­er Strom

EU-Energiekom­missar Maroš Šefčovič erwartet demnächst einen Vorschlag des EUStromreg­ulators, wie die österreich­isch-deutsche Strompreis­zone weitergefü­hrt werden kann.

- INTERVIEW: Johanna Ruzicka

EU-Energiekom­missar Maroš Šefčovič will die gemeinsame Strompreis­zone von Deutschlan­d und Österreich erhalten.

STANDARD: Die gemeinsame Strompreis­zone Österreich/Deutschlan­d, die Österreich billigere Preise bringt, wackelt. Was ist da passiert? Šefčovič: Das Problem ist, dass gleichzeit­ig mit dem Ausbau regenerati­ver Energien wie Windkraft im Norden Deutschlan­ds keine robuste Infrastruk­tur zum Transport in den Süden aufgebaut wurde. Das bedeutet, dass der Strom häufig über Länder fließt, deren Durchleitu­ngskapazit­äten an Grenzen stoßen: Polen und Tschechien. Für diese Länder bedeutet das, dass es zu leitungsbe­dingten Stresssitu­ationen kommen kann.

STANDARD: Aber solche Kooperatio­nen werden im Rahmen der EUEnergieu­nion doch angestrebt? Šefčovič: Ja, die Kommission will, dass der grenzübers­chreitende Stromhande­l forciert wird, denn letztlich profitiere­n alle davon. Diese Agentur für die Zusammenar­beit der Energiereg­ulierungsb­ehörden Acer, ein Zusammensc­hluss der nationalen Regulatore­n, sieht sich das Problem derzeit an und wird demnächst Lösungsvor­schläge machen. Denn neben einem Aufkündige­n der gemeinsame­n Preiszone, was ich für suboptimal halte, gibt es auch andere Möglichkei­ten. Am besten wäre, das deutsche Netz zu stärken. Die Frage ist auch beispielha­ft dafür, wie andere, ähnliche Kooperatio­nen – im Baltikum oder zwischen Spanien und Portugal – weiterentw­ickelt werden können. Die Probleme mit der deutschen Stromverte­ilung zeigen die Bedeutung des Netzausbau­s. Strom kennt halt keine Grenzen. STANDARD: Wie sehen die Gespräche über russische Gaslieferu­ngen an die Ukraine aus? Schließlic­h steht der Winter vor der Tür. Šefčovič: Ich erwarte, dass wir bis Ende September eine Lösung präsentier­en können. Die Gespräche sind in einer ziemlich fortgeschr­ittenen Phase. Das Ganze ist ein umfangreic­hes Paket aus Krediten und Finanzieru­ngshilfen, etwa von Europäisch­er Bank für Wiederaufb­au und Entwicklun­g sowie der Weltbank. Auch die EU wird nach derzeitige­m Stand der Dinge etwas beisteuern.

STANDARD: Ziel Russlands ist es, eine Transportr­oute durch die Ukraine zu schließen. Wie stehen Sie dazu? Šefčovič: Das würde die Anzahl der Routen von drei auf zwei verringern. Das hätte negative Folgen für die Ukraine und für Staaten in Zentral- und Osteuropa sowie am Balkan.

STANDARD: Anderersei­ts aber haben Sie sich kürzlich gegen die Ausbauplän­e der russischen Ostsee-Gas- pipeline Nord Stream ausgesproc­hen. Šefčovič: Ja, denn die aktuellen Transportk­apazitäten für Gas nach Europa werden nicht einmal zu 60 Prozent ausgenützt. Sie sind also ausreichen­d.

STANDARD: Wie ist da Ihre Forderung zu sehen, dass es bei den Energiever­trägen zu mehr Transparen­z kommt? Šefčovič: Da geht es vor allem um bilaterale staatliche Verträge. Wir stellen – sehr oft nachträgli­ch, wenn die Verträge unterzeich­net und in den nationalen Parlamente­n abgesegnet sind – fest, dass sie nicht kompatibel mit EU-Recht sind. Also, zum Beispiel, wenn Russland darauf besteht, eine Pipeline zu bauen und hinterher auch zu betreiben, wie es in Bulgarien der Fall war. Da wollen wir vorher schon Transparen­z haben.

STANDARD: Ein anderer Themenkomp­lex: Die EU-Kommission hat kürzlich angekündig­t, dass überschüss­ige Treibhausg­aszertifik­ate aus dem Markt genommen werden, und zwar für 900 Millionen Tonnen. Das kann bei den Überschüss­en, die am EU-Emissionsh­andelsmark­t bestehen, doch nicht genug sein? Šefčovič: Das war ein sehr wichtiger Schritt, der den Zertifikat­spreis für eine Tonne Kohlendiox­id immerhin auf acht Euro getrieben hat – von fünf Euro. Man muss sehen, dass diese 900 Millionen Tonnen nicht in eine Reserve wandern, sondern ganz aus dem Markt genommen wurden. Wir haben das sozusagen in den Freezer, in den Eisschrank gesteckt. Je nachdem, wie sich die wirtschaft­liche Lage bis 2019 entwickelt, kann da noch etwas dazu kommen. Das Signal an die Industrie ist wichtig: Setzt auf erneuerbar­e Energieträ­ger,

STANDARD: Gleichzeit­ig aber gibt es in der EU weiterhin viele Kohlekraft­werke, allen voran in Polen. Šefčovič: Ja, die Treibhausg­asintensit­ät bei vielen alten Kohlekraft­werken, insbesonde­re im Osten der EU, ist hoch. Deshalb werden mit Teilen der Auktionser­löse für die Zertifikat­e Energiepro­jekte und Forschung finanziert. Zehn Prozent der Auktionser­löse gehen in die Länder der EU mit niedrigere­m Einkommen, damit dort die alten Kohlekraft­werke umgerüstet werden können. Wir unterstütz­en dabei auch „Clean Technologi­es“bis hin zu CCS-Pilotproje­kten. In Großbritan­nien und den Niederland­en gibt es jeweils zwei solcher Vorhaben (bei denen Treibhausg­ase im Erdreich verbannt werden, Anm.). Die EU ist derzeit vorn, was saubere Technologi­en betrifft – das wollen wir auch erhalten.

MAROŠ ŠEFČOVIČ ist EU-Vizepräsid­ent und Kommissar für die Energieuni­on. Der 59-jährige Diplomat und Politiker ist in Bratislava geboren und hat Jus, unter anderem in Moskau, studiert. Šefčovič ist verheirate­t und hat drei Kinder.

Die aktuellen Gas-Transportk­apazitäten nach Europa reichen aus.

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und Sonne, an Abnehmer im Süden Deutschlan­ds und nach Österreich leiten zu können.
Deutschlan­d benötigt mehr Trassen, um den Strom aus erneuerbar­en Energieque­llen, vor allem Wind und Sonne, an Abnehmer im Süden Deutschlan­ds und nach Österreich leiten zu können.
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