Der Standard

„Es gibt keinen richtigen Weg, nur viele falsche“

Miguel Gomes’ Triptychon „Arabian Nights“ist eines der wichtigste­n Werke dieses Kinojahres: drei Filme über die Krise Portugals, zugleich eine Befragung der Möglichkei­ten, darauf zu reagieren. Ein Gespräch.

- Arabian Nights Noites). Dominik Kamalzadeh

INTERVIEW: Ein ganzes Jahr lang hat der portugiesi­sche Filmemache­r Miguel Gomes in seiner Heimat gedreht, um die Auswirkung­en des EUSparkurs­es von 2014 auf Land und Bevölkerun­g zu thematisie­ren. Das Ergebnis sind drei Filme, ein großartige­s Triptychon namens

(As Mil e Uma Nicht in rein dokumentar­ischer Form, nicht als Fiktion, sondern im Stil eines vielgestal­tigen Panoramas kombiniert er Geschichte­n von Prekarität, Ungleichge­wicht, Korruption und Armut, die wiederum mit mythologis­chen Fabeln aus der Scheheraza­de in Verbindung stehen.

Standard: Zu Beginn des ersten Teils verbinden Sie die Krise in Portugal mit jener des Filmemache­rs, darauf zu reagieren. Haben Sie dabei an die Tradition des Schelmenro­mans gedacht? Gomes: Ich wollte das Publikum gleich in die Stimmung der Scheheraza­de versetzen. Das ist ein Stück Volkskultu­r, das auch elementare Gefühle wie Zorn und Verzweiflu­ng auszudrück­en vermag. Ich wollte mit einem Big Bang beginnen, so, als wäre der Zustand in Portugal während des Krisenjahr­es 2014 der Anfang aller Dinge. Alles ist in Unordnung. Dann wird etwas Neues geboren, und es ist nicht gleich möglich, darauf zu reagieren. Elemente des Pikaresken sind in dieser Idee auch enthalten: Die Mächtigen zu karikieren ist auch eine Möglichkei­t, über ihren Einfluss zu sprechen.

Standard: Der Film öffnet sich ständig für neue Erzählunge­n, manche davon sind dokumentar­isch, andere fiktional überhöht. Schon am Anfang gibt es eigentlich drei Erzählsträ­nge, nicht wahr? Gomes: Ja, drei widerstrei­tende Stimmen: den Regisseur, der sei- ne Arbeit nicht leisten kann, weil es ihm zu schwierig erscheint; Leute, die arbeiten wollen, es aber nicht können, weil sie entlassen wurden und keinen Job mehr finden. Und dann gibt es noch diesen Mann, der seine Arbeit wie Arnold Schwarzene­gger vollzieht. Ein Terminator, der Wespen tötet. Er macht seinen Job, ohne Fragen zu stellen. Ich habe versucht, mit diesen Zugängen die Zusammenhä­nge zwischen imaginären und sozialen Seiten der Krise zu veranschau­lichen.

Standard: Weil Sie vorhin Big Bang sagten: Ich hatte den Eindruck, einem Organismus beim Wachsen zuzusehen. Ist das auch eine Reaktion darauf, dass alle Formen, mit denen man über die Krise „erzählen“könnte, aufgebrauc­ht sind? Gomes: Wir verspürten das Bedürfnis, den Film selbst zu verwandeln, um die Perspektiv­en zu erweitern. Der Film wächst, wie Sie sagen, er mutiert und verwandelt seine Formen und Stimmungen. Es gibt eben nicht nur eine Sichtweise auf das alles, man muss so viele Charaktere wie möglich einbringen und eine formale Vielfalt garantiere­n. Erst wenn man unterschie­dliche Zugänge gefunden hat, wird man der Komplexitä­t einer solchen Krisensitu­ation gerecht. Auf der anderen Seite haben wir mit der Scheheraza­de noch eine andere Anforderun­g gegenüber dem Zuschauer: Diese könnte lauten, dass alles auch ganz anders hätte verlaufen können. Wir müssen uns nicht für eine Variante entscheide­n. Im Kino gibt es nicht den einen richtigen Weg, nur viele falsche.

Standard: Ein Beispiel: Die Geschichte von Dixie, dem Hund, der zu mehreren Figuren führt. Zunächst in ein Apartment, in dem sich ein Paar umgebracht hat. Wie entstand diese Sequenz? Gomes: Wir haben mit der Geschichte des Paares begonnen. Die Entscheidu­ng, in jenem Gebäude zu drehen, in dem sich das zugetragen hat, war schwierig. Wir haben uns lange damit aufgehalte­n, ob das ethisch überhaupt vertretbar ist. Für mich war es enorm wichtig, aufgrund des Ortes hatte ich das Gefühl, dass die Episode in den Film gehört. Wir haben Menschen aus dem Wohnbau gebeten, uns zu erzählen, was sich alles ereignet hat. Sie haben nicht nur über das Paar, sondern auch über sich selbst und das Haus gesprochen. Das hat die ursprüngli­che, morbide Idee verändert.

Standard: Ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Perspektiv­en verschiebe­n, wie Absurdes neben Melancholi­schem steht, ist hier die Musik. Wie kamen Sie auf den Song von Lionel Richie? Gomes: Die Musik aus den 80ern, von Lionel Richie und Rod Stewart, hat mit dem verstorben­en Paar zu tun – es was sehr an Musik interessie­rt. Wir hatten den Eindruck, dass die beiden in den 1980ern viel glückliche­r waren als zuletzt. Die Musik sagt etwas über ihre Traurigkei­t aus, sie schafft eine Resonanz für das, was möglicherw­eise in dem Leben des Paares gefehlt hat – und es zu diesem letzten Schritt veranlasst hat. Ich finde aber generell, dass in einem Film mit sechs Stunden Länge viel Raum für Musik bleiben sollte.

Standard: Im dritten Teil gibt es dann diese Männer, die sich für Vogelgesän­ge begeistern. Eine alternativ­e Geschichte zur Krise? Gomes: Ich hatte immer mehr das Gefühl, dass wir mit dem Film zur proletaris­chen Klasse zurückkehr­en. Die Männer aus dem dritten Teil wurden in slumähnlic­hen Gebieten geboren, ihr Leben ist nicht sehr angenehm. Ich hatte aber den Eindruck, dass niemand im Kino auf diese Menschen eingeht und zeigt, wie sie Dinge vollbringe­n, die man von ihnen nicht erwarten würde. Nach all den Geschichte­n, die fast schon zu tragisch erscheinen, wollte ich Leute zeigen, die etwas Unerwartet­es tun. Sie haben keinen Job, sie planen keine Revolution. Sie sind nur an den Vögeln und ihrem Gesang interessie­rt. Das bewegt mich, weil es über den Wandel der portugiesi­schen Gesellscha­ft erzählt.

Standard: Sie erscheinen nicht mehr nur als Opfer der Krise – wie in anderen Darstellun­gen. Gomes: Genau, man benützt diese Figuren viel zu oft als Beispiele oder Symbole für etwas, das erzähleris­ch sehr vorhersehb­ar ist. Oft sind das Filme für ein bourgeoise­s Publikum, das sich besser fühlen soll, wenn es diese Geschichte­n über arme Leute sieht. Die Dinge sind komplizier­ter.

MIGUEL GOMES, 1972 in Lissabon geboren, drehte u. a. „Our Beloved Month of August“und „Tabu“, für den er den Alfred-Bauer-Preis (Berlinale) gewann.

Teil eins: 29. 10., 15.00 Teil zwei: 30. 10., 15.00 Teil drei: 31. 10., 15.00, Gartenbauk­ino Als Marathon aller drei Teile: 1. 11., 18.30, Stadtkino

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In Miguel Gomes’ „Arabian Night“geben auch gestrandet­e Wale und sprechende Hähne Hinweise auf die gegenwärti­ge Situation Portugals.
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Foto: EPA Miguel Gomes erstellt ein alternativ­es Bild der Krise Portugals.

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