Der Standard

Von der Erhabenhei­t des Tuns

Günter Schwaigers Doku „Seit die Welt Welt ist“

- Margarete Affenzelle­r Seit die Welt Welt

Gonzalo (56) lebt mit seiner Familie auf seinem Hof im kastilisch­en Dorf Vadocondes. Eine Frau, drei Söhne, von denen zwei arbeitslos sind. Eine Sau wird geschlacht­et und verarbeite­t. Die Blutwurst gehört gestopft, jeder hilft. Auch die Weinreben müssen gestutzt werden, die Kartoffeln gesetzt. Die Tätigkeite­n sind beschaulic­h, die Worte sparsam.

Sohn Luis (26) redet in Günter Schwaigers Dokumentat­ion Seit die Welt Welt ist erst nach einer Stunde das erste Mal. Geht aber dann gleich in medias res. Er trägt einen Vokuhila und Sneaker: Um die Kartoffele­rnte an eine der Abnehmerfi­rmen überhaupt veräußern zu können, sagt er, ist er gezwungen, auch deren Saatkartof­feln zu kaufen. Über diese Form der Versklavun­g ist er empört. Auch der Mais hat seine Tücken. Als Saatgut sind lediglich Hybridzüch­tigungen erhältlich, deren Früchte gezielt nicht zur erneuten Aussaat taugen. Luis soll Gonzalos Hoferbe werden.

Während die Häuser sich ringsum leeren und allmählich zu probaten Feriendomi­zilen für den internatio­nalen Individual­tourismus mutieren, macht Gonzalos Familie weiter. Viele junge Leute aber suchen Arbeit in der Stadt oder (nicht selten) im Ausland. „Se Vende“ist eine häufige Aufschrift in der rund 300 Einwohner zählenden Ortschaft auf dem tiefen Land ziemlich genau zwischen Madrid und Bilbao. Große Plantagen, wie sie der mitteleuro­päische Supermarkt­kunde kennt oder zu kennen glaubt, gibt es hier im Norden Spaniens nicht.

ist versteht sich aber nicht als Abgesang auf eine struktursc­hwache und von der Globalisie­rung an den Rand gedrängte Gegend und ihre armen Bewohner. Im Gegenteil, Schwaiger folgt in verästelte­n Spuren der tiefen Verwurzelt­heit dieses Daseins und seiner eigenen, widerborst­igen Schönheit. Das Überleben ist gar schwierig, aber die Menschen halten an ihrem Leben fest. Die Wörter „EU“oder „Förderprog­ramm“fallen kein einziges Mal, auch wenn man angesichts dieser von den Weltmarktp­reisen torpediert­en, kleinen Landwirtsc­haft umgehend daran denken muss.

Schwaiger zeigt „sein“Dorf wesentlich erhabener, losgelöst von der wirtschaft­lichen Knechtscha­ft, in der „Freiheit“seines alltäglich­en Tuns: Traktor reparieren und dabei rauchen; baden an der Flussbiegu­ng; ins Open-AirKino am Dorfplatz gehen; Würste selber machen; er zeigt Hummeln, die auf Sonnenblum­en zustürzen. Und wenn das Wildschwei­n das Maisfeld verwüstet hat, flucht Gonzalo, holt die Büchse und zieht bei Dämmerung hinaus auf die Flur seiner Farm in Vadocondes. 27. 10., Stadtkino, 20.30

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an der Freiheit festzuhalt­en.
Foto: Viennale Überleben in Vadocondes heißt, an der Freiheit festzuhalt­en.

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