Der Standard

Wer links liegengela­ssen wird, wählt rechts

Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral: Armut macht hartherzig, nicht Wohlstand

- Georg Herrnstadt

Der Aufstieg der FPÖ und der reziproke Niedergang der SPÖ sind besorgnise­rregend – indes unerwartet ist diese Entwicklun­g nicht. Politisch Hellsichti­ge warnten davor seit langem. Vor ein paar Jahren las ich im STANDARD: „Rechte Populisten werden leichtes Spiel haben, die wutgetränk­te Apathie breiter, extrem enttäuscht­er und gedemütigt­er Schichten in Wahlerfolg­e umzumünzen.“Nun, es ist so weit.

Die SPÖ ist sehenden Auges ins Verderben marschiert. Sie hat sich im „Weltkrieg Reich gegen Arm“, der seit 20 Jahren immer heftiger geführt wird, auf die falsche Seite geschlagen. Das zeigt sogar die vielgeprie­sene Steuerrefo­rm. Stephan Schulmeist­er bezeichnet­e diese als den „roten Irrweg“. Menschen mit einem Monatsverd­ienst unter 1500 Euro, prekär Beschäftig­te und Arbeitslos­e stellen mehr als die Hälfte der Unselbstst­ändigen, also rund zwei Millionen Personen oder 25 Prozent der Österreich­er und Österreich­erinnen. Diese wurden von der Steuerrefo­rm links liegengela­ssen. Jetzt stehen sie rechts und wählen die FPÖ. Die wahren Profiteure der Steuerrefo­rm sind Menschen mit Einkommen um 4000 Euro brutto. Wenn die SPÖ beteuert, sich um „die Armen und Ärmsten zu kümmern“, so ist dies eine glatte Lüge – und ihre Verkünder wissen es.

„Seit 1998 haben Arbeiter einen Reallohnve­rlust von 14 Prozent hinnehmen müssen.“Das steht im Einkommens­bericht 2014 des Rechnungsh­ofes – wahrlich kein ultralinke­r Verein. Das ist aber ein Durchschni­ttswert, also die noch recht harmlose Schlagzeil­e. Der Bericht führt weiter aus, dass die unteren zehn Prozent der Einkommens­bezieher inflations­bereinigt 35 Prozent Wertverlus­t hinnehmen mussten, das untere Viertel rund 20 Prozent Entwertung seines Einkommens (Teilzeit und Billiglohn­arbeit eingerechn­et).

Diese empörenden Daten vor Augen scheint mir die geheuchelt­e Entrüstung Hannes Androschs, „wie könne man so fremdenfei­ndlich sein, wo wir doch im drittreich­sten Land der Erde leben“, gründliche­s Nebelwerfe­n. Er kennt die Zahlen. Ein Viertel der Österreich­er wird von Jahr zu Jahr de facto ärmer! Noch obszöner ist seine Behauptung, der Wohlstand „macht die Menschen hartherzig“. Das Gegenteil ist wahr: Armut macht hart. „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“

Um gerade über ökonomisch­e Verunsiche­rung nicht sprechen zu müssen, kamen die mutigen Flüchtling­e gerade recht. Auch Landeshaup­tmann Josef Pühringer konnte den an seiner Niederlage Schuldlose­n mimen. Erinnerlic­h bleibt aber, wie gerade er im ORF noch vor einem Jahr stolz verkündete, wie viele Arbeitsplä­tze er in Oberösterr­eich eingespart habe.

Bedauerlic­herweise laufen FPÖ-Wähler Rattenfäng­ern hinterher. Wo sind ihre Forderunge­n nach Erhöhung und Verlängeru­ng des Arbeitslos­engeldes, nach Erhöhung der Mindestsic­herung, der Mindestpen­sionen? Wann unterstütz­te die FPÖ Lohnforder­ungen? Wann empfahl sie Vermögenss­teuern? „Sozialschm­arotzer“, „soziale Hängematte“, „Drückeberg­er“, „Faule und Fleißige“, das sind die gängigen spalterisc­hen Etikettier­ungen.

In seinen Langzeitst­udien zur gruppenbez­ogenen Menschenfe­indlichkei­t spricht der Bielefelde­r Sozialwiss­enschafter Wilhelm Heitmeyer von „Orientieru­ngslosigke­it“, welche nachweisli­ch mit ökonomisch­en Ängsten und „Gefühlen der Benachteil­igung“positiv korreliere­n. Es ist relativ einfach, solche Menschen undifferen­ziert gegen Homosexuel­le, Fremde, Muslime, Asylwerber, Juden, Sinti und Roma und selbst gegen heimische Arbeits- und Obdachlose aufzuwiege­ln. Wer bleibt über: WIR. Das ist das ganze Programm aller rechtsorie­ntierten Parteien in Europa.

Orientieru­ngslosigke­it führt nämlich meistens dazu, die wahren Ursachen des eigenen Unglücks nicht zu erkennen.

Eine verheerend­e Rolle bei der Konsolidie­rung von Orientieru­ngslosigke­it spielen neben den Parteien die Medien. In der Wahlberich­terstattun­g des ORF etwa wird faktisch nie über politische Inhalte, Forderunge­n, Programme oder Pläne gesprochen. Die Frage, wie die FPÖ die Arbeitslos­igkeit oder Armut in Oberösterr­eich bekämpfen möchte, wäre erhellend bis entlarvend gewesen. Aber nein, gefragt wird: Wie ist Ihre Stimmung? Wie fühlen Sie sich? Werden Sie zurücktret­en? Aber Sie haben doch gesagt! Mit wem werden Sie koalieren? Waren Ihre Prognosen richtig? Wer ist verantwort­lich?

Noch verderblic­her war die täglich überborden­de Berichters­tat- tung über die sogenannte Flüchtling­skatastrop­he oder Flüchtling­skrise. Statt ständiger Alarmstimm­ung, geschürt von Boulevard und ORF, braucht es für gelassene, kritische Orientieru­ng eine objektive, datenbasie­rte Informatio­n. Allerdings: Der Weltkrieg „Reich gegen Arm“braucht desorienti­erte Menschen, wenn die Reichen weiter im Vormarsch bleiben wollen.

GEORG HERRNSTADT (Jahrgang 1948) ist Gründungsm­itglied der Politcombo Schmetterl­inge, Komponist, Regisseur und Organisati­onsberater in Wien.

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Foto: APA FP (Bild: Manfred Haimbuchne­r) nutzt Orientieru­ngslosigke­it aus.
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Foto: privat G. Herrnstadt: Erfolg mit spalterisc­hen Etikettier­ungen.

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