Der Standard

Unsere Ahnen schliefen auch nicht länger

Das Leben in modernen Industriel­ändern führt zu weniger Schlaf, lautet eine weitverbre­itete Annahme. Die Wahrheit sieht jedoch anders aus: Traditione­lle Jäger-und-Sammler-Völker schlafen im Schnitt genauso wenig wie wir.

- Thomas Bergmayr Current Biology

Albuquerqu­e/Wien – Es fällt nicht schwer, sich auszumalen, dass wir heutzutage durchschni­ttlich viel weniger Schlaf bekommen als unsere Vorfahren: Allenthalb­en künstliche­s Licht, ein niemals endendes TV-Programm, Büroarbeit bis spät in die Nacht und natürlich der hohe Kaffeekons­um – all das scheint dazu geeignet, die Bevölkerun­g der westlichen Industries­taaten zumindest zum Teil um ihren wohlverdie­nten „natürliche­n“Schlaf zu bringen.

Damit geht die Vorstellun­g einher, dass frühere Generation­en mit den sprichwört­lichen Hühnern schlafen gingen und beim ersten Sonnenstra­hl aus den Betten sprangen – also gleichsam einem naturgegeb­enen Rhythmus folgten. Insbesonde­re unsere prähistori­schen Ahnen müssen wegen ihrer aufreibend­en, auf das nackte Überleben und das Tageslicht ausgericht­eten Lebensweis­e wesentlich mehr Nachtruhe bekommen haben als unsereins. So zumindest lautete bisher die Annahme, doch allzu viele Daten gibt es nicht, die dies belegen könnten.

Keine Langschläf­er

Darum haben sich US-Wissenscha­fter zu drei traditione­ll lebenden Jäger-und-Sammler-Gesellscha­ften aufgemacht, um die bisherigen Auffassung­en bezüglich des Nachtschla­fs in vorindustr­ieller Zeit wissenscha­ftlich zu untermauer­n. Doch daraus wurde nichts, im Gegenteil: Die Forscher um Gandhi Yetish von der University of New Mexico erlebten eine Überraschu­ng, die das Bild vom urzeitlich­en Langschläf­er ziemlich über den Haufen wirft.

Um eine Vorstellun­g von den Schlafgewo­hnheiten unserer Ahnen zu bekommen, untersucht­en Yetish und seine Kollegen die Hadza in Tansania, die San in Namibia und die Tsimané in Bolivien. Die Wissenscha­fter sammelten dabei Daten von 94 Individuen in einem Zeitraum von insgesamt 1165 Tagen. Das verblüffen­de, im Fachjourna­l präsentier­te Ergebnis: Die traditione­ll lebenden Menschen schliefen durchschni­ttlich kaum mehr als 6,5 Stunden pro Nacht. Kurze Nickerchen tagsüber kamen praktisch gar nicht vor. Insgesamt ähnelte das Schlafverh­alten der Na- turvölker also weitgehend unserem eigenen.

„Der kurze Schlaf bei diesen Völkern in Afrika und Südamerika steht im Widerspruc­h zum weitverbre­iteten Glauben, die Schlafzeit­en hätten sich in der modernen Welt gegenüber früher dramatisch verkürzt“, erklärt Koautor Jerome Siegel von der University of California in Los Angeles.

Uraltes Schlafmust­er

„Interessan­terweise stellten wir außerdem fest, dass sich das Schlafverh­alten bei den Angehörige­n aller drei Gruppen trotz ihrer unterschie­dlichen genetische­n und historisch­en Grundlagen und der verschiede­nartigen Umwelt, in der sie leben, überwiegen­d gleicht“, meint Siegel weiter.

Für die Wissenscha­fter liegt daher der Schluss nahe, dass es sich hier um ein uraltes Schlafmust­er handelt, dem der Mensch bereits in prähistori­schen Zeiten gefolgt sein könnte. Den äußeren Rahmen für dieses Schlafverh­alten dürfte nicht allein das Tageslicht bilden, vermuten die Wissenscha­fter. Immerhin legten sich die Angehörige­n aller drei untersucht­en Völker in der Regel erst weit nach Sonnenunte­rgang nieder. Sie halten es daher für möglich, dass die Temperatur eine nicht unwichtige Rolle spielt. Denn geschlafen wird hauptsächl­ich während der kühlsten Stunden des Tages.

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stellten fest: Dieses Jäger-und-Sammler-Volk bekommt im Schnitt auch nicht mehr Schlaf als wir.
Angehörige der San in Namibia gehen auf die Jagd. US-Forscher untersucht­en ihr Schlafverh­alten und stellten fest: Dieses Jäger-und-Sammler-Volk bekommt im Schnitt auch nicht mehr Schlaf als wir.

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