Uneinigkeit bei Doppelresidenzen für Kinder
Das Verfassungsgericht könnte noch in diesem Jahr das Verbot von Doppelresidenzen kippen. Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) hegt ob weitreichender Konsequenzen Bedenken, die ÖVP ist dafür offen.
Wien – Eine Woche lebt das Kind bei der Mutter, eine Woche beim Vater – ein solches Modell kann in Österreich nicht hochoffiziell gelebt werden. Denn hierzulande ist nur ein Hauptwohnsitz zulässig. Damit verbunden sind wiederum Rechte und Pflichten. So erhält jener Elternteil, bei dem das Kind seinen Hauptwohnsitz hat, Kinderbeihilfe sowie in der Regel auch Alimente. Derzeit beraten die Verfassungsrichter, ob das momentan gültige Gesetz verfassungskonform ist. Eine gegenteilige Entscheidung hätte weitreichende Konsequenzen. Politisch ist das Thema höchst umstritten.
Resolution im Europarat
Für Doppelresidenzen für Kinder, deren Eltern beide das Sorgerecht haben, setzt sich der SPÖBundesrat Stefan Schennach ein. Bei der parlamentarischen Versammlung des Europarates Anfang Oktober hat er einer entsprechenden Resolution zur Ratifizierung der Doppelresidenz als Standard in allen Mitgliedstaaten zugestimmt. Darin heißt es, die Staaten seien aufgerufen, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit das Modell der Doppelresidenzen verstärkt genutzt werden kann.
Im Gespräch mit dem STANDARD sagt Schennach: „Beim geteilten Sorgerecht ist die Erziehung des Kindes nicht nur Sache der Mutter, folglich müsste es auch vor dem Gesetzgeber offiziell die Möglichkeit geben, Doppelresidenzen zu führen.“Damit verbunden sei die Aufteilung der Familienbeihilfe sowie ein Reformbedarf beim Unterhaltsrecht.
Schennachs Parteikollegin und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek hält auf Anfrage des STANDARD dagegen: Bereits jetzt sei es möglich, ein ausgedehntes Kontaktrecht des Elternteils, bei dem das Kind nicht hauptsächlich lebt, sowie weitgehende Regelungen zur gemeinsamen Obsorge festzulegen. „Dafür ist keine weitere gesetzliche Regelung nötig“, sagt Heinisch-Hosek. Eine exakte 50:50-Aufteilung des Kindsaufenthalts werde in der Resolution nicht verlangt. Für die Schule, Ärzte, Jugendwohlfahrt und andere Behörden sei eine klare Ansprechstelle notwendig. Auch aus frauenpolitischer Sicht spreche einiges dagegen. Es würden sich mehrere Rechtsansprüche vom Hauptwohnsitz ableiten, etwa die Familienbeihilfe und das Wahlrecht. Die Doppelresidenz führe unter Umständen zu einer weiteren Reduktion des Geldunterhalts. Dadurch könnte das Armutsrisiko der betroffenen Kinder steigen, so die Argumentation des Frauenministeriums.
Judith Schwentner, Familiensprecherin der Grünen, lehnt Doppelresidenzen nicht prinzipiell ab. Allerdings brauche es eine ausgiebige Diskussion darüber. Die automatische Teilung der Unterhaltszahlung sei „sehr heikel“. So hätten Frauen oft geringere Einkommen, sie befänden sich bekanntlich aufgrund der Schieflage bei der Übernahme der Kinderbetreuung verstärkt in Teilzeitbeschäftigung. Die FPÖ befürwortet das Modell der Doppelresidenz genauso wie die Neos.
Vonseiten der Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) sind positive Signale betreffend Doppelresidenz zu vernehmen. Aus ihrem Büro heißt es auf Anfrage des STANDARD, am Familienministerium würde die Doppelresidenz nicht scheitern. Auch das Justizministerium zeigt sich offen.
Tatsächlich könnte das Verbot der Doppelresidenzen noch heuer vom Verfassungsgerichtshof gekippt werden. Die Höchstrichter beraten aktuell darüber. Anlass ist ein Fall aus Wien: Ein Kind lebt seit Jahren abwechselnd bei Vater und Mutter. Das Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen hat im Vorjahr dazu befunden, das Verbot von Doppelresidenzen verstoße mehrfach gegen Verfassungsbestimmungen, etwa gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Aus dem Familienministerium heißt es, man müsse das bald zu erwartende VfGH-Erkenntnis abwarten und dieses dann intensiv analysieren. Insbesondere müssten die Auswirkungen auf Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld geprüft werden. Im oben angesprochenen Fall wird dem Vater jedenfalls seit August Familienbeihilfe ausbezahlt.
Sollte das Gesetz für verfassungswidrig erklärt werden, könnte das Verfassungsgericht eine Reparaturfrist von höchstens 18 Monaten einräumen.