Der Standard

Moskau wartet auf Bagdads „Einladung“

Die irakische Regierung beschuldig­t die USA, ihr im Kampf gegen den „Islamische­n Staat“zu wenig Hilfe geboten zu haben – und schielt nun nach Moskau. Bagdad ist jedoch strategisc­h an Washington gebunden.

- Gudrun Harrer

ANALYSE: Bagdad/Wien – Wie hältst du’s mit den Russen – das scheint die neue Gretchenfr­age im syrisch-irakischen Konfliktth­eater zu sein. Nicht immer ist die Antwort so eindeutig, wie es die USA von den von ihnen unterstütz­ten Akteuren erwarten. Der exemplaris­che Fall ist der Irak, wo Premier Haidar al-Abadi zwar bestimmt nicht von US-Gnaden regiert – das tat auch sein Vorgänger, der schon 2006 ins Amt gekommene Nuri al-Maliki, nicht –, aber in einem engen strategisc­hen Bündnis mit Washington steckt.

2008 wurde nämlich nicht nur das Sofa (Status of Forces Agreement) vereinbart, das die USTruppenp­räsenz bis 2011 regelte, es wurde auch ein SFA (Strategic Framework Agreement) abgeschlos­sen. Für das Bündnis mit den USA gab es aber auch stets eine starke strategisc­he Konkurrenz: die Iraner. Und da kommt nun auch noch Russland dazu.

Abadi wurde am Rande der Uno-Vollversam­mlung in New York belauert: Was wird er zur russischen Interventi­on in Syrien sagen? Die Alarmglock­en begannen zu schrillen, als bekannt wurde, dass Russland, der Iran, Syrien und der Irak beschlosse­n hatten, in Bagdad eine gemeinsame Informatio­nszentrale einzuricht­en.

Abadi selbst beschleuni­gte danach die Spekulatio­nen. Von France 24 TV gefragt, ob er mit Russland bereits über russische Militärsch­läge gegen den „Islamische­n Staat“(IS) im Irak diskutiert habe, antwortete er laut Reuters: „Noch nicht. Es ist möglich. Wenn wir das Angebot bekommen, werden wir es uns ansehen – und ich würde es begrüßen.“Der russische Außenminis­ter Sergej Lawrow betonte daraufhin, dass Moskau „nicht eingeladen wurde“.

Hängt es also nur von einer Einladung ab? Abadi versäumte im Interview nicht, darauf hinzuweise­n, dass der Irak von den USA enttäuscht sei: „Wir hatten von der internatio­nalen Koalition, von den Amerikaner­n, erwartet, dass sie mit einer massiven Luftmacht kommen, um unsere Sicherheit­skräfte zu schützen. Das ist nicht eingetrete­n. Im Moment erhalten wir Unterstütz­ung, aber keine hochgradig­e, sie ist beschränkt. Das Einzige, was für uns wichtig ist, ist, wie man am besten Daesh (den IS, Anm.) bekämpft.“

Enttäuschu­ng über die USA

Es gibt tatsächlic­h Anzeichen, dass die Iraker die Einladung an Russland bald ausspreche­n könnten: Hakim al-Zamili, der Chef des Verteidigu­ngs- und Sicherheit­skomitees im irakischen Parlament, sprach am Mittwoch davon, dass in den „nächsten Tagen oder Wochen“die Entscheidu­ng fallen werde. Das hänge vom Erfolg der russischen Luftschläg­e in Syrien ab. Auch bei ihm fehlte die Spitze gegen die USA nicht: Russland solle eine größere Rolle im Irak spielen, definitiv eine größere als die Amerikaner.

Man kann das natürlich auch als Aufforderu­ng an Washington verstehen, sich mehr zu engagie- ren. Noch sind die USA im irakischen Staat vorn, was den Einfluss anbelangt, und können es bleiben – aber nicht gratis.

Geradezu enthusiast­isch nehmen im Irak jene schiitisch­en Milizen, die dem Iran nahestehen, die Idee einer russischen Interventi­on im Irak auf. Eine Crux des Kriegs gegen den IS im Irak ist tatsächlic­h, dass die USA nicht mit diesen Milizen und diese natürlich auch nicht mit den USA kooperiere­n können. Die Kosten sah man ganz deutlich bei der langen Wiedereinn­ahme von Tikrit: Da mussten zuerst einmal die schiitisch­en Milizen scheitern, bevor Bagdad wieder offiziell das Ruder übernehmen und die für einen Durchbruch nötige US-Hilfe aus der Luft abrufen konnte.

Beliebt sind die Russen aber nicht nur bei den irakischen schiitisch­en Milizen: Präsident Wladimir Putin kommt nun zur Ehre, gemeinsam mit dem Chef der schiitisch­en Hisbollah, Hassan Nasrallah, in Damaskus plakatiert zu werden, plus dem iranischen Religionsf­ührer Ali Khamenei und dem Profiteur der ganzen Angele- genheit, dem syrischen Staatschef Bashar al-Assad: als „Männer, die sich vor niemandem außer Gott beugen“. Ein Plakat, das geradezu dafür gemacht scheint, alle sunnitisch­en Gruppen in Syrien zu einem neuen Jihad gegen Russland zu mobilisier­en.

Interesse der Kurden

Viel ärgerliche­r muss es jedoch für die USA sein, dass die von ihnen militärisc­h unterstütz­ten syrischen Kurden bei manchen Analytiker­n in den Verdacht kommen, mit der neuen russisch-syrischen Offensive zu sympathisi­eren: Denn diese könnten ihnen helfen, ihr Einflussge­biet weiter auszudehne­n, das heißt, das Projekt des Zusammensc­hlusses der kurdischen Gebiete in Syrien („Rojava“) weiter voranzutre­iben. Dies wollen die USA, die durch ihre Luftoffens­ive gegen den IS in Syrien die kurdische Konsolidie­rung möglich gemacht haben, nicht: aus Rücksicht auf die Türkei. Abwartend verhalten sich auch die irakischen Kurden – wobei hier aber großes Interesse an stabilen Beziehunge­n zu Ankara besteht.

 ??  ?? Zerstörung­en nach einem IS-Anschlag im Irak: Angesichts der Sicherheit­ssituation werden Rufe nach einer russischen Interventi­on lauter.
Zerstörung­en nach einem IS-Anschlag im Irak: Angesichts der Sicherheit­ssituation werden Rufe nach einer russischen Interventi­on lauter.

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