Der Kampf um die Bezirke: Wien ist nicht nur rot
Politisch hat sich Wien Grätzelcharakter bewahrt: In den 23 Bezirken gibt es höchst unterschiedliche Mehrheitsverhältnisse. Ein Rundblick in schwarze, blaue und grüne Hochburgen einer traditionell roten Stadt.
Es gibt Orte in der Stadt, da war der sonst so unauffällige Herr mittleren Alters fast schon dominant. In Döbling etwa verbreitete ÖVP-Chef Manfred Juraczka seine vom Charme der Achtzigerjahre umwölkten Slogans zur Rettung von Gymnasium und Autofahrern besonders massiert via schwarz-gelb getexteter Plakate. Kein Wunder: Im villendurchsetzten 19. Gemeindebezirk haben die Schwarzen einen ersten Platz zu verteidigen.
Ja, das gibt es. Obwohl sich in der Stadt wegen der späten Industrialisierung nie ein besonders großes, aus eigener Wirtschaftskraft stark gewordenes Bürgertum formieren konnte, ist Wien keinesfalls durchgängig rot. Nicht nur die einstigen Vororte am Wienerwaldrand wie Hietzing, Währing und Döbling sind, historisch gesehen, bürgerliche Domänen, sondern auch einige Bezirke im Inneren der Stadt. Allerdings nagt der Zahn der Zeit dort nicht nur an den Gründerzeitfassaden: Der ÖVP bricht das Elektorat weg.
Am besten lässt sich dieses Phänomen zwischen Ring und Gürtel, der inneren und äußeren Rundstraße Wiens, studieren. Zwar floriert dort immer noch ein bürgerliches Milieu, doch die gutgebildeten Töchter und Söhne aus so- lide situierten Mittelstandsfamilien denken liberaler als ihre Eltern. Als „Bourgeois Bohemiens“, kurz Bobos, kennt man diese Spezies heute: Sie vereint, zumindest in der Theorie, Kapitalismus mit sozialem Gewissen, Karriere mit alternativem Lebensgefühl – und wählt alles, was schicker und weltoffener wirkt als die ÖVP.
Bisher haben davon vor allem die Grünen profitiert: Dass sie derzeit trotzdem nur in einem Bezirk den Vorsteher stellen, liegt an den parteiinternen Querelen der Vergangenheit, die sie bei den Wah- len vor fünf Jahren etwa in der Josefstadt den ersten Platz kostete. Auch Neos und die SPÖ, die sich mancherorts vom alten Apparatschikflair befreit hat, fischen in diesem Teich.
Swinger und Bezirkskaiser
Die Liste der potenziellen „Swing-States“, in denen Mehrheiten wackeln, ist deshalb lang. Döbling, wo „Bezirkskaiser“Adolf Tiller kraft seiner Persönlichkeit die schwarze Mehrheit seit 1978 verteidigt, obwohl der Bezirk bei anderen Wahlen längst rot wählt, zählt ebenso dazu wie die Wieden (4. Bezirk), Mariahilf (6.) oder eben die Josefstadt (8.). Im Einzugsgebiet dieser Innenbezirke gibt es auch ein Thema, das neben der alles beherrschenden Flüchtlingsfrage möglicherweise nicht ganz untergeht: die Neugestaltung der Mariahilfer Straße, Wiens bekanntester Einkaufsmeile, als Fußgängerzone. Wie es in der Stadt Tradition hat, gab es vor und während des Umbaus ein Rieseng’frett, das nach Fertigstellung scheinbar gelassener Zufriedenheit wich. Ob diese trügerisch ist, werden vor allem die Grünen merken, die als Juniorpartner der rotgrünen Stadtregierung treibende Kraft hinter dem Projekt waren.
Ein politischer Sonderfall ist der erste Bezirk. Seit 1946 ist die stinkreiche Innenstadt in schwarzer Hand, doch seit die resolute wie eigenwillige Bezirksvorsteherin Ursula Stenzel nach Ausbootung durch die eigene Partei bei der FPÖ andockte, sind die Karten neu gemischt. Ob Schwarz, Rot, Blau oder Grün – für die City schien (fast) jede Farbe möglich.
Ewiger Wickel um Ausländer
Ganz andere Wählermassen werden freilich in den großen Flächenbezirken bewegt: Favoriten, Simmering, Floridsdorf und Donaustadt vereinen mehr als ein Drittel der gesamten Wiener Bevölkerung. Dort stehen die großen Gemeindebauten und andere von der Stadt geförderten Wohneinheiten, doch ein gemütliches Heimspiel hat die permanent regierende SPÖ schon lange nicht mehr. Die FPÖ macht im Kampf um den „kleinen Mann“Meter um Meter, die von hoher Arbeitslosigkeit und Flüchtlingskrise geprägte Stimmungslage versprach einen weiteren Sprung.
Es sind Abstiegsängste von der Mittelschicht abwärts, die den Blauen Wähler zutreiben – und natürlich der ewig beschworene Wickel zwischen Einheimischen und „Ausländern“. Mit der tatsächlichen Präsenz von Zuwanderern hat dies nicht zwangsläufig zu tun: In der Donaustadt mit einem für Wiener Verhältnisse bescheidenen Migrantenanteil von einem runden Viertel setzt die FPÖ der SPÖ stärker zu als etwa in Rudolfsheim-Fünfhaus, wo bereits jeder zweite Bürger Migrationshintergrund aufweist.