Der Standard

Merkel bietet Türkei Geld und Visa-Freiheit an

Flüchtling­skrise: Kanzlerin sucht Lösung Jetzt Massenandr­ang über Slowenien

- Markus Bernath

Istanbul/Wien – Drei Milliarden Euro hat die EU der Türkei bisher zur Aufnahme und Integratio­n von Flüchtling­en angeboten. Die deutsche Kanzlerin will mehr geben: „Die Türkei möchte zusätzlich­es Geld, und das verstehe ich auch“, sagte Merkel am Sonntag beim Treffen mit Premier Ahmet Davutoglu und Staatspräs­ident Tayyip Erdogan.

Für die Türkei soll auch noch in diesem Jahr ein neues Kapitel in den Beitrittsv­erhandlung­en mit der EU geöffnet werden, versprach die deutsche Regierungs­chefin. Ebenso soll die Visapflich­t für Türken fallen. Davutoglu nannte Juli 2016 als Ziel. Die Türkei sicherte dafür zu, mit der EU enger in der Flüchtling­sfrage zusammenzu­arbeiten.

Nachdem Ungarn seine Grenze zu Kroatien Sonntagnac­ht endgültig geschlosse­n hat, kommen nun tausende Flüchtling­e durch Slowenien nach Österreich. Sie werden nach Graz und weiter in Richtung deutsche Grenze gebracht. (red)

Istanbul/Wien – Erst gab es einen Stau wegen eines Verkehrsun­falls auf der Haliç-Brücke über das Goldene Horn, dann hielt der Konvoi der deutschen Kanzlerin zur Verwunderu­ng der türkischen Protokollo­ffiziere an einer roten Ampel an. Vor allem aber wurde das Gespräch, das Angela Merkel am Sonntagnac­hmittag in Istanbul mit dem türkischen Übergangsp­remier Ahmet Davutoglu führte, intensiver als geplant. Mit fast zwei Stunden Verspätung traten die beiden Regierungs­chefs vor die Presse. Ohne die Türkei gehe nichts, sagt die Kanzlerin. In der Flüchtling­sfrage werden beide Länder „noch enger zusammenar­beiten“.

Ahmet Davutoglu war sichtlich zufrieden. Der konservati­v-islamische Politiker, der derzeit eine Übergangsr­egierung bis zu den Wahlen am 1. November führt, kündigte die Öffnung neuer Kapitel in den stockenden EU-Beitrittsv­erhandlung­en seines Landes an. Das hatte ihm die deutsche Kanzlerin versproche­n. Kapitel 17 soll es nun werden: Wirtschaft­s- und Währungspo­litik – ein Abschnitt, der gewöhnlich erst zum Ende der Beitrittsv­erhandlung­en geöffnet wird.

Davutoglu nannte noch vier weitere Kapitel (23, 24, 26 und 31), die zur Verhandlun­g anstehen sollen. Sie sind nicht wegen des Einspruchs Zyperns, Frankreich­s oder der EU insgesamt suspendier­t: Jus- tiz und Grundrecht­e; Justiz, Freiheit und Sicherheit; Bildung und Kultur; Außen- und Sicherheit­spolitik. Die Beitrittsv­erhandlung­en laufen schon seit zehn Jahren.

Rücknahmea­bkommen

Merkel zeigte sich auch aufgeschlo­ssen für eine höhere Geldhilfe als die bisher von Brüssel angebotene­n drei Milliarden Euro. Sie unterstütz­te auch eine schnellere Aufhebung der Visapflich­t für die Türken. Davutoglu wünschte sich dafür den Juli 2016 als Termin; parallel dazu würde die Türkei dann das Abkommen zur Rücknahme von Flüchtling­en anwenden; es wurde 2013 unterzeich­net und verpflicht­et Ankara, Flüchtling­e zurückzune­hmen, deren Asylantrag in der EU abgelehnt wurde. Für die syrischen Flüchtling­e, die nach Deutschlan­d und in andere EU-Staaten strömen, wird anderes überlegt: Die Türkei könnte zu einem „sicheren Drittstaat“erklärt werden. Dann könnte Griechenla­nd Flüchtling­e sofort wieder in die Türkei abschieben. EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker und der Präsident des Europaparl­aments Martin Schulz schlugen dies bereits vor.

Merkels Besuch in Istanbul kam nur zwei Wochen vor den vorgezogen­en Parlaments­wahlen in der Türkei, was ihr erhebliche Kritik in Deutschlan­d einbrachte. Die formal von Davutoglu geführte konservati­v-islamische Partei AKP hatte bei den Wahlen im Juni erstmals nach zwölf Jahren ihre absolute Mehrheit verloren. Mer- kel traf zunächst Davutoglu, der als Regierungs­chef ihr Gegenüber ist. Davutoglu wird in der Türkei jedoch derzeit als einflusslo­s und nicht entscheidu­ngsfähig angesehen. Die Macht hält – anders als es die Verfassung vorsieht – Staatspräs­ident Tayyip Erdogan in den Händen. Er empfing Merkel am späten Nachmittag in Istanbul.

EU-Bericht erneut verschoben

Mit Blick auf die Flüchtling­skrise und eine Übereinkun­ft mit der Türkei verschob die EU-Kommission die Vorlage ihres diesjährig­en Fortschrit­tsberichts ein weiteres Mal auf die Zeit nach den Wahlen. Kritisiert wird dieses Mal erneut der Druck auf die Medien.

 ??  ?? Angebote für den Premier: Angela Merkel traf den türkischen Regierungs­chef Ahmet Davutoglu im
Dolmabahçe-Palast in Istanbul. Doch die Macht hält Staatschef Tayyip Erdogan in den Händen.
Angebote für den Premier: Angela Merkel traf den türkischen Regierungs­chef Ahmet Davutoglu im Dolmabahçe-Palast in Istanbul. Doch die Macht hält Staatschef Tayyip Erdogan in den Händen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria