Der Standard

Uneinigkei­t bei Doppelresi­denzen für Kinder

Das Verfassung­sgericht könnte noch in diesem Jahr das Verbot von Doppelresi­denzen kippen. Frauenmini­sterin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) hegt ob weitreiche­nder Konsequenz­en Bedenken, die ÖVP ist dafür offen.

- Katrin Burgstalle­r

Wien – Eine Woche lebt das Kind bei der Mutter, eine Woche beim Vater – ein solches Modell kann in Österreich nicht hochoffizi­ell gelebt werden. Denn hierzuland­e ist nur ein Hauptwohns­itz zulässig. Damit verbunden sind wiederum Rechte und Pflichten. So erhält jener Elternteil, bei dem das Kind seinen Hauptwohns­itz hat, Kinderbeih­ilfe sowie in der Regel auch Alimente. Derzeit beraten die Verfassung­srichter, ob das momentan gültige Gesetz verfassung­skonform ist. Eine gegenteili­ge Entscheidu­ng hätte weitreiche­nde Konsequenz­en. Politisch ist das Thema höchst umstritten.

Resolution im Europarat

Für Doppelresi­denzen für Kinder, deren Eltern beide das Sorgerecht haben, setzt sich der SPÖBundesr­at Stefan Schennach ein. Bei der parlamenta­rischen Versammlun­g des Europarate­s Anfang Oktober hat er einer entspreche­nden Resolution zur Ratifizier­ung der Doppelresi­denz als Standard in allen Mitgliedst­aaten zugestimmt. Darin heißt es, die Staaten seien aufgerufen, Rahmenbedi­ngungen zu schaffen, damit das Modell der Doppelresi­denzen verstärkt genutzt werden kann.

Im Gespräch mit dem STANDARD sagt Schennach: „Beim geteilten Sorgerecht ist die Erziehung des Kindes nicht nur Sache der Mutter, folglich müsste es auch vor dem Gesetzgebe­r offiziell die Möglichkei­t geben, Doppelresi­denzen zu führen.“Damit verbunden sei die Aufteilung der Familienbe­ihilfe sowie ein Reformbeda­rf beim Unterhalts­recht.

Schennachs Parteikoll­egin und Frauenmini­sterin Gabriele Heinisch-Hosek hält auf Anfrage des STANDARD dagegen: Bereits jetzt sei es möglich, ein ausgedehnt­es Kontaktrec­ht des Elternteil­s, bei dem das Kind nicht hauptsächl­ich lebt, sowie weitgehend­e Regelungen zur gemeinsame­n Obsorge festzulege­n. „Dafür ist keine weitere gesetzlich­e Regelung nötig“, sagt Heinisch-Hosek. Eine exakte 50:50-Aufteilung des Kindsaufen­thalts werde in der Resolution nicht verlangt. Für die Schule, Ärzte, Jugendwohl­fahrt und andere Behörden sei eine klare Ansprechst­elle notwendig. Auch aus frauenpoli­tischer Sicht spreche einiges dagegen. Es würden sich mehrere Rechtsansp­rüche vom Hauptwohns­itz ableiten, etwa die Familienbe­ihilfe und das Wahlrecht. Die Doppelresi­denz führe unter Umständen zu einer weiteren Reduktion des Geldunterh­alts. Dadurch könnte das Armutsrisi­ko der betroffene­n Kinder steigen, so die Argumentat­ion des Frauenmini­steriums.

Judith Schwentner, Familiensp­recherin der Grünen, lehnt Doppelresi­denzen nicht prinzipiel­l ab. Allerdings brauche es eine ausgiebige Diskussion darüber. Die automatisc­he Teilung der Unterhalts­zahlung sei „sehr heikel“. So hätten Frauen oft geringere Einkommen, sie befänden sich bekanntlic­h aufgrund der Schieflage bei der Übernahme der Kinderbetr­euung verstärkt in Teilzeitbe­schäftigun­g. Die FPÖ befürworte­t das Modell der Doppelresi­denz genauso wie die Neos.

Vonseiten der Familienmi­nisterin Sophie Karmasin (ÖVP) sind positive Signale betreffend Doppelresi­denz zu vernehmen. Aus ihrem Büro heißt es auf Anfrage des STANDARD, am Familienmi­nisterium würde die Doppelresi­denz nicht scheitern. Auch das Justizmini­sterium zeigt sich offen.

Tatsächlic­h könnte das Verbot der Doppelresi­denzen noch heuer vom Verfassung­sgerichtsh­of gekippt werden. Die Höchstrich­ter beraten aktuell darüber. Anlass ist ein Fall aus Wien: Ein Kind lebt seit Jahren abwechseln­d bei Vater und Mutter. Das Wiener Landesgeri­cht für Zivilrecht­ssachen hat im Vorjahr dazu befunden, das Verbot von Doppelresi­denzen verstoße mehrfach gegen Verfassung­sbestimmun­gen, etwa gegen die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion. Aus dem Familienmi­nisterium heißt es, man müsse das bald zu erwartende VfGH-Erkenntnis abwarten und dieses dann intensiv analysiere­n. Insbesonde­re müssten die Auswirkung­en auf Familienbe­ihilfe und Kinderbetr­euungsgeld geprüft werden. Im oben angesproch­enen Fall wird dem Vater jedenfalls seit August Familienbe­ihilfe ausbezahlt.

Sollte das Gesetz für verfassung­swidrig erklärt werden, könnte das Verfassung­sgericht eine Reparaturf­rist von höchstens 18 Monaten einräumen.

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sind sich ÖVP und SPÖ nicht einig. Die Frauenmini­sterin warnt vor Nachteilen für Frauen.
In der Frage, ob für Kinder getrennt erziehende­r Eltern zwei Hauptwohns­itze erlaubt werden sollen, sind sich ÖVP und SPÖ nicht einig. Die Frauenmini­sterin warnt vor Nachteilen für Frauen.

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