Der Standard

Grenzfall als ein Routinefal­l

An der Grenze im burgenländ­ischen Nickelsdor­f ist zwar noch keine Ruhe eingekehrt. Doch aber jene Ordnung, die sich der Routine verdankt, mit der täglich mehrere Tausend Menschen empfangen werden.

- Wolfgang Weisgram

Nickelsdor­f – Ein wenig wirken die Protagonis­ten selbst überrascht davon, wie schnell ihnen alles in Fleisch und Blut übergegang­en ist. Am ersten Septemberw­ochenende herrschte im nordburgen­ländischen Nickelsdor­f beinahe der Ausnahmezu­stand. Einen Monat später, am ersten Oktoberwoc­henende, geläufige Routine. Auf weiterhin hohem Niveau.

Am ersten Oktoberwoc­henende kamen immerhin 13.000 Menschen. Von 1. Oktober bis zum vergangene­n Samstag erreichten 54.102 Flüchtling­e das mittlerwei­le schon berühmt gewordene Flugdach in Nickelsdor­f – um von dort aus in aller Ruhe weitertran­sportiert zu werden, wo immer ein winterfest­er Platz ist.

Helmut Marban, der Sprecher der burgenländ­ischen Polizei, ist einigermaß­en stolz darauf, die Flüchtling­skrise mit so hoher Profession­alität („Die meisten bleiben keine zwei Stunden hier“) abgewickel­t zu haben. „Seit dem 5. September sind rund 230.000 Flüchtling­e ins und durchs Burgenland gekommen.“Und dennoch habe es „keine einzige unschöne Szene gegeben“.

Das lag auch daran, dass die im Einsatz stehenden Organisati­onen – Polizei, Rotes Kreuz und seit kurzem auch das assistiere­nde Bundesheer – fein aufeinande­r abgestimmt vorgehen. Jeder packt an und weiß dabei, an welchem Griff er das zu tun hat.

Dazu kommt eine gewisse Lernfähigk­eit. „So einen Einsatz“, sagt Rotkreuzsp­recher Tobias Mindler, „kann man nicht üben.“Sein Kollege von der Polizei gibt ihm recht: „Das war notgedrung­en Learning by Doing.“

Zum Beispiel das Transport- und Crowdmanag­ement. Die Busse parken nun außer Sichtweite und werden angeforder­t, wenn vom Innenminis­terium ein Quartier durchgegeb­en wird. Das nimmt die Aufregung der Ankommende­n, die ansonsten zu den Bussen drängen würden. Um Drängeln, wie es bei großen Menschenme­ngen unvermeidl­ich ist, zu minimieren, hat die Polizei nun „Schnecken“aufgestell­t, ähnlich jenen beim Einchecken auf Flughäfen.

Die Kommunikat­ion mit den Ungarn funktionie­re zwar immer noch nicht ideal. Immerhin aber habe man nun eine gewisse Vorlaufzei­t. Die knapp vier Kilometer vom Bahnhof Hegyeshalo­m bis zur Grenze werden etwa in einer halben, Dreivierte­lstunde bewältigt, 1000 bis 1500 Menschen sitzen in den von Kroatien hierhergef­ührten Zügen.

Auf österreich­ischer Seite werden sie von 40 bis 50 Rotkreuzle­rn pro Zwölf-Stunden-Schicht erwartet und von ebenso vielen Polizisten und Soldaten. 150 Helfer also, für welche die burgenländ­ische Polizei, so Marban, von Anfang an einen Hauptgrund­satz ausgegeben hat: „Bilder, wie wir sie aus Ungarn gesehen haben, müssen auf jeden Fall vermieden werden.“

Auch beim Roten Kreuz haben sich die Abläufe eingespiel­t. Hier hat man sich, so Tobias Mindler, auf eine reaktive Rolle zurückge- zogen. „Bei Katastroph­en bestimmen wir zumeist das Handeln, sind proaktiv. Hier hat die Polizei die Federführu­ng.“Auf Stabsebene sei das bald geklärt worden.

Jetzt kommt die Zeit der Manöverkri­tik. Das Rote Kreuz habe schon gelernt, die überschwän­gliche Hilfsberei­tschaft in profession­elle Hilfe einzubauen und mit den Kräften zu haushalten. „Wir sind sehr gut, in kurzer Zeit Großes auf die Beine zu stellen. Aber es fehlt uns der lange Atem.“Die Polizei ölt die Stabskoord­inationen. Und bereitet sich vor, die Nickelsdor­fer Erfahrunge­n bei Bedarf in die neuen Hotspots zu tragen. Es sei denn, Deutschlan­d ... Aber daran mag niemand ernsthaft denken.

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Grenzallta­g unterm Flugdach: Kleiderspe­nden werden verteilt, Essen wird gefasst, wer es braucht, nimmt die medizinisc­he Hilfe im Rotkreuzfe­ldspital in Anspruch. Dann geht es weiter in ein Quartier.

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