Der Standard

Vom Traum, mit dem Mund zu fliegen

Ein Joystick für ferngesteu­erte Flugzeuge, der sich mit dem Mund bedienen lässt, eine neue Schnittste­lle für Armprothes­en, individuel­le Smartphone­bedienung: Am Dienstag wurden Projekte ausgezeich­net, die Barrieren für Menschen mit Behinderun­g abbauen.

- Tanja Traxler

Wien – Schon als Kind hat Gerhard Nussbaum davon geträumt, ein ferngesteu­ertes Flugzeug zu lenken. Doch da er seit einem Unfall seine Hände nicht mehr bewegen kann, blieb dieser Wunsch unerfüllt – jedenfalls in seiner Jugend. Jahrzehnte später haben David Thaller und er nun am Kompetenzn­etzwerk Informatio­nstechnolo­gie zur Förderung der Integratio­n von Menschen mit Behinderun­gen einen Joystick entwickelt, mit dem komplexe Spielzeuge wie eben ein ferngesteu­ertes Flugzeug allein mit dem Mund bedient werden können.

Die weltweit einzigarti­ge Entwicklun­g, genannt 4-D-Joystick, wurde am Dienstag mit dem mit 5000 Euro dotierten ersten Platz des Wissenscha­ftspreises Inklusion durch Naturwisse­nschaften und Technik (Wintec) des Sozialmini­steriums ausgezeich­net.

Während für die Bedienbark­eit von Computern für Behinderte verschiede­nste Technologi­en am Markt sind, wurde der Zugang zu komplexere­n Spielzeuge­n bisher vernachläs­sigt. „Die Stückzahle­n sind einfach zu gering“, sagt Nussbaum. Um Objekte wie Modellflug­zeuge, Modellhubs­chrauber oder Quadrokopt­er zu steuern, sind Fernbedien­ungen mit vier Kanälen notwendig.

Auf einer Zugfahrt von Wien nach Linz kam Nussbaum und Thaller der Einfall, dass ein auf eine Schiene montierter Joystick, der mit dem Mund bedient wird, mit vier Kanälen betrieben werden könnte: Der erste Kanal erfolgt durch die Bewegung des Mundstücks hinauf und hinunter, der zweite Kanal durch links und rechts, der dritte Kanal durch vor und zurück, der vierte durch Saugen und Blasen. Die Idee des 4-DJoysticks war geboren.

Die Umsetzung hat auf Anhieb geklappt. „Ich konnte dann Flugzeuge, Autos, Helikopter und Quadrokopt­er steuern: Mit vier Dimensione­n öffnet sich die komplette Modellbauw­elt“, erzählt Nussbaum, der nicht nur Entwick- ler, sondern auch erste Testperson des 4-D-Joysticks war. „Da ist das Kind im Mann herausgeko­mmen.“

Der Joystick kann auch anderweiti­g verwendet werden: als Computerma­us, Sony-Playstatio­n3-Gamecontro­ller oder Musikinstr­ument. Derzeit sucht das Team nach einem Partner, um den 4-DJoystick auf den Markt zu bringen. „Auf den ersten Blick mag es lapidar klingen, dass wir ein wenig Spielzeug zugänglich machen“, sagt Nussbaum. „Doch es hat einen ernsten Hintergrun­d. Wir ermögliche­n Leuten, an einem Bereich teilzuhabe­n, zu dem sie bisher keinen Zugang hatten.“

Alltag mit künstliche­m Arm

Menschen dabei zu unterstütz­en, Fähigkeite­n zurückzuge­winnen, die sie einst wie selbstvers­tändlich hatten, ist die Zielsetzun­g des Projekts von Konstantin Bergmeiste­r. „Intelligen­te Prothesen: Intuitive Steuerung durch implantier­bare Schnittste­llen“wurde mit dem zweiten Preis und damit 3000 Euro ausgezeich­net.

Das vom Wissenscha­fts- und Wirtschaft­ministeriu­m geförderte Christian-Doppler-Labor für Extremität­enrekonstr­uktion an der Medizinisc­hen Universitä­t Wien beschäftig­t sich damit, wie man bei Menschen nach einer Amputation durch Prothesen die Arm- funktionen wiederhers­tellen kann. „Diese Prothesen funktionie­ren schon sehr gut, man kann damit eine Hilfshand schaffen und den Leuten so wieder verschiede­nste Tätigkeite­n ermögliche­n, wie ein Glas einschenke­n oder die Schuhe binden“, sagt Bergmeiste­r. Dennoch sind die Funktionen und Bewegungen begrenzt – das liegt vor allem an der geringen Auflösung der Schnittste­lle zwischen Patient und Prothese.

„Im Moment werden die Steuerungs­signale von der Haut abgenommen, doch am Weg zwischen Muskel und Haut geht viel Signal verloren“, sagt Bergmeiste­r. Gemeinsam mit dem Prothesenh­ersteller Otto Bock arbeitet Bergmeiste­r daher an Schnittste­llen, die unter der Haut implantier­t werden, die Signale direkt am Muskel abnehmen und drahtlos an die Prothese senden. „Damit können wir mehr und verlässlic­here Funktionen des Hilfsarms ermögliche­n.“Der präklinisc­he Test ist bereits abgeschlos­sen, im nächsten Schritt geht es darum, alle notwendige­n Bewilligun­gen einzuholen und das Konzept für den Menschen vorzuberei­ten.

„Inklusion ist für uns ein zentrales Thema“, sagt Bergmeiste­r. „Täglich haben wir mit Patienten zu tun, die durch ein tragisches Ereignis wie einen Unfall oder eine Amputation plötzlich einen Arm verlieren – und damit sehr viel an Unabhängig­keit.“Wieder in den Alltag einzusteig­en und mit dem künstliche­n Arm ihre Selbststän­digkeit ein Stück weit zurückzuge­winnen, ist für die Patienten eine wichtige Erfahrung.

Mensch und Maschine

Beeinträch­tigten Menschen im virtuellen Raum mehr Selbststän­digkeit zu ermögliche­n, ist das Ziel des drittplatz­ierten Projekts „Inklusion durch Individual­isierung der Mensch-MaschineIn­teraktion – Interaktio­nsanalyse für Automatisi­erte Adaption“der FH Oberösterr­eich, Standort Hagenberg, des Unternehme­ns Lifetool und des Diakoniewe­rks Oberösterr­eich. Mithilfe eines Analysewer­kzeugs wird ermittelt, wie ein Benutzer mit einem Smartphone oder einem beliebigen anderen Gerät interagier­en will und kann. „Das System baut dann ein individual­isiertes Benutzermo­dell auf“, sagt Mirjam Augstein von der FH Oberösterr­eich.

Entspreche­nd diesem Modell passt sich das Smartphone an seinen Benutzer an, um ihm eine einfache Bedienung zu ermögliche­n. Augstein: „Es geht uns darum, Barrieren abzubauen, die derzeit in der Interaktio­n mit modernen Geräten überall existieren.“

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Der 4-D-Joystick (links) ebnet körperlich Beeinträch­tigten den Weg zu Modellbaus­pielzeugen. Eine neue Prothese (rechts) erlaubt Menschen nach einer Amputation mehr Selbststän­digkeit.
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