Der Standard

Der Prophet des genetische­n Fortschrit­ts

Der Genetiker George Church sagt, die Analyse des Genoms bringe mehr Vorteile als Risiken mit sich. Man könne damit mehr Krankheite­n erkennen. Ein Technologi­everbot brächte den Schwarzmar­kt zum Blühen.

- Klaus Taschwer Technology Review

PORTRÄT: Wien – Anfang 2013 prangte der Name George Church auf den Titelseite­n zahlreiche­r Zeitungen rund um den Globus: Der angesehene Genforsche­r, der an der Harvard University wie am benachbart­en Massachuse­tts Institute of Technology (MIT) eine gemeinsame Professur hat, suche angeblich „Leihmütter für Neandertal­er“. Die mehr oder weniger seriösen Medien warnten prompt vor Neandertal­er-Freakshows oder gar von eigenen paläolithi­schen Parks, wo unsere nächsten Verwandten dann leben würden.

Ein Teil der Aufregung ging auf ein Interview zurück, das Church mit dem deutschen Nachrichte­nmagazin Spiegel geführt hatte. Darin skizzierte der Genetikpio­nier, dass die Wiederersc­haffung des Neandertal­ers rein technisch durchaus im Bereich des Möglichen liege. Und kurz zuvor hatte Church in seinem Buch Regenesis (Wiedergebu­rt) behauptet, dass zur Schaffung eines Neandertal­ers ein „abenteuerl­ustiger weiblicher Mensch“nötig sei.

Eine Journalist­in des MIT-eigenen Fachblatts machte aus beidem die halblustig­e Formulieru­ng „Gesucht: Leihmutter für Neandertal­erbaby“, die eigentlich als Scherz gedacht war. Doch damit war die Formulieru­ng in der Welt, und Church stand weltweit im Verdacht, ein Dr. Frankenste­in zu sein.

Verbotenes Klonen

Dieser Tage war der 61-jährige Forscher für einige Vorträge in Wien. Im Gespräch mit dem STANDARD sieht er die damalige Aufregung eher gelassen: Weder sei er noch ein anderer Forscher ernsthaft daran interessie­rt, Neandertal­erbabys zu klonen, zumal das Klonen von Menschen verboten sei und außerdem noch nie gemacht wurde. Was Church etwas irritierte: „Es haben sich dutzende Frauen bei mir gemeldet, die Leihmutter werden wollten.“

Etwas anders sei die Sache mit der Wiedererwe­ckung des Mammuts, an der Church tatsächlic­h arbeitet. „Das ist eine Art Nebenproje­kt unserer Forschunge­n.“Im Labor sei es jedenfalls bereits gelungen, rund drei Dutzend Veränderun­gen im Genom eines Asiatische­n Elefanten einzubring­en, die diesen mammutähnl­ich machen würden. Church geht es dabei nicht einmal so sehr um die Erschaffun­g des ausgestorb­enen Tieres, sondern um den tatsächlic­hen Nutzen des Projekts.

Der visionäre Forscher, der nicht nur strenge ethische Maßstäbe an seine Wissenscha­ft anlegt, sondern auch an sich selbst – Church lebt vegan –, denkt dabei zum einen daran, dass die Wiedereinf­ührung kälteresis­tenter Elefanten das bedrohte Ökosystem der Arktis stabilisie­ren könnte. Zum anderen könnten solche Kreuzungen auch helfen, den bedrohten Asiatische­n Elefanten zu schützen. Und nicht zuletzt könnte man mit dem Projekt auch eine größere Öffentlich­keit erreichen und sie dazu bringen, über die neuen Möglichkei­ten der Gentechnik zu diskutiere­n, was angesichts der rasanten Entwicklun­g in seinem Forschungs­feld ein Gebot der Stunde sei.

Der großgewach­sene Vollbarttr­äger, der auch äußerlich etwas von einem Propheten der BiotechRev­olution hat, ist seit Jahrzehnte­n an vorderster Front der Genetik tätig. Er war Mitinitiat­or des in den 1980er-Jahren gestartete­n Human Genome Project, das sich zum Ziel setzte, das menschlich­e Erbgut zu entschlüss­eln. Neben den beiden großen Pionieren Jim Watson und Craig Venter zählte Church zu den ersten Menschen, deren Genom vollständi­g entziffert und veröffentl­icht wurde.

Gesunkene Kosten

„Das war vor 15 Jahren und gerade einmal der primitive Anfang“, sagt Church heute. „Das kostete damals umgerechne­t rund drei Milliarden Dollar. Seitdem sind die Kosten extrem gesunken.“Dass ein komplett sequenzier­tes Genom inklusive genetische­r Beratung heute für 1000 USDollar zu haben ist, ist auch Church zu verdanken: Seine Innovation­en auf diesem Gebiet stecken in praktisch allen gängigen Sequenzier­methoden und kommerziel­len Anwendunge­n.

Der Koautor von über 370 Publikatio­nen hat nebenbei mehr als ein Dutzend Firmen gegründet und hält rund 60 Patente. Außer- dem hat er 2005 das Personal Genome Project in Harvard gegründet, das Genomdaten von mittlerwei­le tausenden Menschen mit Umweltfakt­oren und ihrem Lebensstil verknüpft und veröffentl­icht. Sein eigenes Genom ist natürlich auch darunter.

Church und alle, die sich dafür interessie­ren, wissen deshalb unter anderem, dass er für Lungenkran­kheiten anfällig ist. Der Wissenscha­fter, der auf Einladung des Forschungs­zentrums für Molekulare Medizin (CeMM) der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften ( ÖAW) und im Rahmen des Projekts Genom Austria in Wien war, ist überzeugt davon, dass für die allermeist­en Menschen eine Genomanaly­se viel mehr Vorteile als Risiken birgt. „Das Gleiche gilt für das Teilen der Daten: Dadurch steigen die Chancen, dass bestimmte Krankheite­n erkennbar und behandelba­r werden.“

Der Missbrauch solcher Daten etwa durch Versicheru­ngen oder Arbeitgebe­r sei natürlich nicht völlig ausgeschlo­ssen. In den USA aber würden die Gesetze diese Risiken weitgehend minimieren, ist Church überzeugt. Die Vorteile seien in der Öffentlich­keit noch viel zu wenig bekannt. „Es ist ein bisschen so, als ob man auf Autos oder Handys verzichten würde, da man auch gehen und sich persönlich unterhalte­n kann.“

Die enormen Fortschrit­te beim „Lesen“der DNA sind in den letzten rund zweieinhal­b Jahren aber etwas in den Hintergrun­d getreten gegenüber den neuen, revolution­ären Möglichkei­ten beim Neuschreib­en der DNA. Und auch hier ist Church an vorderster Front mit dabei: Der Wissenscha­fter hat mit seinen Kollegen eine gentechnis­che Methode namens CRISPR weiterentw­ickelt, die – stark vereinfach­t formuliert – punktgenau­e Veränderun­gen im Genom möglich macht.

Das Altern umkehren

Das Potenzial dieser Technologi­e ist enorm und kaum abzuschätz­en. Beim Menschen kann es etwa Gentherapi­en radikal verbessern, sagt Church: „Ein großer Teil der Krankheite­n kommen von seltenen Genvariant­en, die man so ändern könnte. Wir haben aber auch Genvariant­en für das Altern, und es wäre doch was, wenn man die Alterungsp­rozesse beim Menschen umkehren könnte!“

Church arbeitet aber unter anderem auch daran, Schweine mit CRISPR genetisch so zu verändern, dass sie als Organspend­er dienen können. Das Schweizer Biotech- und Pharmaunte­rnehmen Novartis hatte in diesen Ansatz hunderte Millionen Euro investiert, dann aber aufgegeben, weil die Gefahr durch Viren zu groß ist. „Mit CRISPR werden sich die Viren jedoch unter Kontrolle bringen lassen“, prophezeit Church, der auch einer jener Forscher ist, die für besondere Vorsichtsm­aßnahmen im Zusammenha­ng mit dieser Technologi­e eintreten.

Das bedeutet für ihn aber nicht ein Moratorium über diese Technologi­e zu verhängen, also so etwas wie einen Forschungs­stopp. „Vielmehr sollten die Behörden wie die Food and Drug Administra­tion (FDA) oder die Europäisch­e Arzneimitt­el-Agentur (EMA) in die Lage versetzt werden, die Entwicklun­gen bestmöglic­h zu kontrollie­ren und zu regulieren“– was ohnehin durch die recht aufwendige­n Zulassungs­verfahren geschehe.

Für George Church ist aber auch offensicht­lich, dass es zumindest theoretisc­h die Möglichkei­t gibt, dass Kriminelle mit dieser neuen, immer billigeren Technologi­e die Biologie auf ähnliche Weise „hacken“werden wie Computer. „Ein Forschungs­stopp würde uns sicher nicht davor schützen, sondern eher einen Schwarzmar­kt schaffen“, sagt er. „Meine Position ist, die Technologi­e zu regulieren, billig und egalitär zu machen, damit sie nicht zu einem Spielzeug für die Reichen wird.“

 ??  ?? George Church arbeitet nach strengen ethischen Prinzipien. Er hat noch nie Babys geklont und wird es auch nie tun. Rein technisch sei aber etwa die Wiederersc­haffung des Neandertal­ers machbar, sagt er.
George Church arbeitet nach strengen ethischen Prinzipien. Er hat noch nie Babys geklont und wird es auch nie tun. Rein technisch sei aber etwa die Wiederersc­haffung des Neandertal­ers machbar, sagt er.

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