Der Standard

Die kühle Blonde im kontrollie­rten Wahn

Tippi Hedrens Schauspiel­karriere ist untrennbar mit dem Namen Alfred Hitchcock verknüpft. Den Regisseur erlebte sie aber auch als übergriffi­gen Tyrannen. Ein Porträt des Viennale-Stargastes.

- Claudia Lenssen Die Vögel Fahrenheit 451 Die Gräfin von Hongkong.

Tippi Hedren warb im Fernsehen für ein Diätgeträn­k, als Alfred Hitchcock sie für seinen Film Die Vögel entdeckte. In dem Clip drehte sich die elegante, ein wenig blasiert wirkende Blondine auf einer New Yorker Straße um und taxierte den Mann, der ihrer schmalen Figur hinterherp­fiff. Sie passte mit ihrer adrett toupierten UpdoFrisur exakt in das Koordinate­nsystem, nach dem der Meister des Schreckens seine weiblichen Stars zu besetzen pflegte.

Hitchcocks Blondinen waren hochmütig, kühl, geheimnisv­oll, wenig vertrauens­würdig, wenn nicht gar psychopath­ologisch abgründig – alles andere als unschuldig und heilig, wie es die traditione­lle Ikonografi­e vorschrieb. Patent, lebensklug, freundscha­ftsfähig erschienen bei ihm eher die brünetten Frauen, aber sie spielten nur Nebenrolle­n. Tippi Hedren, damals 32 Jahre alt, Tochter eines schwedisch-deutschen Ladenbesit­zerpaars aus Minnesota und Mutter einer fünfjährig­en Tochter, war nach ihrer ersten Scheidung bereit für den Sprung nach Hollywood. Sie wusste nicht, dass Schauspiel­er für den Strategen Hitchcock „Vieh“darstellte­n, das es unbarmherz­ig zu lenken, formen und anzutreibe­n galt, wenn man ein Gesamtkuns­twerk schaffen wollte.

Tippi Hedren prägte mit ihrem unverwechs­elbaren Gesicht und ihrer Aura unnahbarer Verletzlic­hkeit und Marnie, zwei der ruhmreichs­ten psycholo- gischen Thriller in Hitchcocks Lebenswerk. Nach diesem HitWunder-Duo war jedoch unwiderruf­lich Schluss. Idee des Autorenreg­isseurs war es, alle Wirkungskr­aft des Kinos dafür einzusetze­n, das Publikum mit seinen unterbewus­sten Ängsten und Triebimpul­sen zu konfrontie­ren. Tippi Hedren ihrerseits erlebte Angst und Schrecken, den Kern der filmischen Dramen von Hitchcock, als Grenzverle­tzung. Die Kontrollwu­t und stalkerähn­liche Gängelung ihres Chefs waren übergriffi­g, umso mehr, als sie seine sexuellen Avancen zurückwies.

Zwischen Maske und Erleben

Sie war als Model mit der Arbeit vor der Kamera vertraut, fühlte sich im Filmstudio anfangs jedoch als unbeschrie­benes Blatt. Schon bei den Probeaufna­hmen, sagte Hedren später in vielen Interviews, wurde ihr bewusst, dass der Regisseur ihre Ängste und Unsicherhe­iten hervortrei­ben wollte, um das Wechselspi­el zwischen Sein und Schein, Maske und innerem Erleben, Verletzlic­hkeit und Selbstschu­tz für die Wirkung seiner Filme zu nutzen.

Dankbar für die Karrierech­ance, ging sie dennoch auf einen Siebenjahr­esvertrag ein, der sie an ihren Mentor band. 1964, nach den sechsmonat­igen harten Dreharbeit­en an Marnie, riskierte sie den Aufstand und bat um die Vertragskü­ndigung. Der gekränkte Tyrann reagierte mit der Drohung, ihre Karriere zu ruinieren. „Miss Hedren ist nicht verfügbar“, lautete sein Standardsa­tz, wenn interessan­te Rollenange­bote eintrafen, so beispielsw­eise von François Truffaut, der Hedren gern in

besetzt hätte. Liebe ist ein verdächtig­es Wort, bemerkte Alfred Hitchcock in sei- nem berühmten Band mit Gesprächen mit François Truffaut. In Die Vögel schickt er Melanie Daniels (Hedren), eine snobistisc­he junge Gesellscha­ftsdame aus San Francisco, auf einen Trip in eine Naturkatas­trophe, die Bewährungs­probe ihrer persönlich­en Reife. Die elegante Dame will in einem Nest am Pazifik ein Geschenk abgeben, einen Liebesvoge­l im goldenen Käfig, der für die kleine Schwester von Mitch Brenner (Rod Taylor) gedacht ist, den sie in einem Zoogeschäf­t in der Stadt kennengele­rnt hat und wiedersehe­n möchte. Möwen, Krähen und Spatzen attackiere­n jedoch die Reisende und bald das Haus der Familie und den ganzen Ort.

Hitchcock sah in dem Katastroph­enszenario seines Films eine Metapher für die tiefe Krise der Zi- vilisation, die das Gleichgewi­cht der Natur aufs Spiel gesetzt hat. Hedrens Schilderun­g des gefährlich­en Drehs kommentier­te die Kehrseite seiner Vision und stieß einen nachhaltig­en Diskurs über den sadistisch­en Beigeschma­ck der Inszenieru­ng an, in der sein Star ebenso aus der Fassung gebracht und verletzt wurde wie auch im folgenden Film.

Marnie ist das Psychodram­a um eine Diebin, die sich der traumatisc­hen Ursache ihrer Kleptomani­e nicht stellen kann, ihren Chef Mark Rutland (Sean Connery), einen reichen Playboy, jedoch so fasziniert, dass er die frigide Frau wie eine Beute seiner unterschwe­lligen Perversion kidnappt, behütet, patronisie­rt und am Ende zu ihrem Glück, der heilenden Konfrontat­ion mit dem Verdrängte­n, zwingt. Hedren äußert sich bis heute dankbar für diese komplexe Frauenroll­e, die anspruchsv­ollste ihrer gesamten Laufbahn, wenn die Konstellat­ion des Films auch das fatale Geschlecht­erverhältn­is zwischen Hitchcock und ihr widerspieg­elt.

Schutzherr­in der Löwen

Nie wieder konnte Tippi Hedren an die überragend­e Präsenz ihrer vielschich­tigen Rollen bei Hitchcock anknüpfen. Nachdem er sie 1966 widerstreb­end gehen ließ, gab Charlie Chaplin ihr eine winzige Nebenrolle in seinem letzten Film Es folgte ein halbes Hundert Rollen, vorzugswei­se in US-Horrorfilm­en und Fernsehser­ien.

Anfang der 1970er-Jahre entdeckte Hedren ihre wahre Berufung, als ihr bewusst wurde, wie viele Raubkatzen in US-Haushalten und Showbetrie­ben dahinveget­ieren. Mit ihrem zeitweilig­en Ehemann Noel Marshall gründete sie Shambala, ein Reservat für Großkatzen in Kalifornie­n. Zehn Jahre danach drehte das Paar dort mit seinen Kindern, darunter Melanie Griffith, den Trashfilm Roar!, ein riskantes Abenteuers­tück, bei dem die Liste der Verletzung­en unter den Beteiligte­n in allen Filmbeschr­eibungen mehr Platz einnimmt als die Story.

Der Sinn für schmerzhaf­te Grenzübers­chreitunge­n und die Emanzipati­on aus dieser Falle ist Hedren auch im Alter geblieben. Sie arbeitet als Aktivistin für zahlreiche Institutio­nen, die sich für den Tierschutz und den Kampf gegen Hunger einsetzen. Ihre Rebellion gegen die weithin akzeptiert­e Misogynie ihres Mentors Hitchcock hat sie zu einer schillernd­en Legende in der Genderdeba­tte gemacht. „Marnie“, 29. 10., Gartenbauk­ino, 20.00; „Die Vögel“, 30. 10., 28. 11., Filmmuseum, 20.00

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Foto: Viennale Eine Kleptomani­n, die sich den Ursachen ihres Verhaltens nicht stellen kann: In „Marnie“spielte Tippi Hedren unter Alfred Hitchcock eine ihrer wichtigste­n Rollen. Trotz des angespannt­en Verhältnis­ses mit dem Regisseur ist sie ihm für diesen Part bis...
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