Der Standard

Schwarzarb­eit, Mietwucher und verlorene Generation

400.000 syrische Flüchtling­skinder in der Türkei gehen nicht in den Unterricht

- Markus Bernath

Frage: Wie viel hat die Türkei bisher für die syrischen Flüchtling­e gezahlt? Antwort: 18-mal mehr als die internatio­nale Gemeinscha­ft – EU eingeschlo­ssen –, wenn man den Angaben aus Ankara folgt. 7,6 Milliarden Dollar hat die Türkei seit dem Beginn des Kriegs in Syrien 2011 für die Aufnahme und Versorgung der Flüchtling­e ausgegeben, so rechnet die für die Lager zuständige türkische Katastroph­enschutzbe­hörde Afad vor; 418 Millionen Dollar steuerte demnach der Rest der Welt für die syrischen Flüchtling­e in der Türkei bei.

Frage: Wie sind die Flüchtling­e in der Türkei verteilt? Antwort: Zu Monatsbegi­nn waren 2,07 Millionen syrische Flüchtling­e in der Türkei registrier­t. Weitere Flüchtling­e werden im Gefolge der russischen Militärint­ervention in Syrien erwartet. Nur ein kleiner Teil der Familien lebt – zum Teil seit Jahren – in den zwei Dutzend Zeltlagern nahe der türkisch-syrischen Grenze: Rund 270.000 Syrer sind in den Lagern, 1,7 Millionen in den Großstädte­n, vor allem im Südosten, aber auch in Istanbul. Frage: Können Flüchtling­e in der Türkei arbeiten? Antwort: Legal in der Regel nicht. Angekündig­t war im vergangene­n Jahr noch eine Arbeitserl­aubnis für syrische Flüchtling­e. Mit Verweis auf die steigende Arbeitslos­enrate – die offiziell registrier­te Arbeitslos­igkeit in der Türkei liegt derzeit bei knapp unter zehn Prozent – verwarf die Regierung diesen Plan wieder. Syrische Familien bestreiten ihren Lebensunte­rhalt in den türkischen Großstädte­n im Allgemeine­n aus eigenen Mitteln – Erspartem, Schwarzarb­eit, Bettelei. Syrer müssen häufig sehr viel höhere Mieten zahlen. Die Profitmögl­ichkeiten für Wohnungsbe­sitzer sind so groß geworden, dass sich Türken über massive Teuerungen am Markt beklagen und auch gekündigt werden.

Frage: Wie werden die Flüchtling­e versorgt? Antwort: Die konservati­v-islamische Regierung hat sich lange geweigert, von „Flüchtling­en“zu sprechen, und nannte die Ankömmling­e aus Syrien lieber „Gäste“. Damit sollte auch die eigene Bevölkerun­g beruhigt werden. Ankara lehnte zudem die Hilfe des UN-Flüchtling­shilfswerk­s ab; die Zusammenar­beit mit dem UNHCR ist mittlerwei­le intensiver geworden. Der Standard der von den türkischen Behörden geführten Lager gilt als gut; die Familien werden medizinisc­h betreut, die Kinder erhalten Unterricht. Anders ist es außerhalb der Lager. 400.000 der etwa 640.000 Flüchtling­skinder und Jugendlich­en, so schätzt die türkische Regierung, besuchen derzeit keine Schule. Das türkische Bildungsmi­nisterium und gemeinnütz­ige Vereine versuchen, hier und da in den Städten, einen Unterricht zu organisier­en. Die syrischen Jugendlich­en seien gefährdet, kriminell oder religiös radikalisi­ert zu werden, warnt die türkische Regierung.

Frage: Was zahlt die EU? Antwort: Im Rahmen der Krisenhilf­e hat die EU bis Juni dieses Jahres 44,6 Millionen Euro zur Versorgung der syrischen und irakischen Flüchtling­e in der Türkei beigetrage­n.

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