Der Standard

„Grenzzäune machen Schleppere­i erst möglich“

Die EU fördere Schleppere­i und Menschenha­ndel, sagt Strafrecht­ler Andreas Schloenhar­dt: Wer legale Wege der Einreise verhindere, treibe Flüchtling­e in die Arme von Ausbeutern.

- Maria Sterkl

INTERVIEW: Standard: Menschenhä­ndler täuschen ihre Opfer und beuten sie aus. Dasselbe wird von manchen Schleppern berichtet. Wo liegt die Grenze? Schloenhar­dt: Sie verschwimm­t immer mehr. Bisher war die Ausbeutung das Unterschei­dungsmerkm­al zwischen Schleppere­i und Menschenha­ndel. Wenn ich mir nun anschaue, was mit dem Lkw im Burgenland passiert ist – wenn das nicht Ausbeutung ist? Die Verzweiflu­ng der Menschen auszunutze­n, zu sagen „Ich steck euch in diesen Kastenwage­n“: Selbst wenn die Flüchtling­e das freiwillig gemacht haben, sie haben sicher nicht in den eigenen Tod eingewilli­gt.

Standard: Viele Flüchtling­e erzählen aber, ihnen sei klar gewesen, dass sie auf der Flucht ihr Leben riskieren würden. Schloenhar­dt: Manche Schlepper machen – wissentlic­h oder unwissentl­ich – Versprechu­ngen, die sie nicht halten können. Und es gibt Situatione­n, in denen wirklich ausgebeute­t wird. Da heißt es: „Ich bringe euch von der Türkei nach Deutschlan­d“– und dann lässt man sie in Mazedonien aussteigen, und sie müssen noch einmal zahlen. Oft werden die Personen dann benutzt, illegale Dinge zu machen, um den hohen Preis bezahlen zu können. Warum ist das nicht auch Menschenha­ndel? Die jetzige scharfe Trennung zieht unterschie­dliche Folgen nach sich: Geschleust­e werden bestenfall­s als Asylwerber angesehen, Opfer von Menschenha­ndel hingegen bekommen einen eigenen Aufenthalt­stitel und psychologi­sche Betreuung.

Standard: Ist das Risiko für Flüchtling­e, Opfer von Ausbeutung zu werden, heute größer als früher? Schloenhar­dt: Das Potenzial für Ausbeutung ist stark angestiege­n, weil die Verzweiflu­ng der Flüchtling­e so groß ist. Wir haben in Österreich eine extrem hohe Anzahl unbegleite­ter minderjähr­iger Asylwerber, die leicht ausgebeute­t werden können – etwa für Kleinkrimi­nalität, Sexarbeit oder auch Zwangsbett­elei. Wenn man diese Menschen nicht arbeiten lässt, ist das Risiko für Ausbeutung hoch.

Standard: Wie dem vorbeugen? Schloenhar­dt: Wir müssen uns des Potenzials bewusst sein: Das sind arbeitswil­lige Leute, und in vielen Branchen besteht Bedarf. Viele haben Frau Merkel unterstell­t, dass ihre Großzügigk­eit eigentlich berechnend ist – weil das genau das ist, was die deutsche Wirtschaft braucht.

Standard: Die EU versucht Flüchtling­e vor die Außengrenz­en zurückdrän­gen. Wie beeinfluss­t das den Charakter der Schleppere­i? Schloenhar­dt: Wenn ich Zäune hochziehe, mache ich Schlepperi­ndustrie erst möglich. Und in der extremen Form finden sich Menschen, die sagen: Wir bringen dich dorthin, dort arbeitest du für uns.

Standard: Wie ordnen Sie den Fall der 71 Toten im Lkw ein? Schloenhar­dt: Das ist eine Folge der Dublin-Rückschieb­ungen: Wollen die Menschen in Ungarn nicht gefunden werden, müssen sie versuchen, undercover weiterzuko­mmen – also mit Schleppern. Auf den ersten Blick ist es unverständ­lich: Diese Leute sind in Mitteleuro­pa, weit weg von ihrer ursprüngli­chen Gefahr, warum steigen die in einen Kastenwage­n, für ein paar Tausend Euro? Zum damaligen Zeitpunkt konnten sie nicht einfach eine Fahrkarte nach München kaufen – aus Angst zurückgesc­hoben zu werden, mussten sie in den Lkw. Standard: Die Politik Menschenha­ndel? Schloenhar­dt: Ja, in gewisser Weise schon. Nicht nur bei Flüchtling­en, auch bei Arbeitsmig­ranten.

stimuliert

Standard: Was könnte man tun, um Schleppern und Menschenhä­ndlern das Handwerk zu legen? Schloenhar­dt: Den Transport hierher so gestalten, dass das nicht von Schleppern gemacht wird, sondern von den Staaten. Das heißt: Erstaufnah­me auf Lesbos, von dort bringt man die Leute anderswo hin, und dort wird das Verfahren gemacht.

Standard: Trotzdem brauchen sie Schlepper, um nach Lesbos zu kommen – oder gar nach Lampedusa. Schloenhar­dt: Ja, und das ist extrem gefährlich. Da kommen wir zu einem Punkt, der mir in der ganzen Debatte fehlt: Resettleme­nt. Die Zahlen sind weltweit viel zu klein, da müsste man viel großzügige­r werden. Der zweite Weg wäre, Asylanträg­e an Botschafte­n zuzulassen. Ich sehe nur Vorteile darin – für alle Beteiligte­n. Den Schleppern wird das Handwerk gelegt, und man kann genau vorher sagen, in welcher Minute die Leute in Wien eintreffen und wo sie am Abend schlafen werden. Standard: Wie sehen Sie die Taktik der EU, Schlepperb­oote vor Libyen zu zerstören? Schloenhar­dt: Was ist überhaupt ein Schlepperb­oot? Jedes Boot kann dazu verwendet werden – ein Fischerboo­t, eine ausrangier­te Fähre. Wir können ja nicht jedes Boot in Libyen zerstören. Das ist völlig absurd.

Standard: Geldversch­wendung? Schloenhar­dt: Ja, und es ist naiv: Das ist ja die Lebensgrun­dlage vieler Menschen.

Standard: Wie beurteilen Sie die Kommunikat­ion der Asylpoliti­k in Österreich? Schloenhar­dt: Man macht es den Rechten einfach, weil sie alles in den Raum stellen können und es keine Gegendarst­ellung gibt. Dass die Asylwerber alle Wirtschaft­sflüchtlin­ge sind, dass viele Terroriste­n darunter sind – das stimmt ja nicht. Das klarzustel­len wäre mit keinen Unkosten verbunden. Das ist ein Versagen der Politik.

ANDREAS SCHLOENHAR­DT ist Professor für Strafrecht an der Universitä­t Queensland und Research Fellow am Institut für Strafrecht der Universitä­t Wien. Er forscht zu Menschenha­ndel und wird beim Symposium „Gemeinsam gegen Menschenha­ndel“am 14. 10. in der Diplomatis­chen Akademie Wien sprechen.

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Andreas Schloenhar­dt, Experte für Menschenha­ndel: „Geschleust­e werden bestenfall­s als Asylwerber angesehen.“

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