Der Standard

Identitäts­suche mit Laufband

Argentinie­r Mariano Pensotti beim Steirische­n Herbst

- Colette M. Schmidt

Graz – Eine Musikkasse­tte gibt Alfredo Rätsel auf. Vor vierzig Jahren hat er sie vergraben, um sich vor der Militärdik­tatur Argentinie­ns zu schützen. Doch als er die Säcke mit Marx-Büchern, Notizen und einer Waffe auspackt, ist ihm nur die Kassette, auf der jemand revolution­äre Lieder singt, fremd.

Alfredo ist einer der Protagonis­ten im Stück Cuando vuelva a casa voy a ser otro („Wenn ich zurückkomm­e, bin ich ein anderer“), das Mariano Pensotti geschriebe­n und inszeniert hat. Der Argentinie­r ist als großer Geschichte­nerzähler bekannt und nicht das erste Mal beim Steirische­n Herbst zu Gast. Am oberen Bühnenrand im Grazer Mumuth werden erklärende Texte wie in einem Stummfilm eingeblend­et, auch die Behauptung: „All dies ist wirklich.“

Alfredo erzählt die Geschichte seinem Sohn Manuel, der ein Link in die nächste Geschichte ist, in der es – wie in allen anderen des Abends – um Identitäts­suche geht. Wie viel Authentizi­tät lässt man selbst überhaupt zu? Und wie verändert uns Zeit? So weit, dass man eines Tages die Lieder eines Freundes vergisst, den man versteckt hatte, bevor das Regime ihn schnappte und erschießen ließ.

Aber zurück zu Alfredos Sohn Manuel: Als Autor und Regisseur hatte er vor Jahren einen großen Erfolg. Heute inszeniert er grindige Wahlkampfs­hows, betrügt seine Frau und entdeckt mitten in seinem Doppellebe­n, dass ein anderer sich für ihn ausgibt und sein altes Stück erfolgreic­h bei Festivals zeigt. Manuel gibt sich daraufhin selbst als sein Imitator aus. Ein Gefühl der Befreiung beschleich­t ihn, bleibt aber nur kurz.

Weil Manuel die Songs des toten Freundes seines Vaters heimlich für Wahlkämpfe verwendet, tritt eine junge Frau auf den Plan. Eine erfolglose Musikerin, die die Songs ihres toten Vaters auf besagter Kassette erkennt und mit diesen ihren Durchbruch erlebt. Ja, es könnte einem schwindlig werden, bei den vielen Biografien, die hier am Ende alle verknüpft sind. Wird es aber nicht. Denn Pensotti und seine fünfköpfig­e Grupo Marea lassen die Stränge elegant und rasant nebeneinan­der herlaufen. Innerhalb von Dialogen wechselt man von einer Szene zur anderen. Im Bühnenbild löst das Mariana Tirantte mit einem Laufband, das verschiede­ne Ereignisse aneinander vorbeifahr­en lässt. Nur die deutschen Übertitel kommen dem schnellen Spanisch der Schauspiel­er nicht immer nach.

Am Ende steht der Besuch eines Archäologi­emuseums – und die Erkenntnis, dass die Urzeit einem oft näher ist als die eigenen Familienmy­then. Ein kompakter inspiriere­nder Abend in der Tradition lateinamer­ikanischer Erzähler.

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Foto: Wolfgang Silveri Die Grupo Marea jongliert bühnenwirk­sam mit Biografien.

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