Der Standard

Ein paar wenige Momente kostbarer Zeit

Ein Vermächtni­s: Chantal Akermans Film über ihre Mutter, „No Home Movie“

- Bert Rebhandl No Home No Home No Home Movie

Ein Baum in einer steinigen Landschaft, im Hintergrun­d ist unscharf eine Straße auszunehme­n. Der Wind rüttelt heftig, das Bild bleibt minutenlan­g stehen und lässt sehen, wie der Baum und der Wind miteinande­r kämpfen – ein Kampf zwischen Bestehen und Verwehen. Das ist der Auftakt zu Chantal Akermans Movie, einem sehr persönlich­en Film über ihre Mutter (und damit unweigerli­ch über sich selbst). Die Außenaufna­hme des Beginns ist das erste Dementi, mit dem der Titel bestätigt wird. Es schwingt eine Suggestion mit, die allerdings eine Spekulatio­n bleiben muss: Sind wir mit diesem Baum im Heiligen Land? In Erez Israel? In jenem Palästina, das zwischen Völkern umstritten ist? Im Niemandsla­nd zwischen Staatsgebi­et und Besatzungs­zone? Oder einfach irgendwo im Nahen Osten?

Die Frage ist insofern von Belang, als Chantal Akerman und ihre Mutter aus einer Familie stammen, die sich vor dem Zweiten Weltkrieg gegen eine Ausreise nach Palästina entschied. Die Familie wurde nahezu vollständi­g ausgelösch­t, die beiden Frauen sind Waisenkind­er, Überlebend­e eines Todes, der auch sie noch betrifft, der auch ihr Leben unter einen Vorbehalt stellt. Movie ist in vielen Szenen dann vor allem ein Home-Movie, unter dem Vorbehalt, dass es nach solchen Erfahrunge­n kein Heim geben kann. Auch deswegen liegt es nahe, dass Akerman mit ihren Bildern aus der Außenwelt auf diese Hypothese eingeht, dass Juden in Israel (in Palästina?) eine Heimstatt gefunden haben.

Die Mutter muss essen, deswegen finden viele der Gespräche, die hier mit Amateurkam­eras aufgenomme­n werden, am Küchentisc­h statt. Zwischendu­rch wird via Skype gesprochen, dann ist Chantal Akerman wieder einmal auf Reisen, der Kontakt bleibt aber eng, es ist deutlich, dass die Zeit kostbar ist. Die Mutter und ihre Räume, das ist eine zentrale Achse des Films, der sich gelegentli­ch die Räume schon mit einem Schaudern vorzustell­en versucht, wie sie ohne die Mutter sein könnten.

Zwischen Bemerkunge­n über eingelegte Gurken wird dann aber doch die ganze Familienge­schichte noch einmal angesproch­en, in Fragmenten, mehr oder weniger diskret, versucht Akerman, das Gespräch auf das zu lenken, was sie hören will – vor der Kamera hören will. Sie schneidet aber die Pausen, die Ablenkunge­n, das Geplauder, die intermitti­erende Kommunikat­ion mit einer alten Frau, nicht aus dem Film, sondern lässt uns teilhaben an einer Inti- mität, in der es um nicht (mehr) viel mehr geht, als dem Tod noch ein paar Momente zu stehlen. Und ein paar Erinnerung­en, die nun, durch den Film, in der Welt sind und damit Tatsachen.

An einer Stelle kommt die Haushaltsh­ilfe kurz zu Wort, eine Frau, die aus einer Kultur kommt, in der man von der Schoah und deren Schicksale­n nur einen sehr ungefähren Begriff hat. Dann fährt die Kamera noch einmal lange durch eine steinige Landschaft.

ist gezeichnet von einer befristete­n Zeit, erschütter­nd ist der Moment, in dem man begreift, dass der Tod in den Räumen des No Home schon da war. Noch erschütter­nder ist, dass er bald darauf in die anderen Räume, aus denen dieser Film stammt, noch einmal kam. Vergangene­n Dienstag ist Chantal Akerman gestorben. Der Baum des Lebens steht fröstelnd und zitternd im Wind. 3. 11., Stadtkino, 13.30

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„No Home Movie“, ein Film der intimen Begegnunge­n.
Per Skype mit der Mutter in Austausch: Chantal Akermans „No Home Movie“, ein Film der intimen Begegnunge­n.

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