Eine Schwalbe macht noch kein Kabarett
Mit „Flügel“legen Scheuba/Palfrader im Rabenhof eine saubere Bruchlandung hin
Wien – Regisseur Werner Sobotka hat gute Arbeit geleistet! Getimt, versiert und flutschend ist 1A. Das Problem des neuen, gemeinsamen Kabaretts von Florian Scheuba und Robert Palfrader ist aber der fehlende Anspruch.
Und das, obwohl sie darin vor dem Dilemma des (nicht) käuflichen Künstlers stehen. Die Bücherwand als Bildungsbürgerobligat im Rücken, sieht man sich mit einer erst undenkbaren, dann aber dankend angenommenen Aufgabe betraut: beim Geburtstag von Didi Mateschitz zu spielen, die „Humorhuren“zu machen.
Dafür werden die beiden, die u. a. schon bei den lern zusammengearbeitet haben, zu den „Bullenschweinen“oder – haha, Wortspiel „damit die Leut merken, bei uns muss ma mitdenken“(Scheuba) – „Bulldosern“. Allerdings, eh klar, kritisch!
Warum sie, die den Bullen bei den Hörnern bzw. Flügeln packen wollen, dann trotzdem 80 Minuten lang machen, was sie kurz vor Programmende als „Adabeikabarett“ablehnen? Niki Lauda? Felix Baumgartner? KHG? Hau drauf!
Jede der Spitzen ist bereits in unzähligen Sticheleien gegen genannte und weitere Intimfeinde wie Wolfgang Fellner, Werner Faymann und „Wo woa mei Leistung?“-Politiker erprobt und belacht worden. Lauter „sichere“Nummern. Hier näher auf sie einzugehen: müßig.
So wird immer mehr zur Schwalbe: Es täuscht vor. Denn dass man etwas zu sagen hat, ist schnell mehr als fraglich. „Ignorieren ist kapitulieren“, erklärt Palfrader im Lauf des als Stück dahergespielten Wuchteldrückens. Als Entschuldigung will man ihm das aber nicht durchgehen lassen.
Je mehr sich die beiden über das Mateschitz-Imperium lustig machen, desto lächerlicher werden sie, weil sich offenbart, wie substanzlos ist. Das aufgebaute Feindbild taugt nicht. Servus-TVBrauchtumssendungen mit dem Auftritt eines Cockring-Schmieds zu begegnen, ist nichts als flach.
Obwohl billig und selbstzufrieden, werden sie damit sicher Erfolg haben. Zum Lachen reicht es für ein Publikum, das es drauf anlegt, nämlich allemal. Großer Premierenapplaus für die neuen Til Schweiger und Matthias Schweighöfer des Kabaretts! rung stiftet: Krieg, Aufbau, Glasnost und Perestrojka, Tschernobyl, Kapitalismus.
Kein Wunder, dass bei einem solchen Übermaß an Geschichte die Haare nicht einfach grau, sondern angelsehnenhart werden.
Dass sie auch verrückt werden können, ist ein Satz von literarischer Qualität. Aber er wurde nicht in dieser Absicht gesprochen, und auch nicht geschrieben. Alexijewitsch kommt es auf etwas anderes an. Ihre Stimme hat sie gefunden, indem sie andere Menschen zum Sprechen brachte. Ein berühmtes Buch Orlando Figes’ über die Stalinzeit trägt den Titel
Es verweist auf das inoffizielle Selbstgespräch der kommunistischen Gesellschaft, das, was man nicht laut sagen durfte. In vergleichbarer Weise, aber von der Seite der Reportage her zur Literatur kommend, hat sich Alexijewitsch schon früh mit unterschlagenen Stimmen beschäftigt, auf die sonst niemand hören wollte.
So ist es eben heute nicht mehr opportun, davon zu erzählen, wie begeistert man einmal von Stalin war, so hat man lange nicht gebührend gewürdigt, mit welchen Opfern die Frauen den Großen Vaterländischen Krieg mitgetragen haben ( Der Krieg hat kein weibliches Gesicht, später folgte ein Buch über Kinder im Zweiten Weltkrieg: so wurden die häufig jungen Männer, die in Afghanistan kämpften oder sogar fielen, nach 1989 schnell vergessen ( ein Buch, das vor dem Hintergrund der Ereignisse in der Ostukraine neue Dringlichkeit bekam). Im Zentrum dieser Collagen, in denen Zeitgeschichte als großer Chor auch von der Heldenlogik der Erzählliteratur befreit wird, steht Tschernobyl: Eine Chronik der Zukunft.
In Rufweite zu den Stimmen
Die Katastrophe in dem Reaktor in der Ukraine betraf Weißrussland besonders stark, aber das war es nicht, was Alexijewitsch herausforderte. Sie sah hier das zentrale Ereignis des Sozialismus, ein Moment, in dem sich technokratische Gewalt endgültig gegen die Menschen wandte. Das Prinzip, dass ein einzelnes Leben im Sozialismus disponibel ist, weil man ja um das höhere Gute des Fortschritts weiß, kehrte sie um, indem sie Werke aus Sätzen, Gestammel und Gemurmel schuf. Mit einer schönen Literatur, in der ein Ich sich ästhetischen Ausdruck zu verschaffen sucht, oder mit der bürgerlichen Distanz realistischer Romane hat das nichts zu tun. Wohl aber mit dem Pathos einer Literatur, die sich als Ausdruck einer bedrängten Humanität sieht.
Konkret bedeutet das auch, dass Alexijewitsch den Diktator Lukaschenko ablehnt, der ihr Heimatland beherrscht. Sie hat sich nie auf Dauer ins Exil drängen lassen, bis heute lebt sie in Rufweite zu ihren Stimmen, eine Oppositionelle, die nicht die Sprache der Macht spricht. Eine Unbeirrbare, die sich nicht verrückt machen lässt.