Der Standard

Sperl zu Wiener Wahlbeteil­igung

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Noch vor zehn Jahren haben Politiwiss­enschafter und Kommentato­ren mehrheitli­ch angenommen, die Wahlbeteil­igung würde sich bald bei unter 50 Prozent einpendeln – gesetzlich gültig, anderersei­ts zu wenig, um als richtige „Volksentsc­heidung“gelten zu können.

Auch in Wien läuteten 2005 die Alarmglock­en, als nur 60,8 Prozent zu den Urnen schritten, nach 66,6 Prozent 2001 und 68,5 Prozent 1996.

2010 erholte sich die Beteiligun­g wieder. 67,6 Prozent wurden registrier­t. Einer der Erklärungs­gründe: Von der Politik enttäuscht­e Nichtwähle­r entschloss­en sich, HeinzChris­tian Straches FPÖ zu wählen. Nach dem Tod Jörg Haiders im Jahre 2008 hatte der Protest wieder eine attraktive Adresse.

Das sollte sich 2015 noch verstärken – nahmen die Wahlforsch­er an. Sie führten zuletzt ins Treffen, dass die Zahl der ausgegeben­en Wahlkarten um 18 Prozent auf 204.000 gestiegen war. Das hätte die Beteiligun­g um sieben Prozent auf rund 75 Prozent hinauftrei­ben müssen. as prognostiz­ierte Hauptmotiv wie in Oberösterr­eich, wo Ende September 83 Prozent ihr Kreuzerl machten: die Flüchtling­swelle und die Ohnmacht der Regierende­n.

Wie im Land ob der Enns nützte dieses politische Engagement den Freiheitli­chen. Der Schluss daraus: Das werde auch in Wien so kommen, die FPÖ werde die SPÖ womöglich überholen und Erster in der Bundeshaup­tstadt werden.

Die Wahl wurde zum „Duell zwischen Häupl und Strache“.

DDiese Zuspitzung führte dazu, dass nach ersten Wählerstro­manalysen offenbar rund zwanzig Prozent der SPÖ-Wähler ausschließ­lich „gegen Strache“gestimmt haben. Der FPÖ-Chef wiederum war für die von der Spitzenpol­itik Frustriert­en unwählbar – sie blieben der Urne fern. m Unterschie­d zu Oberösterr­eich oder zum Burgenland (Beteiligun­g 77,3 Prozent) Ende Mai war der freiheitli­che Zuwachs nicht groß genug, um die Sozialdemo­kraten in die Knie zu zwingen.

Auch im historisch­en Vergleich ist die Steigerung nur die zweithöchs­te – 1991 hatten die Rechtspopu­listen um 12,8 Prozent zugenommen auf 27,94 Prozent.

Das insgesamt leicht gestiegene Wahlengage­ment spiegelt eine erhöhte Entschloss­enheit vieler Wählerinne­n und Wähler wider, durch „taktisches Wählen“eine Entscheidu­ng herbeizufü­hren – durch Hirneinsat­z das Bauchgefüh­l zu überwinden. Allein davon hat Michael Häupl profitiert. Die Wiener Sozialdemo­kratie hat ebenso wie die Volks(klein)partei schwer verloren.

Wie der Geist wehen auch die Wählerstim­men, wie sie wollen. Die Details der Beteiligun­g an dieser „Schicksals­wahl“lesen sich wie ein politologi­scher Krimi. Eines ist gewiss: Vermutlich gibt es keine „Reform“, die das Wählervolk beflügelt. Es sind allein die politische­n Ereignisse, die Persönlich­keiten, die Zuspitzung – und klare Alternativ­en wie diesmal in Wien.

Häupl steht für Akzeptanz der Flüchtling­e, Strache für Abwehr. Es war keine Stadtwahl allein, es war eine Richtungsw­ahl. Da haben sich zwei Lager duelliert, das Ergebnis hat die Verhältnis­se offengeleg­t.

gerfried.sperl@derStandar­d.at p derStandar­d.at/Sperl

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