Auf dem Weg in die dritte Republik
Auf den Tag genau sieben Jahre nach dem Tod Jörg Haiders tun alle noch immer so, als könnte nach Wahltriumphen der FPÖ alles beim Alten bleiben. Das ist das sichere Rezept, dass genau diese Annahme nicht eintreffen wird.
Die ÖVP kommt auf acht bis zehn Prozent“, und kollektiver Anhängerbeifall begleitet diese erste Umfrage-Verlautbarung des ORF um 17 Uhr am Wahlabend. Entlarvender kann Klatschen nicht sein. Denn Wien ohne Volkspartei ist nun zwar wie ein Fisch ohne Fahrrad, doch ihr Problembewusstsein typisch für den Zustand auch anderer angeblicher Gesinnungsgemeinschaften: Schlimmstenfalls Dreier- statt Zweierkoalition. Die Karawane zieht weiter, die Flüchtlinge auch. Weiter so, Wien! Weiter so, Österreich! So lautet ungeachtet allfällig anderer öffentlicher Beteuerungen das Fazit der Wahlverlierer.
Ausgerechnet am siebten Todestag von Jörg Haider setzt die FPÖ den Meilenstein 2,9 auf dem Weg zur 3. Republik dieses politischen Untoten. Doch Österreich im Herbst, das bleibt auch 2015 eine Unterschätzung jener FPÖ, die nicht erst durch das Ausrufen der Oktober-Revolution als Geschichtsverdreherin erfolgreich ist. Die historisch ebenso noch aberwitzige Stilisierung ihres Parteichefs zum StraCHE (in Anlehnung an Guevara) hat zielgruppenspezifisch noch besser funktioniert. Junge Männer unter 30 wählen seit langem in erster Linie Blau.
Lernunfähigkeit
Es ist die bisherige Lernunfähigkeit insbesondere von Sozialdemokratie und Volkspartei, durch die das Ergebnis der gestrigen Regionalwahl den Sprengstoff für die 2. Republik birgt. Denn die Watschen vor allem für SPÖ und ÖVP in Wien sind wesentlich mehr durch die jeweiligen Bundesparteien verschuldet als deren Analysten einräumen dürfen. Michael Häupl hat mehr richtig gemacht, als ihm die Geschichtsbücher zugestehen werden: Ohne seine klare Linie in der Flüchtlingsfrage wäre die Niederlage noch schlimmer gewesen. Doch so wie es der Volkspartei an der Größe fehlt, ihr zentrales Problem in der Bundeshauptstadt durch Verpflichtung ihrer besten Köpfe anzugehen, so bleibt auch die Sozialdemokratie vor allem auf Bundesebene ein Hort von Kleingeist.
Immerhin boten die letzten Tage vor der Wahl zuhauf Gele- genheit für staatsmännische Auftritte, die letztlich wohl bis zur kommunalen Ebene durchgedrungen wären. Wenn schon nicht kurzfristig bis zum Duell um Wien, dann wenigstens auf längere Perspektive bis zu nächsten Nationalratswahl. Doch während die deutsche Kanzlerin und Frankreichs Präsident gemeinsam im Europäischen Parlament auftreten, bleiben die hiesigen Pendants in Deckung.
Werner Faymanns Interviews von der griechischen Insel sind bemüht, aber machen keinen Staatsmann. Von Heinz Fischer ist eine Rede an die Nation längst überfällig. Spätestens HeinzChristian Straches vielbelächelter und -kritisierter Versuch, diese Lücke per YouTube-Video auszufüllen, hätte die Spitzen der Sozialdemokratie wachrufen müssen. Dass weder Vizekanzler Reinhold Mitterlehner noch Außenminister Sebastian Kurz in die Bresche springen, zeigt wie gegenseitig das Dilemma der Bundeskoalitionäre ist.
Wenn nun die SPÖ in ihrer Hochburg auf eine Drittelpartei reduziert ist und die ÖVP dort als Zwerg verkümmert, wirkt das für beide Parteien mittelfristig national existenzbedrohend. Erstmals bei einer Wahl auf Bundesund Landesebene bleiben sie nun in Wien auch zusammen unter 50 Prozent. Da nutzt den einen ihre Südstärke so wenig wie den anderen ihre Westachse. Denn bei genauerer Betrachtung bleibt der Sozialdemokratie neben einem strategischen Problem in der Steiermark ein inhaltliches im Burgenland und ein finanzielles in Kärnten. Die Volkspartei wiederum kann auch mit ihrer absoluten Mehrheit in Niederösterreich nicht die Schwäche in der Metropole ausgleichen.
Noch sind 1084 Tage Zeit bis zu einem fiktiven Nationalratswahltermin am 30. September 2018. Drei Jahre, die auch in Österreich mitunter schon eine ganze Legislaturperiode waren. Doch es wird nichts nutzen, bloß ein paar Köpfe zu tauschen. Und dann weiter so? Die FPÖ rückt nicht durch „Weiter so“in die Nähe der 3. Republik. Sie hat auch keinen überragenden Spitzenkandidaten. Doch während Werner Faymann mittlerweile seine Stimme senkt, isst Heinz Christian Strache Krei- de. Bei den Freiheitlichen funktioniert die Einheit von Programm, Partei und Person. Sozialdemokratie und Volkspartei agieren mit Kalkül statt Ziel, Taktik statt Strategie und Propaganda statt Transparenz.
Historische Paralelle
Das Ergebnis vom Sonntagabend birgt die große Gefahr, dass alle so weitermachen. Das letzte Mal, als die Wiener Wahl drei Jahre vor der Nationalratswahl stattfand, war 1996. Damals landete die SPÖ in Wien erstmals unter vierzig Prozent und verlor dann 1999 als stärkste Partei die Kanzlerschaft. Wenn Sozialdemokraten und Volkspartei über 2018 hinaus an der Spitze diese Staates bleiben wollen, dann braucht es heute einen mutigen Kraftakt, wie ihn einst Gerhard Schröder und vor wenigen Tagen Angela Merkel in Deutschland gesetzt haben: Werner Faymann und Reinhold Mitterlehner müssen zeigen, dass ihnen die Lösung der größten Probleme dieser Republik wichtiger sind als die eigenen Karrieren. Und die Parteien müssen hinter ihnen stehen. Ansonsten gibt es zhen Jahren nach Jörg Haiders Tod die 3. Republik.
PETER PLAIKNER (54) ist Medienberater und Politikanalytiker sowie Lehrgangsmanager für Politische Kommunikation an der Donau-Uni Krems.