Der Name der Dinge ist Django
Voraufführung der neuen Choreografie „Title“von Clément Layes im Tanzquartier
Wien – Mit Things that surround us hat der Berliner Choreograf Clément Layes sein Publikum im Tanzquartier Wien bereits vergangenen Herbst entzückt. Am Wochenende war er dort wieder zu Gast und zeigte eine Vorpremiere seiner jüngsten Arbeit Title, die demnächst in Berlin uraufgeführt wird, und seinen Erstling Allege, der allerdings schon bei Impulstanz 2011 zu sehen war.
Layes (37), der in Lyon an einer Zirkusschule gelernt und dann ein Konzeptkunst-, Philosophieund Tanzstudium betrieben hat, ist von Beginn an tief in die wilde Welt der Dinge eingedrungen. Jetzt geht er noch weiter. Dorthin nämlich, wo diese Dinge nicht nur ihre Geschichte erzählen, sondern sich schamlos über die Verhältnisse zwischen sich und dem Körper auslassen.
Aus dem Auditorium kommt erst ein Mann mit einem Musikgerät auf die Bühne, das den Hit
Freedom aus Quentin Tarantinos Film Django Unchained ausscheidet. Erwartet wird er von allerlei Zeugs, das auf einer kreisrunden, weißen Fläche gelagert ist und mit dem er hantiert, als würde er für eine Slapstick-Show proben. Doch der Held bleibt lässig.
Er stolpert nicht, und er fällt nicht auf die Nase. Denn die Tücke des Objekts ist hier kein Thema. Ebenso wenig die Aufgeladenheit der Dinge mit Zeichen wie in den 1990ern bei Jérôme Bels bahnbrechender Arbeit Nom donné par l’auteur . Vielmehr geht es in Layes’ Title um bestimmte Muster im Verhalten einer Solofigur beim Versuch, Flasche, Brett, Kiste, Kübel, Seile, Balken, Topfpflanzenständer, Hut, Dose, Hocker, Akkuschrauber, Buch und sich selbst miteinander in Organisation zu bringen.
All dieses Zeug hat ein Eigenleben. Das wird genutzt. Beim Aufschlagen des Buchs staubt’s dem Helden um die Ohren. Kleine Gags kommen vor. Sichtlich beabsichtigt aber ist zu zeigen, welche Handlungen was über ein Problem aussagen. Und zwar idealerweise über eines, das die Figur auf der Bühne mit dem Publikum gemeinsam haben könnte. Damit geht im Stück auch die Frage einher, ob man überhaupt realisiert, was man tut. Oder ob man sich nicht des Öfteren von seinen Aktionen hinterherschleifen lässt, weil ja alles immer im Fluss und jedes Innehalten eine Illusion ist.
So jedenfalls ergeht es dem einsamen Django, diesem Virtuosen der Improvisation, auf der Bühne. Er leistet Erstaunliches, bleibt aber stets getrieben. Als einer, der scheinbar Unmögliches zustande bringt, den die Zeit aber immer weiterschwemmt. Alles gelingt (sogar ein Manifest vorzulesen: „Auf dieser Welt ist Platz für alle ...“), nichts aber bleibt ihm. Brillant: Layes gelingt es, jegliches Psychologisieren zu vermeiden. Das bleibt der Assoziation des Publikums überlassen. Sophiensaele/Berlin, 22.–25. 10. ein Thronsessel aus dem Holz der Waldorfschulen.
Er bleibt verwaist, denn Kammerherr Alving ist seit zehn Jahren tot. Seine Witwe (Anne Bennent) ehrt das Andenken des syphilitischen Wüstlings, indem sie ein Kinderasyl in seinem Namen eröffnet. Was muss die arme Frau nicht alles durchgemacht haben. In erhabener Hysterie erwehrt sie sich der Erbauungsreden ihres notgeilen Pastors Manders (Klaus Christian Schreiber). Alvings Haushalt ist ein Notstandsgebiet, ein Heim für Hochneurotiker.
Ibsens Prosa wird als Kunstmesse zelebriert. Die Syphilis, vom Geheimrat in die Familie eingeschleust, hat die Figuren zerrieben. Eineinhalb Stunden wohnt man einem szenischen Zersetzungsprozess bei. Längst hat die Paralyse auf die Mundwerkzeuge übergegriffen. Bennent spielt die junge Mutter, die ihrem kranken Sohn Osvald auch deshalb nicht hilft, weil sie selbst völlig von Sinnen ist. Regine (Anna Eger), Osvalds Halbschwester, gibt einen Vamp im Geist des Surrealismus. Eineinhalb Stunden vergehen wie im Flug, und man fragt sich, nicht ohne Amüsement: Hat vielleicht doch Salvadore Dalí Ibsens Gespenster geschrieben?
Das zweite der „Familienfeste“ist eine vergleichsweise prosaische Angelegenheit. Wiederum verstellen ein paar wuchtige Zeichen die Bühne: das bekannte Bäumchen, eine eiserne Treppe, das Modell eines menschlichen Gehirns. Holz gelingt ein zauberhafter Kurzstreckenflug über Woolfs Romangelände. Bennent doppelt sich als Mrs. Dalloway mit Valerie Koch. Schreiber gibt im Seidenhemd Clarissa Dalloways Jugendliebe Peter Walsh: ein herrlich bornierter Vertreter der höheren Stände, auch er ein Gespenst.
Bäumchen im Kreis
Womit man, nach weiteren 40 Minuten, endlich bei Viktoria und ihr Husar angekommen ist. Die Musiker Paul Schuberth und Victoria Pfeil spielen Paul Abrahams Partitur als tieftraurige Kammermusik (Akkordeon, Xylofon, Blasinstrumente). Auf der Bühne dreht sich das Bäumchen nunmehr im Kreis. Der schneidige Husar (Schreiber) durchmisst in knarzenden Stiefeln die Kontinente. Er befindet sich auf der Suche nach Gräfin Viktoria. Bennent mimt das kosmopolitische Salonkätzchen. Es rührt zu Tränen, die große Schauspielerin als Vertreterin der Hochkomik zu sehen.
Doch hat man sich an den Transparenzblusen der Soubretten sattgesehen, bleibt der Weg nach Operetten-Ungarn überraschend steinig. Was immer Armin Holz erzählen wollte, es hat sich wie ein Gespenst aus der Flasche verflüchtigt. Der freundlich akklamierte Dreiteiler gleicht einem Besuch auf der Kunstgewerbemesse. Man freut sich, sieht sich satt. Plötzlich bekommt man Lust auf ein ordentliches Knäckebrot. Was für ein dekadenter Abend.