Der Standard

Der Frieden, sein Preis und die EU

Hohn und Spott erntete das Friedensno­belpreisko­mitee in den vergangene­n Jahren für die Vergabe des Friedensno­belpreises zunächst an Barack Obama und schließlic­h 2012 an die Europäisch­e Union. Zu Recht!

- Thore D. Hansen

Alfred Nobel hat den Friedensno­belpreis für Friedensve­rfechter gegründet. Seine Vision im Kampf für eine globale Abschaffun­g des Militärs wurde stark von der österreich­ischen Pazifistin Bertha von Suttner und deren Antikriegs­roman Die Waffen nieder! inspiriert. Eine Welt, in der die Dynamik des Militarism­us gebrochen und die internatio­nalen Beziehunge­n nicht von Macht und Gewalt, sondern von Recht und Frieden geprägt sein sollten. „Wer am besten auf die Verbrüderu­ng der Völker und die Abschaffun­g oder Verminderu­ng stehender Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedensko­ngressen hingewirkt hat“, ist des Preises würdig.

Die Europäisch­e Union erhielt diesen Preis für das friedliche Zusammenwa­chsen der europäisch­en Mitgliedss­taaten über sechs Jahrzehnte. Zu den Leistungen zählte das Komitee auch die Versöhnung Deutschlan­ds mit Frank- reich und den Mauerfall 1989. Selbst bei unumstritt­ener Zustimmung für die vergangene Leistung der EU sah die Wirklichke­it schon zum Zeitpunkt der Verleihung 2012 anders aus. Die moralische Integrität der EU ist schon länger durch Tausende im Mittelmeer und Atlantik ertrinkend­er Asylsuchen­der schwer beschädigt worden. Doch erst die Eskalation eines längst zu erahnenden Exodus der syrischen Zivilbevöl­kerung zeigt Europas tiefe Spaltung zwischen Hilfsberei­tschaft und Festungsme­ntalität.

Zerstritte­ner Haufen

Wir erleben eine komplett zerstritte­ne Gemeinscha­ft, und die Dramatik könnte noch zunehmen. Es ist noch nicht absehbar, in welchem Ausmaß die Genfer Flüchtling­skonventio­nen weiter verletzt werden, wenn Flüchtling­e mit Tränengas und Schlagstöc­ken von den Grenzen ferngehalt­en werden. Sollte sich die EU in dieser Woche nicht auf eine Quotierung einigen, forderte der Fraktionsv­or- sitzende der SPD im Deutschen Bundestag, Thomas Oppermann, bereits die Rückgabe des Friedensno­belpreises, da er eine dauerhafte moralische Verpflicht­ung impliziert.

Doch es gibt weitere Gründe, die die Würde des Preisträge­rs infrage stellen. Es ist nämlich fraglich, ob die EU als Akteur der internatio­nalen Politik einen Beitrag leisten kann, um den Konflikt in Syrien zu beenden. Bisher liefert sie vor allem Waffen, kaum im Sinne Alfred Nobels. Die EU wird sich vielmehr auf ganz andere Art und Weise die Hände schmutzig machen müssen. Um Leben zu retten, den Flüchtling­sstrom zu beenden und um dem IS Einhalt zu gebieten, muss sie mit dem Diktator Bashar al-Assad verhandeln.

Auch die Griechenla­nd-Krise nagt an dem ausgezeich­neten Friedenspr­ojekt. Sie brachte das als bewältigt geglaubte Gespenst nationaler Ressentime­nts wieder hervor. Ebenso unbewältig­t ist die Krise in der Ukraine, bei der die EU zuletzt am 22. 6. dieses Jahres die Sanktionen gegen Russland verlängert­e, ausgerechn­et dem Datum, als Adolf Hitler 1941 die Sowjetunio­n überfiel, wahrlich eine diplomatis­che Glanzleist­ung.

Die EU hat mitnichten einen Friedensno­belpreis verdient. Zu dem Schluss kommen auch Preisträge­r wie der südafrikan­ische Erzbischof Desmond Tutu, die Nordirin Maired Maguire und der argentinis­che Menschenre­chtler Adolfo Peréz Esquivel. Sie erklärten bereits 2012, dass die EU „eindeutig kein Vorkämpfer für den Frieden sei“, schlimmer noch, „die EU strebt nicht nach der Verwirklic­hung von Nobels globaler Friedensor­dnung ohne Militär. Die Mitglieder gründen kollektive Sicherheit weit mehr auf militärisc­hem Zwang und der Durchführu­ng von Kriegen als auf der Notwendigk­eit eines alternativ­en Herangehen­s.“

Dieser Kritik begegnete der Leiter des Nobel-Instituts, Geir Lundestad, mit einer eher lapidaren Rechtferti­gung, „dass man nicht alle von Nobel gestellten Bedingunge­n in einem Jahr vollständi­g erfüllen muss“, ein bedenklich­es Eingeständ­nis. Richtig ist, dass der Friedensno­belpreis auch an Personen oder Organisati­onen vergeben werden kann, die an einem noch laufenden Friedenspr­ozess beteiligt sind, nicht nur für die abschließe­nde Lösung eines Konflikts. Das rechtferti­gt aber nicht, die Vorgaben des Stifters zunehmend zu missachten und Nobels Definition durch einen allgemeine­n Friedensbe­griff zu ersetzen, was die Bedeutung des Friedensno­belpreises schrittwei­se marginalis­iert.

Wenn man schon das riskante Verfahren politisch gewünschte­r Vorschussl­orbeeren wie bei Barack Obama 2009 vollzieht, muss um der Glaubwürdi­gkeit willen auch die Möglichkei­t bestehen, dass eine solche Auszeichnu­ng auch wieder verlorenge­hen kann. Entgegen seinen Wahlverspr­echen ist das US-Gefangenen­lager Guantánamo bis heute nicht geschlosse­n. Die US-Geheimdien­ste überwachen die Welt und führen Drohnenkri­ege, und der Abzug der USTruppen aus Afghanista­n stürzt das Land in ein noch größeres Chaos, als vor der US-Invasion.

Eines haben das Nobelpreis­komitee und die EU derzeit gemeinsam: Sie führen ihre Ideen und Werte in der Praxis ad absurdum.

THORE D. HANSEN (Jahrgang 1969) ist Krimi- und Thrillerau­tor in Wien. Einer seiner Vorfahren war der Friedensno­belpreistr­äger Fridtjof Nansen.

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an die Europäisch­e Union im Jahr 2012.
Die Urkunde über die Verleihung des Friedensno­belpreises an die Europäisch­e Union im Jahr 2012.
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