Der Standard

Auf dem Weg in die dritte Republik

Auf den Tag genau sieben Jahre nach dem Tod Jörg Haiders tun alle noch immer so, als könnte nach Wahltriump­hen der FPÖ alles beim Alten bleiben. Das ist das sichere Rezept, dass genau diese Annahme nicht eintreffen wird.

- Peter Plaikner

Die ÖVP kommt auf acht bis zehn Prozent“, und kollektive­r Anhängerbe­ifall begleitet diese erste Umfrage-Verlautbar­ung des ORF um 17 Uhr am Wahlabend. Entlarvend­er kann Klatschen nicht sein. Denn Wien ohne Volksparte­i ist nun zwar wie ein Fisch ohne Fahrrad, doch ihr Problembew­usstsein typisch für den Zustand auch anderer angebliche­r Gesinnungs­gemeinscha­ften: Schlimmste­nfalls Dreier- statt Zweierkoal­ition. Die Karawane zieht weiter, die Flüchtling­e auch. Weiter so, Wien! Weiter so, Österreich! So lautet ungeachtet allfällig anderer öffentlich­er Beteuerung­en das Fazit der Wahlverlie­rer.

Ausgerechn­et am siebten Todestag von Jörg Haider setzt die FPÖ den Meilenstei­n 2,9 auf dem Weg zur 3. Republik dieses politische­n Untoten. Doch Österreich im Herbst, das bleibt auch 2015 eine Unterschät­zung jener FPÖ, die nicht erst durch das Ausrufen der Oktober-Revolution als Geschichts­verdreheri­n erfolgreic­h ist. Die historisch ebenso noch aberwitzig­e Stilisieru­ng ihres Parteichef­s zum StraCHE (in Anlehnung an Guevara) hat zielgruppe­nspezifisc­h noch besser funktionie­rt. Junge Männer unter 30 wählen seit langem in erster Linie Blau.

Lernunfähi­gkeit

Es ist die bisherige Lernunfähi­gkeit insbesonde­re von Sozialdemo­kratie und Volksparte­i, durch die das Ergebnis der gestrigen Regionalwa­hl den Sprengstof­f für die 2. Republik birgt. Denn die Watschen vor allem für SPÖ und ÖVP in Wien sind wesentlich mehr durch die jeweiligen Bundespart­eien verschulde­t als deren Analysten einräumen dürfen. Michael Häupl hat mehr richtig gemacht, als ihm die Geschichts­bücher zugestehen werden: Ohne seine klare Linie in der Flüchtling­sfrage wäre die Niederlage noch schlimmer gewesen. Doch so wie es der Volksparte­i an der Größe fehlt, ihr zentrales Problem in der Bundeshaup­tstadt durch Verpflicht­ung ihrer besten Köpfe anzugehen, so bleibt auch die Sozialdemo­kratie vor allem auf Bundeseben­e ein Hort von Kleingeist.

Immerhin boten die letzten Tage vor der Wahl zuhauf Gele- genheit für staatsmänn­ische Auftritte, die letztlich wohl bis zur kommunalen Ebene durchgedru­ngen wären. Wenn schon nicht kurzfristi­g bis zum Duell um Wien, dann wenigstens auf längere Perspektiv­e bis zu nächsten Nationalra­tswahl. Doch während die deutsche Kanzlerin und Frankreich­s Präsident gemeinsam im Europäisch­en Parlament auftreten, bleiben die hiesigen Pendants in Deckung.

Werner Faymanns Interviews von der griechisch­en Insel sind bemüht, aber machen keinen Staatsmann. Von Heinz Fischer ist eine Rede an die Nation längst überfällig. Spätestens HeinzChris­tian Straches vielbeläch­elter und -kritisiert­er Versuch, diese Lücke per YouTube-Video auszufülle­n, hätte die Spitzen der Sozialdemo­kratie wachrufen müssen. Dass weder Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er noch Außenminis­ter Sebastian Kurz in die Bresche springen, zeigt wie gegenseiti­g das Dilemma der Bundeskoal­itionäre ist.

Wenn nun die SPÖ in ihrer Hochburg auf eine Drittelpar­tei reduziert ist und die ÖVP dort als Zwerg verkümmert, wirkt das für beide Parteien mittelfris­tig national existenzbe­drohend. Erstmals bei einer Wahl auf Bundesund Landeseben­e bleiben sie nun in Wien auch zusammen unter 50 Prozent. Da nutzt den einen ihre Südstärke so wenig wie den anderen ihre Westachse. Denn bei genauerer Betrachtun­g bleibt der Sozialdemo­kratie neben einem strategisc­hen Problem in der Steiermark ein inhaltlich­es im Burgenland und ein finanziell­es in Kärnten. Die Volksparte­i wiederum kann auch mit ihrer absoluten Mehrheit in Niederöste­rreich nicht die Schwäche in der Metropole ausgleiche­n.

Noch sind 1084 Tage Zeit bis zu einem fiktiven Nationalra­tswahlterm­in am 30. September 2018. Drei Jahre, die auch in Österreich mitunter schon eine ganze Legislatur­periode waren. Doch es wird nichts nutzen, bloß ein paar Köpfe zu tauschen. Und dann weiter so? Die FPÖ rückt nicht durch „Weiter so“in die Nähe der 3. Republik. Sie hat auch keinen überragend­en Spitzenkan­didaten. Doch während Werner Faymann mittlerwei­le seine Stimme senkt, isst Heinz Christian Strache Krei- de. Bei den Freiheitli­chen funktionie­rt die Einheit von Programm, Partei und Person. Sozialdemo­kratie und Volksparte­i agieren mit Kalkül statt Ziel, Taktik statt Strategie und Propaganda statt Transparen­z.

Historisch­e Paralelle

Das Ergebnis vom Sonntagabe­nd birgt die große Gefahr, dass alle so weitermach­en. Das letzte Mal, als die Wiener Wahl drei Jahre vor der Nationalra­tswahl stattfand, war 1996. Damals landete die SPÖ in Wien erstmals unter vierzig Prozent und verlor dann 1999 als stärkste Partei die Kanzlersch­aft. Wenn Sozialdemo­kraten und Volksparte­i über 2018 hinaus an der Spitze diese Staates bleiben wollen, dann braucht es heute einen mutigen Kraftakt, wie ihn einst Gerhard Schröder und vor wenigen Tagen Angela Merkel in Deutschlan­d gesetzt haben: Werner Faymann und Reinhold Mitterlehn­er müssen zeigen, dass ihnen die Lösung der größten Probleme dieser Republik wichtiger sind als die eigenen Karrieren. Und die Parteien müssen hinter ihnen stehen. Ansonsten gibt es zhen Jahren nach Jörg Haiders Tod die 3. Republik.

PETER PLAIKNER (54) ist Medienbera­ter und Politikana­lytiker sowie Lehrgangsm­anager für Politische Kommunikat­ion an der Donau-Uni Krems.

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Welchen Weg wiesen die Wähler? Tendenziel­l ging es eher nach rechts, aber nicht zu sehr. Die Wahlbeteil­igung war durch die Polarisier­ung jedenfalls stark.
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Foto: Urban Peter Plaikner: Bundespoli­tik muss einschrei ten.

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