„Man muss mit dem Zuschauer spielen“
M. Night Shyamalans „The Visit“ist trotz kleinen Budgets ein außergewöhnlicher Horrorfilm. Der Regisseur über die Rückkehr zu seinen Mystery-Wurzeln.
INTERVIEW:
– Die Geschwister Rebecca (Olivia DeJonge) und Tyler (Ed Oxenbould) brechen zu einem einwöchigen Ausflug zu ihren Großeltern ins verschneite Pennsylvania auf. Mithilfe eines Videotagebuchs wollen sie die zerstrittene Familie versöhnen. Doch schon bald merken sie, dass die zurückgezogen lebenden Alten ein Geheimnis verbergen.
STANDARD: Ein wesentlicher Reiz Ihres Films liegt darin, dass er als Mockumentary konzipiert ist und ausschließlich aus der Perspektive der Kinder erzählt. Wird die Fiktion zur Wirklichkeit? Shyamalan: Das Mädchen möchte eine liebevolle Dokumentation über ihre Familie drehen. Es hat ein Auge für das Schöne und will etwas Kreatives gestalten. Wenn der Bruder die Kamera übernimmt, wird dieser Versuch quasi korrumpiert – er hält nur drauf. Das fand ich interessant: wie sich Realität verändern kann, je nachdem, mit welchen Augen sie betrachtet wird.
STANDARD: Anders als Filme wie „The Blair Witch Project“schaffen Sie jedoch zusätzliche Momente der Verstörung, etwa wenn man plötzlich beide Kinder sieht. Shyamalan: Hier stellt man sich die Frage: Gibt es da jemand Dritten? Es ist einfach zu sagen, ich erzähle eine Story aus der Perspektive desjenigen, der filmt. Aber das genügt nicht – diese Kinder sind ja kein Kamerateam auf Geisterjagd. Es geht um das, was dahinterliegt und was man findet, indem man filmt. Dann verkehren sich Sein und Schein. Das Mädchen will etwas Schönes schaffen und findet etwas Schreckliches.
STANDARD: Diese Gegensätze finden sich auch in der Erzählung: Die Großeltern treffen die Enkel, die Kinder kommen von der Stadt aufs Land. Shyamalan: Zugleich rücken aber Bruder und Schwester immer näher zusammen. Bis sie schließlich auch beide filmen. Ich habe mit jemandem gesprochen, der an Blair Witch beteiligt war, und hatte Kontakt mit den Leuten von Paranormal Activity. Sie haben gesagt: Du darfst nur eine Kamera nehmen, sonst ist die Spannung weg. Aber indem beide Kinder filmen, werden sie wieder zu einer Einheit.
STANDARD: Sie spielen lustvoll mit klassischen Horrorelementen, das „Hänsel und Gretel“-Motiv kommt spätestens mit dem Backofen einer Parodie gleich. Warum hat alles einen doppelten Boden? Shyamalan: Ich mag es, meine Geschichten noch einmal zu kommentieren oder die Charaktere erkennen zu lassen, dass sie Teil einer größeren Geschichte sind, wie etwa in oder in Jeder von uns baut sich sein Leben als Erzählung und ist trotzdem immer in einer größeren gefangen.