Autos, Lesezelte und eine Bonbonhütte
Vieles neu und alles beim Alten. Die Frankfurter Buchmesse verzeichnet mit 275.000 Eintritten ein Besucherplus. Die Digitalisierung war diesmal, anders als Navid Kermanis Rede, nur ein Nebenthema.
Für den Künstler, schrieb Albert Camus 1957, gebe es „keinen privilegierten Henker“, daher könne er niemals einer Partei verpflichtet sein, sondern ausschließlich der „harten Brüderlichkeit“, dem Schmerz und der Freiheit des Menschen. Von Mut und Unabhängigkeit in Wort und Denken sprach auch Salman Rushdie bei der Eröffnungspressekonferenz der Buchmesse. Der Autor der Satanischen Verse, auf den nach wie vor ein Kopfgeld ausgesetzt ist, schlug in seiner Rede den Bogen von Ovid, den Augustus an das Schwarze Meer verbannte, bis zu dem in einem Arbeitslager Stalins zugrunde gegangenen Ossip Mandelstam.
Rushdies Auftritt war einer der Momente, in denen die Organisatoren ihrem selbst gesetzten Anspruch gerecht wurden, dieses Jahr die politischste Messe seit langem auszurichten. Das galt – im Positiven wie im Negativen – auch für die Rede des indonesischen Kulturministers Anies Rasyid Baswedan am Eröffnungsabend. So sah der offizielle Vertreter des heurigen Gastlands und Vielvölkerstaats Indonesien Europa auf dem Weg zu dem, „was wir Vielfalt nennen“, um später die Massaker 1965 im eigenen Land als kurzfristige „Störung“zu bezeichnen.
Politisch schließlich war die Messe auch dort, wo der deutschiranische Schriftsteller Navid Kermani, der am Sonntag den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegennahm, in seiner Dankesrede auf Geopolitik einging. Gerade er als Friedenspreisträger, so Kermani, müsse darauf hinweisen, dass es einen Krieg gibt, auf den es viel entschlossener, „womöglich militärisch“, zu reagieren gelte. Und weiter: „Wir führen keine breite gesellschaftliche Debatte über die Ursachen des Terrors und der Fluchtbewegung und inwiefern unsere eigene Politik vielleicht sogar die Katastrophe befördert, die sich vor unseren Grenzen abspielt. Wir fragen nicht, warum unser engster Partner im Nahen Osten ausgerechnet Saudi-Arabien ist.“Kermani hielt wie erwartet eine Rede, die zu Diskussionen führen wird.
Bewegung im Raum
Diskussionswürdig ist auch das neue Raumkonzept der mit 7200 Ausstellern aus 104 Nationen weltgrößten Buchmesse. Die englischsprachigen Verlage, früher an der Peripherie positioniert, sind in Richtung Zentrum gerückt – was zahlreiche Umstellungen bewirkte, allerdings auch der zunehmenden Internationalisierung der Messe Rechnung trägt: Zwei Drittel der Aussteller kommen nicht aus Deutschland, vor wenigen Jahren war es noch die Hälfte gewesen.
Eine wichtige Rolle hätte bei dieser „Buchmesse neu“zudem der große, im Freien gelegene, Agora genannte Platz zwischen den quadratisch angeordneten Messehallen spielen sollen. Gerade dieser zentrale Treffpunkt zeigte aber – nicht nur des nasskalten Wetters wegen – die Probleme und Widersprüche auf, mit denen diese Messe kämpft. „Mehr Inhalt, weniger Event“hatte Buchmessen-Direktor Juergen Boos zwar im Vorfeld der Messe versprochen. An der Agora aber wurde – wie an den Lesungen von Halboder Ganzprominenten – das genaue Gegenteil deutlich, denn auch im Buchmarkt geht es um Aufmerksamkeitsökonomie.
Gestürmt werden in den Hallen die Auftritte von Gottschalk oder Mike Krüger, nicht die Lesung eines unbekannten Lyrikers. Und auf der Agora prägt eben nicht das an den Rand gedrängte große Lesezelt den Raum, sondern der mittig platzierte Volvo-Stand samt Leseecke, die Turkish Airlines Lounge mit Sky Library oder die Werther’s-Original-Bonbonhütte, die wenigsten von ihrem Namen her an Literatur erinnert.
Das ehemalige „Kulturgut“Buch, schnell wird es in Frankfurt klar, ist mittlerweile eine Handelsware wie jede andere. Und die Frankfurter Messe bleibt ein Ort, an dem es um Geschäftsabschlüsse sowie Rechte- und Lizenzhandel geht. Und um das, was sie „Content“nennen, also um Inhalt – ob es sich nun um Spiele, Filme, Romane, Koch- und Kinderbücher oder Sexratgeber handelt – in jedweder Form.
Menetekel an der Wand
Plötzlich scheinen auch die in den vergangenen Jahren an die Verlagswände gemalten Menetekel wie elektronisches versus gedrucktes Buch oder Selbstverleger versus klassische Verlage an Brisanz verloren zu haben. Dies wohl auch, weil viele Verlage mit eigenen EBook und Self-Publishing-Plattformen auf die technischen Veränderungen reagieren und dem Nebeneinander der Medien das Wort reden. Keiner, heißt es, muss verschwinden, wenn ein anderer kommt. Der Umsatz des deutschen Buchhandels, meldet indes der Börsenverein, liege zweieinhalb Prozent unter jenem des Vorjahrs, wobei sich der Anteil des OnlineUmsatzes am gesamten Branchenumsatz (9,4 Milliarden Euro) bei 17 Prozent eingependelt habe und das E-Book über einen Marktanteil von 5,6 Prozent verfüge.
Und Österreich? Die Stimmung an den heimischen Ständen war gut, aber das ist sie meist. Bald schon kommt die Buch Wien und 2016 der Österreichische Buchpreis und ein Preis für Buchhandlungen. Das 11,4 Millionen schwere Maßnahmenpaket für Autoren, Verleger und Buchhandel wird auch 2016, wenn Frankfurt mit dem Gastland Flandern/Niederlande Grenzen auslotet, konstant bleiben.