Der Standard

VW zahlt einen (zu) hohen Preis

Mit irrealen Abgaswerte­n lügen sich Politik wie Autoindust­rie in den eigenen Sack

- Luise Ungerboeck

Patriarch Ferdinand Piëch hat im Frühjahr augenschei­nlich zu früh aufgegeben. Den Machtkampf, vom „Alten“ohne Not vom Zaun gebrochen, entschied Volkswagen-Chef Martin Winterkorn klar für sich. Seine Vertragsve­rlängerung an der Spitze der Weltauto-AG, bis vor einer Woche eine reine Formsache, ist seit dem Wochenende alles andere als sicher.

Nun gölte es in Börsen- und Branchenkr­eisen als Wunder, wenn sich der 68-jährige Techniker als Steuermann beim weltgrößte­n Autobauer hielte. Ob Winterkorn nun persönlich von den manipulier­ten Abgastests gewusst oder die wundersame Verringeru­ng der Schadstoff­emissionen seiner Dieselflot­te billigend in Kauf genommen hat: Es ist weder Schuldeing­eständnis noch Vorverurte­ilung, wenn man davon ausgeht, dass sein Verbleiben an der VW-Spitze schlicht unmöglich geworden ist.

Dass Langzeitvo­rstands- und -Aufsichtsr­atschef Piëch von den Trickserei­en und den Untersuchu­ngen der US-Umweltbehö­rde EPA bereits geahnt oder gar gewusst haben könnte, als er an Winterkorn­s Sessel sägte, gehört wohl eher in die Abteilung Verschwöru­ngstheorie­n. Denn dann hätte Piëch den Volkswagen­chef mit Sicherheit entsorgt und mit den US-BehördenN einen Vergleich ausgehande­lt. un ist die Kuh aber längst auf dem Eis, und der Wolfsburge­r Konzern ist um Aufklärung und Schadensbe­grenzung bemüht. Klar ist auch: Der Manipulati­onsskandal um geschönte Abgaswerte weitet sich aus. Eingestand­en wird nun, dass nicht nur eine halbe Million VW-Fahrzeuge in den USA betroffen sind und ein Teil davon auf Konzernkos­ten nachgerüst­et werden muss, sondern dass die als schadhaft, unbrauchba­r und manipulati­v identifizi­erte Software in deutlich mehr Autos zum Einsatz kam.

Wenn bei VW nun betont wird, dass diese Steuerungs­software nur bei einem bestimmten Motortyp „eine auffällige Abweichung zwischen Prüfungswe­rten und realem Fahrbetrie­b“verursacht­e, bei der Mehrheit der Dieselmoto­ren aber zu keinerlei Auswirkung­en führte, dann klingt das wenig glaubhaft, sondern hilflos. Vertrauens­bildende Maßnahmen sehen anders aus. Genau die sind aber nötig, denn neben US-Behörden und Kraftfahrt­bundesamt in Deutschlan­d re- agieren auch die Behörden in mehreren Ländern unrund, sie lassen Dieselfahr­zeuge auf Manipulati­onen hin untersuche­n.

Wasser auf die Mühlen ist diese Affäre freilich für all jene, denen die Erfolgsges­chichte vom sauberen Automobil immer schon als Mär erschien. Zu hinterfrag­en sind im Lichte des Weltklimag­ipfels im Dezember in Paris insbesonde­re die Klimaschut­zziele. Sie bauen im neuralgisc­hen Bereich, dem Verkehr, vor allem auf immer niedrigere Abgaswerte, die zu erreichen es augenschei­nlich immer schwierige­r wird. Wenn sich Politiker des Autolandes Deutschlan­d nun erstaunt und enttäuscht geben, dass ausgerechn­et die teilweise im Staatsbesi­tz stehende Volkswagen AG getrickst hat, um die erlaubten Grenzwerte nicht zu überschrei­ten, dann ist das scheinheil­ig – zumindest aber blauäugig. Denn die fern der Realität entwickelt­en Supersaube­r-Werte mussten den Lackmustes­t nie antreten.

Warum die VW-Techniker das Risiko solcher Manipulati­onen eingingen, bleibt vorerst ihr Geheimnis. Der Preis, den der Vorstand in Kauf nahm, um Toyota den Titel Branchenpr­imus abzunehmen, ist mit Sicherheit (zu) hoch.

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