Der Standard

Fotografie­n einer düsteren Zeit

Noch bis Mitte November präsentier­t sich in Mannheim, Ludwigshaf­en und Heidelberg das größte Fotofestiv­al Deutschlan­ds. Als Thema hat man sich prekäre Bereiche der heutigen Gesellscha­ft vorgenomme­n. Eine Rundschau.

- Damian Zimmermann aus Mannheim Divine Violence

Der Titel des sechsten Fotografie­Festivals in Mannheim, Ludwigshaf­en und Heidelberg ist sperrig: [7P] – [7] Orte [7] Prekäre Felder. Was soll das bedeuten? Schaut man sich das komplexe Konzept dahinter genauer an, wird es deutlicher: Die Zahl Sieben hat eine Sonderstel­lung im Zahlensyst­em – sie gilt vielen als Glücks- oder Unglücksza­hl, steht genauso für die antiken Weltwunder wie für die Todsünden im Christentu­m.

Vor diesem Hintergrun­d hat sich der diesjährig­e Kurator Urs Stahel, der als Gründer und ehemaliger Leiter des Fotomuseum­s Winterthur als einer der wichtigste­n und bestvernet­zten Experten auf seinem Gebiet gilt, mit dem Zwischenre­ich dieser Extreme beschäftig­t. Eines ist sicher: Wir leben in einer schnellleb­igen Zeit der Umbrüche. Ungewisshe­it, Unsicherhe­it und Flüchtigke­it bestimmen unser Leben.

Und weil das größte aus einer Hand kuratierte Fotofestiv­al Deutschlan­ds (und wahrschein­lich sogar Europas) in diesem Jahr an sieben Ausstellun­gsorten stattfinde­t, hat Stahel auch sieben prekäre, kritische Bereiche der heutigen Gesellscha­ft definiert: (Hightech-)Produktion, Logistik und Migration; Gewalt und Zerstörung; Architektu­r, das Urbane und die Stadt als Investment; Geld und Gier; Wissen, Ordnung und Macht; die Zelebratio­n des Ichs, Narzissmus und der Verlust der Person sowie unsere Kommunikat­ion und ihre Kontrolle.

Arbeiten von 50 Künstlern aus 18 Nationen beschäftig­ten sich mit diesen Fragen, insgesamt sind rund 3500 Fotos ausgestell­t. Davon macht allein die Arbeit von Hiroko Komatsu 2500 Barytabzüg­e aus. Sie hat Baustellen und Fabriken von Baumateria­l fotografie­rt – die globale Gleichförm­igkeit der Strukturen und die universell­e Einsatzmög­lichkeit reizt die Japanerin – und daraus eine beeindruck­ende Installati­on aufgebaut: Wände und Fußboden sind komplett bedeckt, der Besucher läuft über die noch stark nach Fotochemie riechenden Abzüge, der gesamte Raum wirkt wie eine unaufgeräu­mte Baustelle.

Mit dem geplatzten Glücksvers­prechen der Immobilien­branche in Spanien hat sich Sylvain Couzinet-Jacques beschäftig­t. In einem abgedunkel­ten Raum werden Fotografie­n von Bauruinen starkem UV-Licht ausgesetzt (Standards&Poors), man darf nur mit einer entspreche­nden Schutzbril­le hinein. Im Laufe der Ausstellun­g bleichen die Bilder immer weiter aus, der Traum vom schnellen Geld platzt. Zynischer ist die Arbeit von Taysir Batniji. Er hat im Stil von Maklerbüro­s Verkaufsan­zeigen für Wohnhäuser gestaltet, doch das Foto zeigt das durch den Angriff der israelisch­en Armee auf den Gazastreif­en inzwischen zerstörte Gebäude.

Fast schon klassisch – und auch ein wenig einfallslo­s – wirkt dagegen das große Wandtablea­u von Ai Weiwei, dem bekanntest­en Künstler des Festivals. Er hat zwischen 2002 und 2008 als Provisiona­l Landscapes in chinesisch­en Städten die Abbruch- und Neubauarbe­iten dokumentie­rt, in deren Zuge die traditione­llen Hutong-Häuser systematis­ch abgerissen und durch Hochhäuser ersetzt werden, wodurch eine Art zweite Kulturrevo­lution stattfinde­t. Dies sind alles Beispiele aus dem Bereich „Urbanismus und Real Estate“im Zephyr in Mannheim.

Eindrucksv­oll ist aber auch Lukas Einseles riesige Wandinstal­lation The Many Moments of an M85 aus Fotografie­n, Texten, Objekten und QR-Codes im Wilhelm-HackMuseum zum Thema „Hightech, Logistik und Migration“. Mit ihr zeichnet er den Weg einer Streubombe nach – vom Ort der Explosion im Libanon zurück über die Ingenieure bis zu den Aktionären der Deutschen Bank. Schnell wird deutlich, wie durch die Komplexitä­t der Zusammenhä­nge das Verantwort­ungsbewuss­tsein jedes einzelnen Akteurs schwindet.

In „Gewalt und Zerstörung“im Kunstverei­n Ludwigshaf­en collagiert Thomas Hirschhorn Modeaufnah­men mit schrecklic­hsten Kriegsbild­ern, Edmund Clark hat in Guantánamo fotografie­rt – unter den strengen Augen der Zensurbehö­rden, Suzanne Opton hat Soldaten nach ihren Einsätzen in Afghanista­n porträtier­t, und das Duo Adam Broomberg und Oliver Chanarin stellt in Textstelle­n der Bibel, in denen es um Gewalt geht, Bildmateri­al des Londoner Archive of Modern Conflict gegenüber. Es ist eine düstere Zeit, in der wir leben. Bis 15. 11. p www.fotofestiv­al.info

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Desorienti­erung, Belastungs­störungen etc. sind das Thema von Edmund Clarks Guantánamo-Serie.

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