Merkel bietet Türkei Geld und Visa-Freiheit an
Flüchtlingskrise: Kanzlerin sucht Lösung Jetzt Massenandrang über Slowenien
Istanbul/Wien – Drei Milliarden Euro hat die EU der Türkei bisher zur Aufnahme und Integration von Flüchtlingen angeboten. Die deutsche Kanzlerin will mehr geben: „Die Türkei möchte zusätzliches Geld, und das verstehe ich auch“, sagte Merkel am Sonntag beim Treffen mit Premier Ahmet Davutoglu und Staatspräsident Tayyip Erdogan.
Für die Türkei soll auch noch in diesem Jahr ein neues Kapitel in den Beitrittsverhandlungen mit der EU geöffnet werden, versprach die deutsche Regierungschefin. Ebenso soll die Visapflicht für Türken fallen. Davutoglu nannte Juli 2016 als Ziel. Die Türkei sicherte dafür zu, mit der EU enger in der Flüchtlingsfrage zusammenzuarbeiten.
Nachdem Ungarn seine Grenze zu Kroatien Sonntagnacht endgültig geschlossen hat, kommen nun tausende Flüchtlinge durch Slowenien nach Österreich. Sie werden nach Graz und weiter in Richtung deutsche Grenze gebracht. (red)
Istanbul/Wien – Erst gab es einen Stau wegen eines Verkehrsunfalls auf der Haliç-Brücke über das Goldene Horn, dann hielt der Konvoi der deutschen Kanzlerin zur Verwunderung der türkischen Protokolloffiziere an einer roten Ampel an. Vor allem aber wurde das Gespräch, das Angela Merkel am Sonntagnachmittag in Istanbul mit dem türkischen Übergangspremier Ahmet Davutoglu führte, intensiver als geplant. Mit fast zwei Stunden Verspätung traten die beiden Regierungschefs vor die Presse. Ohne die Türkei gehe nichts, sagt die Kanzlerin. In der Flüchtlingsfrage werden beide Länder „noch enger zusammenarbeiten“.
Ahmet Davutoglu war sichtlich zufrieden. Der konservativ-islamische Politiker, der derzeit eine Übergangsregierung bis zu den Wahlen am 1. November führt, kündigte die Öffnung neuer Kapitel in den stockenden EU-Beitrittsverhandlungen seines Landes an. Das hatte ihm die deutsche Kanzlerin versprochen. Kapitel 17 soll es nun werden: Wirtschafts- und Währungspolitik – ein Abschnitt, der gewöhnlich erst zum Ende der Beitrittsverhandlungen geöffnet wird.
Davutoglu nannte noch vier weitere Kapitel (23, 24, 26 und 31), die zur Verhandlung anstehen sollen. Sie sind nicht wegen des Einspruchs Zyperns, Frankreichs oder der EU insgesamt suspendiert: Jus- tiz und Grundrechte; Justiz, Freiheit und Sicherheit; Bildung und Kultur; Außen- und Sicherheitspolitik. Die Beitrittsverhandlungen laufen schon seit zehn Jahren.
Rücknahmeabkommen
Merkel zeigte sich auch aufgeschlossen für eine höhere Geldhilfe als die bisher von Brüssel angebotenen drei Milliarden Euro. Sie unterstützte auch eine schnellere Aufhebung der Visapflicht für die Türken. Davutoglu wünschte sich dafür den Juli 2016 als Termin; parallel dazu würde die Türkei dann das Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen anwenden; es wurde 2013 unterzeichnet und verpflichtet Ankara, Flüchtlinge zurückzunehmen, deren Asylantrag in der EU abgelehnt wurde. Für die syrischen Flüchtlinge, die nach Deutschland und in andere EU-Staaten strömen, wird anderes überlegt: Die Türkei könnte zu einem „sicheren Drittstaat“erklärt werden. Dann könnte Griechenland Flüchtlinge sofort wieder in die Türkei abschieben. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der Präsident des Europaparlaments Martin Schulz schlugen dies bereits vor.
Merkels Besuch in Istanbul kam nur zwei Wochen vor den vorgezogenen Parlamentswahlen in der Türkei, was ihr erhebliche Kritik in Deutschland einbrachte. Die formal von Davutoglu geführte konservativ-islamische Partei AKP hatte bei den Wahlen im Juni erstmals nach zwölf Jahren ihre absolute Mehrheit verloren. Mer- kel traf zunächst Davutoglu, der als Regierungschef ihr Gegenüber ist. Davutoglu wird in der Türkei jedoch derzeit als einflusslos und nicht entscheidungsfähig angesehen. Die Macht hält – anders als es die Verfassung vorsieht – Staatspräsident Tayyip Erdogan in den Händen. Er empfing Merkel am späten Nachmittag in Istanbul.
EU-Bericht erneut verschoben
Mit Blick auf die Flüchtlingskrise und eine Übereinkunft mit der Türkei verschob die EU-Kommission die Vorlage ihres diesjährigen Fortschrittsberichts ein weiteres Mal auf die Zeit nach den Wahlen. Kritisiert wird dieses Mal erneut der Druck auf die Medien.