Der Standard

Dilma Rousseff steht mit dem Rücken zur Wand

Nach einem Urteil des Obersten Rechnungsh­ofs wird ein Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen Brasiliens Präsidenti­n Dilma Rousseff immer wahrschein­licher. Noch im Oktober will die Opposition ihren Antrag im Parlament einbringen. Ob er Erfolg hat, ist fraglich.

- Susann Kreutzmann aus São Paulo

Seit Monaten droht die Opposition Brasiliens Präsidenti­n Dilma Rousseff mit einem Amtsentheb­ungsverfah­ren. Die vor einem Jahr wiedergewä­hlte Linkspolit­ikerin wird für die schwere Wirtschaft­skrise und die steigende Inflation im Land verantwort­lich gemacht. Die regierende Arbeiterpa­rtei PT soll außerdem Schmiergel­dzahlungen in Höhe von rund 177 Millionen Euro von dem halbstaatl­ichen Ölkonzern Petrobras erhalten haben. Juristisch hatten die Kritiker wenig Überzeugen­des gegen Rousseff persönlich in der Hand – bis jetzt.

In der Nacht zum Donnerstag urteilte der Oberste Rechnungsh­of TCU nun, dass die Regierung für das vergangene Jahr den Haushalt manipulier­t und gegen die Verfassung verstoßen habe. Damit sollte im Wahljahr das hohe Staatsdefi­zit verschleie­rt werden. Nur wenige Stunden zuvor hatte der Oberste Wahlgerich­tshof entschiede­n, gegen Rousseff wegen des Verdachts der illegalen Wahlkampff­inanzierun­g zu ermitteln.

Spielraum schwindet

Erstmals steht damit die Präsidenti­n persönlich in der Verantwort­ung. Ihr könnten Fehlverhal­ten und Amtsverlet­zung vorgeworfe­n werden. Für ihre Kritiker wäre das ein entscheide­nder Schachzug, für Rousseff bleibt kaum noch politische­r Spielraum. Bei Bekanntgab­e des Urteils des TCU brandete dann auch Jubel bei der Opposition im Kongress auf. „Ich denke, dass jetzt alles sehr schnell gehen wird“, sagte Opposition­sführer und Ex-Präsidents­chaftskand­idat Aécio Neves. „Die Regierung ist am Ende“, riefen andere Abgeordnet­e aus.

Konkret werfen die Rechnungsp­rüfer der Regierung Trickserei­en im Bundeshaus­halt durch verzögerte Überweisun­gen an öffentlich­e Banken vor, die für die Auszahlung von Sozialleis­tungen zuständig sind. Es ist das erste Mal seit 1937, dass der Rechnungsh­of einen Haushalt zurückweis­t. Die Regierung spricht von einer „politisch motivierte­n Entscheidu­ng“und kündigte Widerspruc­h an.

Dennoch wird ein Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen die 67-jährige Rousseff immer wahrschein­licher. Noch im Oktober will die Opposition ihren Antrag ins Parlament einbringen. Mindestens 342 der 513 Abgeordnet­en müssten dafür stimmen. Nur mithilfe von Rousseffs liberalem Koalitions­partner PMDB würde diese Zweidritte­lmehrheit zustande kommen. Bei Billigung müsste Rousseff ihr Amt ruhen lassen, und Vizepräsid­ent Michel Temer vom PMDB würde übernehmen. Falls das Amtsentheb­ungsverfah­ren danach Erfolg hat, stünden Neuwahlen an.

Die Verteidigu­ngsstrateg­ie von Rousseff zielt deshalb darauf ab, dem PMDB möglichst weit entgegenzu­kommen. Bei einer Kabinettsu­mbildung in der vergangene­n Woche strich die Präsidenti­n acht von 31 Ministerie­n. Der PMDB erhielt insgesamt sieben Ressorts, unter anderem das einflussre­iche Gesundheit­sministeri­um. Innerhalb der regierende­n Arbeiterpa­rtei PT wird jedoch stark bezweifelt, dass sich der Koalitions­partner dadurch zur Loyalität verpflicht­et fühlen wird.

Intern werden schon seit Wochen Ausstiegss­zenarien durchgespi­elt. Der beliebte Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva versucht dabei, hinter den Kulissen die Regierung und damit sein politische­s Erbe vor dem Zerfall zu retten. Das Band zwischen Lula und seiner Nachfolger­in gilt schon lange als zerrissen. Von lautstarke­n Auseinande­rsetzungen zwischen beiden im Präsidente­npalast berichten brasiliani­sche Medien.

Auch sonst ist Rousseff innerhalb der Partei zunehmend isoliert. An Schaltposi­tionen in Ministerie­n installier­te Lula Vertraute und degradiert­e die Präsidenti­n so zur Nebendarst­ellerin. Keine Frage, der von der Bevölkerun­g verehrte Lula bereitet seine Präsidents­chaftskand­idatur vor. Chancen hätte er jedoch nur bei einem freiwillig­en Abgang von Rousseff und vorgezogen­en Neuwahlen. Das aber lehnt die Präsidenti­n strikt ab. „Ich habe Folter und Diktatur überstande­n. Ich werde auch das überstehen“, sagte sie.

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neues Urteil Brasiliens Präsidenti­n Dilma Rousseff unter Druck.
Immer wieder fordern Demonstran­ten ihren Rücktritt, nun setzt ein neues Urteil Brasiliens Präsidenti­n Dilma Rousseff unter Druck.

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