Scharfe Expertenkritik an „Asyl auf Zeit“
Negativfolgen würden unterschätzt – EU- Sondergipfel: Erste Annäherung an die Türkei
Wien/Brüssel – Der Weg zum von der ÖVP angepeilten „Asyl auf Zeit“ist noch nicht geebnet. Laut Standard- Informationen fehlt die wirkungsorientierte Folgenabschätzung der geplanten Maßnahmen. Die möglichen Folgen sind laut dem Anwalt und Asylexperten Georg Bürstmayr bei dieser Novelle dramatisch: Komme die Asylnovelle wie derzeit geplant, drohe den Behörden in drei Jahren massive Überlastung.
Deutschland ist schon weiter: Am Donnerstag hat der Bundestag in Berlin das neue Asylgesetz auf den Weg gebracht, das Asylwerbern den Aufenthalt in Deutschland künftig erschweren soll, unter anderem durch finanzielle Kürzungen. Dennoch mehren sich bei CDU und CSU die Kritiker an Kanzlerin Angela Merkels Kurs in der Flüchtlingspolitik, die in ihrer Rede am Donnerstag Abschottung als „Illusion“bezeichnete.
Bei einem EU-Sondergipfel zum Thema Flüchtlinge zeichnete sich in Brüssel eine erste Annäherung zwischen der Union und der Tür- kei ab. Verhandler der Kommission vereinbarten in Ankara ein Paket zur engeren Kooperation bei der Sicherung der EU-Außengrenze in der Ägäis, wo derzeit die meisten Flüchtlinge über Griechenland in die EU kommen. Die Türkei könnte im Gegenzug mit Visafreiheit und der Fortsetzung der EU-Beitrittsverhandlungen rechnen. Es gibt aber auch starke Einwände einzelner Staaten. Am Sonntag fährt Merkel in die Türkei. (red)
Es ist höchste Zeit, dass nicht nur geredet wird, sondern dass endlich etwas gemacht wird“, sagt Xavier Bettel. Der luxemburgische Premierminister trat beim EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel schon leicht gereizt an. Bereits zum vierten Mal seit Ende April waren die Staats- und Regierungschefs bei einem Sondertreffen versammelt, um sich aus- schließlich dem Thema Flüchtlinge aus Nahost und Nordafrika zu widmen. Den Anstoß hatte damals das Sinken zweier großer Flüchtlingsboote aus Libyen gegeben. 1100 Menschen ertranken. Aber obwohl jeweils große Pläne geschmiedet wurden, obwohl seit August dann schlagartig Hunderttausende über die „Balkanroute“vor allem nach Deutschland wanderten, hat es bisher auf europäischer Ebene kaum konkret greif- bare Maßnahmen, keine gemeinschaftliche Politik zu Migration und Asyl und zur Grenzsicherung gegeben. Die EU-Kommission hatte auf Drängen von Präsident JeanClaude Juncker mehrere Konzepte vorgelegt: zur fairen Verteilung von Asylwerbern; zur Einrichtung von „Hotspots“– Erstaufnahmezentren in den betroffenen Ländern Griechenland und Italien; und zuletzt, wie berichtet, ein Paket zur engen Kooperation mit dem Beitrittswerberland Türkei, um die EU-Außengrenzen besser zu schützen (siehe
Die Regierungschefs versprachen dazu zwar viel, handelten aber vor allem auf nationaler Ebene. Viktor Orbán betonte bei seinem Eintreffen prompt wieder die Wichtigkeit des verschärften Grenzzauns in Ungarn Richtung Serbien und Kroatien. Die vier Visegrád-Staaten wollen beim Grenzschutz gemeinsam initiativ werden, ohne Union.
Oder: Frankreichs Präsident François Hollande erklärte, es seien zuletzt „sehr sehr viele Flüchtlinge nach Österreich, Deutschland und Schweden gegangen“. Aber: Helfen könne er da nicht: „Das ist entschieden, da geht es nicht mehr um die Aufteilung.“
Keine Rede von Solidarität. Hollande wollte sich jetzt vor allem um einen deutlich stärkeren Schutz der EU-Außengrenzen einsetzen, andererseits sollten die Hilfsgelder an jene Länder, von wo aus die Flüchtlinge den Weg nach Europa antreten, ausgeweitet werden.
Aber zumindest bis zu diesem vierten Gipfel waren das nur Absichtserklärungen gewesen. Jun- cker übte harte Kritik daran, dass von den zugesagten insgesamt 2,25 Milliarden Euro durch die Regierungen bisher nicht einmal ein Zehntel geflossen ist.
Nach dem Willen der deutschen Kanzlerin Angela Merkel sollten bis Freitag zumindest diese Dinge geklärt werden; genauso wie die Entsendung von rund 1140 Beamten aus allen EU-Ländern an die Hotspots im Süden, wo sie bei der Registrierung und Verteilung der Flüchtlinge helfen sollten.
Aber selbst wenn das gelingen sollte, zeichneten sich große Probleme ab, wie man diese Erstaufnahmezentren operativ ins Laufen bringen kann, ohne für zusätzliche Probleme zu sorgen. Denn die Kommission und die EU-Staaten sind sich völlig uneinig, ob an diesen Hotspots lediglich eine Registrierung stattfindet – und die Menschen dann weiterziehen können; oder ob an diesen Zentren Lager errichtet werden, bis klar ist, wohin in der EU die Asylwerber geschickt bzw. die Abgelehnten abgeschoben werden. Das alles ist mangels gemeinsamer Gesetzesund Verfahrensvorschriften bzw. wegen Lücken unklar.
Wende mit der Türkei
Die Kernfrage dabei ist der Umgang mit der Türkei, die als nicht sicheres Drittland eingestuft wird, mit der die Beitrittsverhandlungen wegen der Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Wenigstens an dieser „Front“zeichnete sich ein erster Fortschritt ab.
Vizepräsident Frans Timmermans und Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn verhandelten in Istanbul und Ankara mit der Staatsspitze die ganze Nacht bis Donnerstagfrüh durch und brachten zum Gipfel gute Nachrichten mit: Die Türkei sei bereit zur engen Kooperation, wenn man die für 2017 geplante Visafreiheit auf 2016 vorziehe; wenn das Land als sicheres Drittland gelte; und wenn die EU-Beitrittsverhandlungen durch Eröffnen der strittigen Justizkapitel nach drei Jahren Eiszeit fortgesetzt werden.
Auf technischer Ebene war man sich einig. Das wäre eine starke Wende in den Beziehungen. Juncker zeigte sich optimistisch, dass ein Kompromiss gelingen könne. Aber auch dabei schien Vorsicht angebracht. „Da muss die Türkei noch viele Bedingungen erfüllen“, sagte Frankreichs Präsident.