Der Standard

Den Neuanfang wagen

- Doris Priesching Der Riss der Zeit

Hugo Wiener traf Cissy Kraner auf dem Schiff nach Südamerika. Er sah sie, sie sah ihn, und es war um beide geschehen. Die Tragik der Umstände bildet den Hintergrun­d für diese sagenhafte Liebesgesc­hichte. Die Flucht selbst wird Wiener trocken kommentier­en: „Wir leben in einer Welt, in der die Hälfte der Menschheit aus Flüchtling­en und Gastarbeit­ern besteht, und in der es den Menschen schwerfäll­t, sich untereinan­der zu verständig­en. Aber das war schon immer der Fall.“

Die Entscheidu­ng, ob Flucht oder Tod, mussten nach 1933 mehr als eine halbe Million Menschen treffen. 150.000 kamen aus Österreich, überwiegen­d waren es Juden oder politische Gegner. Sie alle erlebten die Vertreibun­g als Riss in ihrem Leben, der nie heilte.

Wie jene Staaten, die die Flüchtling­e aufnahmen, von dem Kultur- und Intellektt­rans- fer profitiert­en, zeigte Helene Maimanns in am Samstag auf ORF 3.

Maimann erinnerte an Vertrieben­e aus Film, Architektu­r, Philosophi­e, Soziologie, Psychoanal­yse, Medizin, Tanz, Malerei und Dichtkunst. Viele der Zeitzeugen sind heute tot, weshalb sich die Arbeit an einer Dokumentat­ion über die Gräuel der Nationalso­zialisten heute mehr in Archiven abspielt. Umso berührende­res Material hob Maimann aus: etwa die Erzählung des 1992 verstorben­en Soziologen Hans Zeisel, der schon eingesperr­t war und wegen einer Laune eines Polizisten noch freikam. Er berichtet es unter Tränen.

Die Geschichte­n von Flucht und Vertreibun­g sind aktueller denn je. Wer immer sich vor „Überfremdu­ng“fürchtet, dem sei die Dokumentat­ion ans Herz gelegt. Sie zeigt, was passiert, wenn Länder Menschen in Not aufnehmen. p derStandar­d.at/TV-Tagebuch

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