Salafisten halten Banner des politischen Islam hoch
Nach der Entmachtung der Muslimbrüder hält die erzkonservative al-Nur-Partei die Fahne des politischen Islam in Ägypten hoch. Ihre Hochburgen hat sie in den Ashwayyats, den Slums der Großstädte wie Alexandria.
Am Morgen hat es etwas geregnet. Am Abend sind die meisten Straßen in Ezzbet Sikkin immer noch matschig. Asphalt gibt es keinen und auch keinen Anschluss ans Gasnetz. Es sind die Armen, die zum Kochen die teuren Gasflaschen kaufen müssen. Amr al-Mekki und Hosni al-Masri haben in diesem Slum von Alexandria ein Heimspiel. Die beiden Parlamentskandidaten der salafistischen al-Nur-Partei schütteln unzählige Männerhände in kleinen Geschäften, Kaffeehäusern oder an Marktständen. Überall werden sie freundlich, manchmal überschwänglich begrüßt.
Lautsprecherwagen mit den Leuchtreklamen der beiden Kandidaten folgen dem kleinen Zug durch die engen Gassen und plärren ihr „Wählt Laterne und Sonnenschirm, die Nummern 27 und 28“. Nach dem Abendgebet in einer kleinen Moschee haben sich Hunderte aus der Nachbarschaft – die meist voll verschleierten Frauen und Männer schön getrennt – in einem Zelt zu einer „Konferenz“versammelt. Mehr Volksfest als Informationsveranstaltung mit Fahnenschwingern, feurigen Hymnen und Sprechchören.
Mächtiges Parlament
Auf der Bühne hat auch Bassem al-Zarqa von der Parteiführung Platz genommen. Er erklärt den Anwesenden, mit der neuen Verfassung seien dies die wichtigsten Parlamentswahlen überhaupt. Tatsächlich gab es in Ägypten noch nie eine Volkskammer mit so vielen Befugnissen. Mekki, der Ingenieur, und Masri, der Arabisch- professor, geben sich volksnah. Das Programm der Nur-Partei sei von unten nach oben entstanden, basiere auf den Problemen der Menschen und wolle ihre Rechte – ausdrücklich auch jener der Frauen – durchsetzen.
Das heißt in Ezzbet Sikkin: für Gasanschluss und mehr öffentliche Busse sorgen. In solchen Ashwayyats, „informellen Vierteln“, leben etwa 60 Prozent der ägyptischen Bevölkerung. Wer vom Volk gewählt werde, diene später dem Volk, wer vom Geld gewählt werde, diene später dem Geld, greift Masri unter tosendem Applaus die politischen Gegner an, viele von ihnen reiche Geschäftsleute mit Verbindungen zum ehemaligen Mubarak-Regime.
Von Religion ist an diesem Abend nicht die Rede. In Wahlschriften ist der Ton anders. So wird etwa im Pamphlet „Warum Hizb al-Nur?“aufgeführt: weil sie es brillant geschafft hat, den politischen Islam am Leben zu halten; weil sie die islamische Identität Ägyptens verteidigt, wo andere versagt haben; damit Ägypten ein undurchdringlicher Wall gegen Schia und Atheismus bleibt; weil al-Nur in Ägypten der Wall gegen Säkularisierung und Verwestlichung ist. Die zentrale Botschaft ihres Wahlprogramms heißt Aufbau eines modernen, demokratischen Staates – auf der Basis der Scharia als Quelle der Rechtsordnung.
Im Zentrum von Alexandria, der Millionenmetropole am Mittelmeer, stechen die Nur-Plakate in dem ganzen Bannerwald nicht mehr heraus. Hier ist die Stimmung eine andere. „Auch ich bin Salafist, aber meine religiöse Überzeugung hat nichts mit Poli- tik zu tun“, erklärt ein Student seine Abneigung gegen diese Partei. Der Besitzer eines verstaubten Antiquariats macht kein Hehl aus seiner Wut über die Islamisten, die schuld an den Problemen des Landes seien. Die Salafisten wollten jetzt nur die Muslimbrüder beerben, aber ihre Zeit sei vorbei, ist er überzeugt.
Als im Sommer 2013 die Armee den demokratisch gewählten Muslimbruder-Präsidenten Mohammed Morsi aus dem Amt drängte, hatte sich die Nur-Partei an die Seite der Generäle gestellt und später auch die Wahl von Armeechef Abdelfattah al-Sisi zum Präsidenten unterstützt. Al-Nur hatte damals kritisiert, Morsi sei autokratisch gewesen und habe gegen demokratische Werte verstoßen.
Auf der Seite Sisis
Mit der Unterstützung des Umsturzes hat sich der 2011 in Alexandria gegründete politische Arm der Salafisten, die einer strengen Auslegung des Korans folgen, das politische Überleben gesichert. Bei den Parlamentswahlen 2012 war al-Nur nach den Muslimbrüdern mit knapp 20 Prozent der Stimmen bereits zweitstärkste Kraft geworden.
Aber unter dem Kampf der Staatsgewalt gegen die Muslimbrüder hat auch die Popularität der Salafisten gelitten. Seit Wochen läuft eine Kampagne gegen religiöse Parteien, einige ihrer Urheber waren schon federführend bei den Protesten gegen die Muslimbrüder. In einer Unterschriftenkampagne und mit Prozessen soll ein Verbot erreicht werden.
Al-Nur – das Licht – bestreitet, eine religiöse Partei zu sein, sondern will eine politische Partei mit religiösen Werten gemäß Verfassung sein, die Ägypten als islamischen Staat definiert. Die Parteispitze hat aber reagiert und für nur etwa ein Drittel der individuellen Parlamentssitze und die Hälfte der Listenplätze Kandidaten und Kandidatinnen aufgestellt. Darüber, wie stark ihr Abschneiden sein wird, gehen die Meinungen weit auseinander. Die Kampagne aller anderen Parteien und Kandidaten schürt die Angst vor einer Rückkehr der Islamisten. In Ezzbet Sikkin werden die beiden Nur-Kandidaten dennoch gut abschneiden.
Wer vom Volk gewählt wird, dient später dem Volk, wer vom Geld gewählt wird, dient später dem Geld.