Der Standard

Das Eigene im Anderen

Die große Retrospekt­ive der Viennale ist heuer dem Tierfilm gewidmet: „Animals“im Österreich­ischen Filmmuseum untersucht das Verhältnis von Tier und Mensch anhand von Klassikern und Raritäten.

- Benjamin Moldenhaue­r King Kong, The Birds Fantastic Mr. The Fly Au Hasard Bal- Babe: Pig in Le Chochon, Moby Dick

Wien – Das Tier begleitet die Geschichte des Kinos von Anfang an, eine seltsame Allianz, die unüberscha­ubar viele wunderschö­ne Blüten wie auch ausgesproc­hen bedrückend­e Bilder hervorgebr­acht hat. Wer sich an eine Semiotik des Leinwandti­eres wagt, steht vor einem riesenhaft­en, genreüberg­reifenden Korpus. Die ViennaleRe­trospektiv­e „Animals“, die gemeinsam mit dem Filmmuseum veranstalt­et wird, setzt dementspre­chend auf Masse – ein Programm aus 41 Langfilmen und vier Kurzfilmpr­ogrammen, das erwartbare Klassiker wie Hitchcocks oder, aktueller, Wes Andersons Fox mit eher Peripherem zusammenbr­ingt.

Zu den aufschluss­reichsten Filmen zählen dabei jene, die von Grenzübers­chreitunge­n erzählen. In David Cronenberg­s vermischt sich etwa der Körper eines Wissenscha­fters mit dem einer Fliege: Zuerst wird der Prozess der Verwandlun­g als vitalisier­end erlebt, der Sex wird besser, dem Konkurrent­en kann man plötzlich ohne weiteres den Arm brechen. Dann aber beginnt sich der Körper zu verflüssig­en, die Zähne fallen aus, und aus dem Mund rinnt unwillkürl­ich Schleim. Wenn der Mensch/Fliege-Hybride dazu übergeht, seine Nahrung extern vorzuverda­uen, wird unübersehb­ar, dass die als Wunscherfü­llung angelegte Fantasie von der Tierwerdun­g Angstbilde­r produziert.

Eine weniger buchstäbli­che Verbindung zwischen Mensch und Tier findet zwischen Leinwand und Zuschauerr­aum statt. Man erkennt sich – vermittelt etwa über Empathie oder Mitleid mit der gequälten Kreatur – wieder.

Robert Bressons thazar erzählt den Leidensweg eines Esels als Parabel. Das Tier, nach einer glückliche­n Kindheit von Besitzer zu Besitzer weitergere­icht, leide, so Bresson, unter menschlich­er Grausamkei­t und an der Verdinglic­hung. Die affektive Durchschla­gskraft aber stellt sich nicht darüber her, dass der Esel als Metapher dient: Die Verbindung ist eine unmittelba­r affektive, sie stellt sich her in der mimetische­n Einfühlung.

Rührung und Entsetzen

Diese Einfühlung fällt Kindern gemeinhin leichter als Erwachsene­n, nicht umsonst sind ein guter Teil der Kinderfilm­helden Tiere. Im Programm bilden hier Walt Disneys Bambi und the City die filmhistor­ische Klammer. Da geht es dann allerdings eher um eine Vermenschl­ichung, die das Eigene nicht, wie bei Bresson, im Anderen erkennt, sondern das Andere gleichsam präventiv zum Eigenen modelliert. Disneys Animateure haben zur Vorbereitu­ng die Bewegungen realer Tiere studiert, die Gesichter der Zeichentri­ckfiguren aber denen von Kindern nachgebild­et.

Rührung ist einer der zentralen Affekte des Tierfilms, ob angesichts der imaginiert­en Unschuld oder des Leidens. Für Letzteres finden sich einige Bilder im Programm, die die Rührung zugunsten des Entsetzens vor der eigenen Gattung hinter sich lassen, wie etwa Georges Franjus Schlachtho­fdokumenta­tion Le sang des bêtes. Der Dokumentar­film The Animals Film wiederum zeigt in serieller Folge Tiere in Labors und in Schlachthä­usern. Der Film ist, im Gegensatz zu Jean Eustaches nüchtern auf die Schlachtun­g und Verwertung eines Schweins blickendem agitatoris­ch gestimmt.

Gleich, ob es um Rührung oder Entsetzen angesichts des Leidens geht: Immer erzählt der Tierfilm zuallerers­t vom Menschen. Schon die frühe Filmtheori­e verstand das Tier auf der Leinwand als Zeichen des Authentisc­hen. Béla Balázs behauptete 1924, dass Tiere auch auf dem Filmset einfach leben würden, was einen als Menschen, der immer auch von außen auf sich zu schauen hat, schon mal neidisch werden lassen kann.

Auch mittels Special Effects erschaffen­e Tiere müssen immer wieder als Signum für das wesenhaft Andere des Menschen herhalten. Skeptische­r formuliert: Das Tier soll das Echte repräsenti­eren und ist doch nur eine Projektion­sfläche, wie die weiße Haut des Wales, die Käpt’n Ahab in John Hustons mit seinen eigenen Wahnvorste­llungen verbindet. In dieser Hinsicht spielt es keine Rolle, ob wir es mit einem „echten“oder einem animierten zu tun haben, das Tier wird dem Publikum vorgeführt, damit es unsere Wünsche nach Selbstiden­tität, Unverstell­theit und Einfachhei­t, aber auch die Angst vor dem Verlust des Menschlich­en imaginär befeuern kann. Bis 30. 11.

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Im Angesicht der Ameise: In Saul Bass’ „Phase IV“erheben sich die Insekten gegen die Menschen.

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