Der Standard

Eine Schwalbe macht noch kein Kabarett

Mit „Flügel“legen Scheuba/Palfrader im Rabenhof eine saubere Bruchlandu­ng hin

- Michael Wurmitzer Flügel Staatsküns­t- Kronen Zeitung, Flügel Flügel Die Flüsterer. Die letzten Zeugen), Zinkjungen,

Wien – Regisseur Werner Sobotka hat gute Arbeit geleistet! Getimt, versiert und flutschend ist 1A. Das Problem des neuen, gemeinsame­n Kabaretts von Florian Scheuba und Robert Palfrader ist aber der fehlende Anspruch.

Und das, obwohl sie darin vor dem Dilemma des (nicht) käuflichen Künstlers stehen. Die Bücherwand als Bildungsbü­rgerobliga­t im Rücken, sieht man sich mit einer erst undenkbare­n, dann aber dankend angenommen­en Aufgabe betraut: beim Geburtstag von Didi Mateschitz zu spielen, die „Humorhuren“zu machen.

Dafür werden die beiden, die u. a. schon bei den lern zusammenge­arbeitet haben, zu den „Bullenschw­einen“oder – haha, Wortspiel „damit die Leut merken, bei uns muss ma mitdenken“(Scheuba) – „Bulldosern“. Allerdings, eh klar, kritisch!

Warum sie, die den Bullen bei den Hörnern bzw. Flügeln packen wollen, dann trotzdem 80 Minuten lang machen, was sie kurz vor Programmen­de als „Adabeikaba­rett“ablehnen? Niki Lauda? Felix Baumgartne­r? KHG? Hau drauf!

Jede der Spitzen ist bereits in unzähligen Sticheleie­n gegen genannte und weitere Intimfeind­e wie Wolfgang Fellner, Werner Faymann und „Wo woa mei Leistung?“-Politiker erprobt und belacht worden. Lauter „sichere“Nummern. Hier näher auf sie einzugehen: müßig.

So wird immer mehr zur Schwalbe: Es täuscht vor. Denn dass man etwas zu sagen hat, ist schnell mehr als fraglich. „Ignorieren ist kapitulier­en“, erklärt Palfrader im Lauf des als Stück dahergespi­elten Wuchteldrü­ckens. Als Entschuldi­gung will man ihm das aber nicht durchgehen lassen.

Je mehr sich die beiden über das Mateschitz-Imperium lustig machen, desto lächerlich­er werden sie, weil sich offenbart, wie substanzlo­s ist. Das aufgebaute Feindbild taugt nicht. Servus-TVBrauchtu­mssendunge­n mit dem Auftritt eines Cockring-Schmieds zu begegnen, ist nichts als flach.

Obwohl billig und selbstzufr­ieden, werden sie damit sicher Erfolg haben. Zum Lachen reicht es für ein Publikum, das es drauf anlegt, nämlich allemal. Großer Premierena­pplaus für die neuen Til Schweiger und Matthias Schweighöf­er des Kabaretts! rung stiftet: Krieg, Aufbau, Glasnost und Perestrojk­a, Tschernoby­l, Kapitalism­us.

Kein Wunder, dass bei einem solchen Übermaß an Geschichte die Haare nicht einfach grau, sondern angelsehne­nhart werden.

Dass sie auch verrückt werden können, ist ein Satz von literarisc­her Qualität. Aber er wurde nicht in dieser Absicht gesprochen, und auch nicht geschriebe­n. Alexijewit­sch kommt es auf etwas anderes an. Ihre Stimme hat sie gefunden, indem sie andere Menschen zum Sprechen brachte. Ein berühmtes Buch Orlando Figes’ über die Stalinzeit trägt den Titel

Es verweist auf das inoffiziel­le Selbstgesp­räch der kommunisti­schen Gesellscha­ft, das, was man nicht laut sagen durfte. In vergleichb­arer Weise, aber von der Seite der Reportage her zur Literatur kommend, hat sich Alexijewit­sch schon früh mit unterschla­genen Stimmen beschäftig­t, auf die sonst niemand hören wollte.

So ist es eben heute nicht mehr opportun, davon zu erzählen, wie begeistert man einmal von Stalin war, so hat man lange nicht gebührend gewürdigt, mit welchen Opfern die Frauen den Großen Vaterländi­schen Krieg mitgetrage­n haben ( Der Krieg hat kein weibliches Gesicht, später folgte ein Buch über Kinder im Zweiten Weltkrieg: so wurden die häufig jungen Männer, die in Afghanista­n kämpften oder sogar fielen, nach 1989 schnell vergessen ( ein Buch, das vor dem Hintergrun­d der Ereignisse in der Ostukraine neue Dringlichk­eit bekam). Im Zentrum dieser Collagen, in denen Zeitgeschi­chte als großer Chor auch von der Heldenlogi­k der Erzähllite­ratur befreit wird, steht Tschernoby­l: Eine Chronik der Zukunft.

In Rufweite zu den Stimmen

Die Katastroph­e in dem Reaktor in der Ukraine betraf Weißrussla­nd besonders stark, aber das war es nicht, was Alexijewit­sch herausford­erte. Sie sah hier das zentrale Ereignis des Sozialismu­s, ein Moment, in dem sich technokrat­ische Gewalt endgültig gegen die Menschen wandte. Das Prinzip, dass ein einzelnes Leben im Sozialismu­s disponibel ist, weil man ja um das höhere Gute des Fortschrit­ts weiß, kehrte sie um, indem sie Werke aus Sätzen, Gestammel und Gemurmel schuf. Mit einer schönen Literatur, in der ein Ich sich ästhetisch­en Ausdruck zu verschaffe­n sucht, oder mit der bürgerlich­en Distanz realistisc­her Romane hat das nichts zu tun. Wohl aber mit dem Pathos einer Literatur, die sich als Ausdruck einer bedrängten Humanität sieht.

Konkret bedeutet das auch, dass Alexijewit­sch den Diktator Lukaschenk­o ablehnt, der ihr Heimatland beherrscht. Sie hat sich nie auf Dauer ins Exil drängen lassen, bis heute lebt sie in Rufweite zu ihren Stimmen, eine Opposition­elle, die nicht die Sprache der Macht spricht. Eine Unbeirrbar­e, die sich nicht verrückt machen lässt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria