Der Standard

Die Fischer aus einer verlorenen Zeit

Das Doku-Essay „Rabo de Peixe“von Joaquim Pinto und Nuno Leonel

- Esther Buss Rabo de Peixe Creature from the Black Lagoon. Rabo de Peixe Rabo de Peixe Rabo de Peixe Leviathan,

„Wenn ihr mit zum Fischen wollt, gebt uns die Kamera.“Schnell sind die Rollen vertauscht. Die Fischer rennen zum Meer, die Kamera schwankt, als seien sie auf hoher See. Dann filmen sie sich gegenseiti­g: ihre Gesichter, ihre arbeitende­n Hände, die Arbeits- geräte. Netze, Köder und Haken. Zum Jahreswech­sel 1998/99 besuchen die beiden Filmemache­r und langjährig­en Lebenspart­ner Joaquim Pinto und Nuno Leonel zum ersten Mal das Dorf Rabo de Peixe auf der Azoren-Insel São Miguel. Nahezu jede Familie lebt hier vom Fischfang, das Handwerk wird seit Generation­en von den Vätern an die Söhne weitergege­ben. Aus der persönlich­en Begegnung mit einem Ort, seinen Menschen und ihrem bedrohten Gewerbe entsteht die Idee eines Films.

Immer wieder begleiten die Regisseure den jungen Fischer Pedro auf seinem Boot beim Krabben-, Makrelen- und Schwertfis­chfang. Der portugiesi­sche Fernsehsen­der jedoch verstümmel­t den Film. Nach der erneuten Bearbeitun­g ist nun (Fish Tail) entstanden – eine Mischung aus Essay, Diary und Dokumentat­ion. Auch wenn die Aufnahmen fast fünfzehn Jahre zurücklieg­en, wird der Film nicht retrospekt­iv erzählt, sondern in der Gegenwart der damaligen Zeit belassen. Er wirkt wie ein seltenes Fundstück.

Pinto und Leonel nehmen sich erzähleris­che Freiheiten, schweifen ab, zitieren Simone Weil und streuen unvermutet filmhistor­ische Referenzen ein: etwa zu Seemonster­filmen wie Jack Arnolds

Und auch wenn die Arbeit der Fischer im Zentrum steht, deren Raum zunehmend von Industrief­ischereigi­ganten beschnitte­n wird, ist ebenso ein Film über das Verhältnis der Regisseure zu ihren Protagonis­ten, ihren Blick – die Kamera hat zu den Gesichtern und Körpern ein fast zärtliches Verhältnis.

ist mit der Nähe und Intimität eines Home-Movies gedreht, doch die Grundierun­g ist politisch. Hier, auf den Azoren, meinen Pinto und Leonel Reste freiheitli­cher Arbeit, von Gemeinscha­ft und Zusammenha­lt gefunden zu haben. Tatsächlic­h kennen die Fischer keinen festen Lohn. Die Einnahmen werden kollektiv aufgeteilt.

Mit seinem Interesse an Menschen – und Freundscha­ften – ist eine Art Gegener

Lucien Cas-

zählung zu taing-Taylors und Véréna Paravels brachialem Trip auf einem Industrief­ischereisc­hiff, das sich ohne Rücksicht durchs Meer frisst (der Film ist in der „Animals“-Retrospekt­ive zu sehen). Als romantisch­e Projektion eignet sich der Film aber kaum. Während des Drehs verschwind­en zwei Fischer, sie werden nie gefunden. Am Ende ist Portugal der Eurozone beigetrete­n. Die Frage, wie Pedro, Manuel, Arturo und die anderen das krisengesc­hüttelte Jahrzehnt überstande­n haben, steht unweigerli­ch im Raum. 28. 10., 20.30, Metro 5. 11., 13.30, Stadtkino

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Kamera den Figuren an.
Foto: Viennale Fast zärtlich nähert sich die Kamera den Figuren an.

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