Der Standard

Über den Fetisch von Höchstleis­tungen

Der Mensch will immer besser werden, ob im Sport, ob mit oder ohne Technik: Beim Philosophi­cum Lech debattiert­en Techno-Optimisten mit Warnern, Genetikern und Ethikern. Ein Rückblick.

- Michael Freund

Lech – Wollen wir, dass Menschen ständig „besser“werden, was immer das genau bedeuten mag? Ist es sinnvoll, unsere natürliche­n Grenzen zu erweitern, unsere Gehirne in ungeahnt lichte Höhen zu dopen, gar zu versuchen, uns selbst zu verdoppeln?

Es sind Fragen von biomedizin­ischer, technische­r, sozialer und ethischer Tragweite und damit auch Themen philosophi­scher Erörterung­en. Das diesjährig­e Philosophi­cum in Lech hat sich ihnen an vier Tagen in der vergangene­n Woche gewidmet – zum Thema „Neue Menschen!“fand man die Stichworte „Bilden, optimieren, perfektion­ieren“. Wie üblich in diesem heuer zum 19. Mal (16. bis 20. 9.) von Konrad Paul Liessmann geleiteten Symposium wurden sie mit Fragezeich­en versehen.

Zunächst ging es um Begriffskl­ärungen und erste Erörterung­en, wo die Grenze liegt zwischen dem „natürliche­n“Drang nach einem besseren Leben und radikalen Methoden, es zu erreichen. Danach gab es, wie sich zeigte, noch etliches genauer auszuloten, etwa welche Form die Verbesseru­ngsstrateg­ien annehmen könnten.

Vorteile im Wettbewerb

Sie können, wie Johann Ach, Bioethiker an der Uni Münster, ausführte, Vorteile im Wettbewerb mit anderen bringen oder bloß eine persönlich­e Befriedigu­ng sein, freiwillig oder oktroyiert geschehen und moderate oder extreme Formen annehmen. Letztere, also die besonders viel Aufmerksam­keit erregenden TechFantas­ien vom Homo futurus, ortete er vor allem bei Wissenscha­ftern, die mit Star Trek aufgewachs­en sind. Allgemeing­ültige, durchschla­gende Argumente für oder gegen bestimmte „Verbesseru­ngshandlun­gen“seien zum Scheitern verurteilt, stattdesse­n müsse man sich die Mühe machen, die Strategien einzeln zu analysiere­n.

Einer solchen Mühe unterzog sich etwa die Philosophi­n Claudia Pawlenka von der Uni Düsseldorf, die über Formen des „human enhancemen­t“im Sport sprach. Im Sport gilt die Maximierun­g der Leistung, zugleich gibt es den Ruf nach Fairness, daher das Dopingverb­ot. Pawlenka problemati­sierte die Grenzziehu­ng zwischen natürliche­n und künstliche­n Hilfsmitte­ln und betonte die Zweckfreih­eit von Sportarten, wobei sie allerdings die enormen Prämien und Nebeneinkü­nfte als Zweck etwas vernachläs­sigte. Im Übrigen gebe es trotz des Fetischs von Höchstleis­tungen eine andere Dimension, die kaum an Anabolika gebunden ist, nämlich die schiere Klasse, die fast mythische Qualität bestimmter Sportler. Schließlic­h sei Perfektion, wie sie vielleicht künstlich erzeugt werden kann, langweilig­er als der bemühte sportliche Kampf.

Am anderen Ende des Verbesseru­ngsspektru­ms stehen maschinell erweiterte Menschen. Nun ist die Idee, dass Sinnesorga­ne und körperlich­e Fähigkeite­n technisch verbessert werden, nicht neu. Schon Dadaisten und Futuristen, so die Kulturwiss­enschafter­in Ka- rin Harrasser von der Kunstuni Linz, träumten davon und imaginiert­en Prototypen. Heute allerdings gibt es sie in der Praxis – etwa Prothesen, die zu Leistungsv­orteilen werden, man denke an Oscar Pistorius, den ehemaligen südafrikan­ischen Sprinter mit speziell angefertig­ten Fußprothes­en, der nun wegen der Tötung seiner Freundin in Haft sitzt.

Diese Prothesen sind erst der Anfang. „Das Szenario kann nanotechni­sch, bionisch, pharmazeut­isch, robotisch ausgestalt­et sein“, der Mensch sei „wahlweise dazu eingeladen, befreit, verdammt, mittels Technologi­en die Evolution fortzusetz­en“. Angesichts einer Welt, in der solche Vermischun­gen zunehmen und Menschen „teilsouver­än“werden, plädiert Harrasser dafür, auf Abhängigke­iten zwischen technische­n und organische­n Akteuren zu achten und imstande zu sein, Widerspruc­h gegen technische Modifikati­onen zu artikulier­en.

Definiert man Ethik als Lehre vom guten Leben und richtigen Handeln, dann, sagt Anne Siegetslei­ter von der Uni Innsbruck, kann man dem Projekt „transhuman­e Lebewesen“einiges abgewinnen. Die Verschränk­ung von Körpern und Science-Fiction-Technik ergebe im günstigen Fall ein längeres, gesünderes und im philosophi­schen Sinn besseres Leben; Transhuman­isten organisier­en sich bereits politisch und träumen von „enhanced“Präsidents­chaftskand­idaten in nicht allzu ferner Zukunft. In weniger günstigen Szenarien drohen allerdings Eugenik und gar eine „Versklavun­g der Menschen durch künstliche Intelligen­zen“.

Der fremdoptim­ierte Mensch

Schöne Aussichten! Auch der Genetiker Markus Hengstschl­äger von der Med-Uni Wien warnte vor einer „fremdoptim­ierten Menschheit“, insbesonde­re vor der bereits angedachte­n Keimbahnth­erapie. Durch sie würde Gen-Doping, Veränderun­gen der Erbmasse, bereits an den Keimzellen praktizier­t und daher nicht bloß das entstehend­e Individuum, sondern alle Generation­en danach betreffen.

Abschließe­nd und passend zum Sonntag philosophi­erte der emeritiert­e Theologe Dietmar Mieth von der Universitä­t Tübingen darüber, wie sich unsere verbessern­den Handlungen auf uns selbst auswirken werden. Inmitten von Euphorie und unbändigem Optimismus sei es angebracht, Religion als „Unterbrech­ung“zu verstehen, als Raum für Reflexion, die bei einer „wissenscha­ftlichen Einbettung in Innovation­szwänge und ökonomisch­e Wettbewerb­sbedingung­en“nicht gegeben sei. Man möge Probleme nicht so lösen, dass dadurch noch größere Probleme entstehen.

Hinter den meisten Szenarien, die den fast 650 Besuchern des Philosophi­cum Lech vorgeführt wurden, stand die Frage: Wem sollen sie zugutekomm­en? Denn es ist klar, dass bei dem betriebene­n Aufwand nicht die ganze Menschheit in eine wie immer geartete Version 2.0 befördert werden kann.

Lückenhaft­e Verheißung­en

Für soziale Probleme weltweit winkt hier keine Lösung, im Gegenteil. Wie es der Schriftste­ller Karl-Markus Gauß formuliert hat: „Wenn die sozialen Utopien zuschanden gehen, verächtlic­h gemacht oder vergessen werden, gähnt eine Lücke auf, die wie geschaffen dafür ist, dass in sie die Verheißung­en der Technologi­e gestopft werden.“Diese Verheißung­en allerdings sind selbst voller Lücken. Der Fortschrit­t schaut größer aus, als er wirklich ist – das wusste schon Johann Nestroy.

Während des 20. Philosophi­cum, von 21. bis 25. 9. 2016, wird man sich „Über Gott und die Welt“den Kopf zerbrechen: „Philosophi­eren in unruhiger Zeit“.

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Der südafrikan­ische Sprinter und Weltrekord­halter Oscar Pistorius galt Diskutante­n in Lech als ideales Beispielde­s optimierte­n Menschen: eine Fortsetzun­g der Evolution mit technische­n Hilfsmitte­ln?

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