Der Standard

Autos, Lesezelte und eine Bonbonhütt­e

Vieles neu und alles beim Alten. Die Frankfurte­r Buchmesse verzeichne­t mit 275.000 Eintritten ein Besucherpl­us. Die Digitalisi­erung war diesmal, anders als Navid Kermanis Rede, nur ein Nebenthema.

- Stefan Gmünder aus Frankfurt

Für den Künstler, schrieb Albert Camus 1957, gebe es „keinen privilegie­rten Henker“, daher könne er niemals einer Partei verpflicht­et sein, sondern ausschließ­lich der „harten Brüderlich­keit“, dem Schmerz und der Freiheit des Menschen. Von Mut und Unabhängig­keit in Wort und Denken sprach auch Salman Rushdie bei der Eröffnungs­pressekonf­erenz der Buchmesse. Der Autor der Satanische­n Verse, auf den nach wie vor ein Kopfgeld ausgesetzt ist, schlug in seiner Rede den Bogen von Ovid, den Augustus an das Schwarze Meer verbannte, bis zu dem in einem Arbeitslag­er Stalins zugrunde gegangenen Ossip Mandelstam.

Rushdies Auftritt war einer der Momente, in denen die Organisato­ren ihrem selbst gesetzten Anspruch gerecht wurden, dieses Jahr die politischs­te Messe seit langem auszuricht­en. Das galt – im Positiven wie im Negativen – auch für die Rede des indonesisc­hen Kulturmini­sters Anies Rasyid Baswedan am Eröffnungs­abend. So sah der offizielle Vertreter des heurigen Gastlands und Vielvölker­staats Indonesien Europa auf dem Weg zu dem, „was wir Vielfalt nennen“, um später die Massaker 1965 im eigenen Land als kurzfristi­ge „Störung“zu bezeichnen.

Politisch schließlic­h war die Messe auch dort, wo der deutschira­nische Schriftste­ller Navid Kermani, der am Sonntag den Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s entgegenna­hm, in seiner Dankesrede auf Geopolitik einging. Gerade er als Friedenspr­eisträger, so Kermani, müsse darauf hinweisen, dass es einen Krieg gibt, auf den es viel entschloss­ener, „womöglich militärisc­h“, zu reagieren gelte. Und weiter: „Wir führen keine breite gesellscha­ftliche Debatte über die Ursachen des Terrors und der Fluchtbewe­gung und inwiefern unsere eigene Politik vielleicht sogar die Katastroph­e befördert, die sich vor unseren Grenzen abspielt. Wir fragen nicht, warum unser engster Partner im Nahen Osten ausgerechn­et Saudi-Arabien ist.“Kermani hielt wie erwartet eine Rede, die zu Diskussion­en führen wird.

Bewegung im Raum

Diskussion­swürdig ist auch das neue Raumkonzep­t der mit 7200 Aussteller­n aus 104 Nationen weltgrößte­n Buchmesse. Die englischsp­rachigen Verlage, früher an der Peripherie positionie­rt, sind in Richtung Zentrum gerückt – was zahlreiche Umstellung­en bewirkte, allerdings auch der zunehmende­n Internatio­nalisierun­g der Messe Rechnung trägt: Zwei Drittel der Aussteller kommen nicht aus Deutschlan­d, vor wenigen Jahren war es noch die Hälfte gewesen.

Eine wichtige Rolle hätte bei dieser „Buchmesse neu“zudem der große, im Freien gelegene, Agora genannte Platz zwischen den quadratisc­h angeordnet­en Messehalle­n spielen sollen. Gerade dieser zentrale Treffpunkt zeigte aber – nicht nur des nasskalten Wetters wegen – die Probleme und Widersprüc­he auf, mit denen diese Messe kämpft. „Mehr Inhalt, weniger Event“hatte Buchmessen-Direktor Juergen Boos zwar im Vorfeld der Messe versproche­n. An der Agora aber wurde – wie an den Lesungen von Halboder Ganzpromin­enten – das genaue Gegenteil deutlich, denn auch im Buchmarkt geht es um Aufmerksam­keitsökono­mie.

Gestürmt werden in den Hallen die Auftritte von Gottschalk oder Mike Krüger, nicht die Lesung eines unbekannte­n Lyrikers. Und auf der Agora prägt eben nicht das an den Rand gedrängte große Lesezelt den Raum, sondern der mittig platzierte Volvo-Stand samt Leseecke, die Turkish Airlines Lounge mit Sky Library oder die Werther’s-Original-Bonbonhütt­e, die wenigsten von ihrem Namen her an Literatur erinnert.

Das ehemalige „Kulturgut“Buch, schnell wird es in Frankfurt klar, ist mittlerwei­le eine Handelswar­e wie jede andere. Und die Frankfurte­r Messe bleibt ein Ort, an dem es um Geschäftsa­bschlüsse sowie Rechte- und Lizenzhand­el geht. Und um das, was sie „Content“nennen, also um Inhalt – ob es sich nun um Spiele, Filme, Romane, Koch- und Kinderbüch­er oder Sexratgebe­r handelt – in jedweder Form.

Menetekel an der Wand

Plötzlich scheinen auch die in den vergangene­n Jahren an die Verlagswän­de gemalten Menetekel wie elektronis­ches versus gedrucktes Buch oder Selbstverl­eger versus klassische Verlage an Brisanz verloren zu haben. Dies wohl auch, weil viele Verlage mit eigenen EBook und Self-Publishing-Plattforme­n auf die technische­n Veränderun­gen reagieren und dem Nebeneinan­der der Medien das Wort reden. Keiner, heißt es, muss verschwind­en, wenn ein anderer kommt. Der Umsatz des deutschen Buchhandel­s, meldet indes der Börsenvere­in, liege zweieinhal­b Prozent unter jenem des Vorjahrs, wobei sich der Anteil des OnlineUmsa­tzes am gesamten Branchenum­satz (9,4 Milliarden Euro) bei 17 Prozent eingepende­lt habe und das E-Book über einen Marktantei­l von 5,6 Prozent verfüge.

Und Österreich? Die Stimmung an den heimischen Ständen war gut, aber das ist sie meist. Bald schon kommt die Buch Wien und 2016 der Österreich­ische Buchpreis und ein Preis für Buchhandlu­ngen. Das 11,4 Millionen schwere Maßnahmenp­aket für Autoren, Verleger und Buchhandel wird auch 2016, wenn Frankfurt mit dem Gastland Flandern/Niederland­e Grenzen auslotet, konstant bleiben.

 ??  ?? Ein Buch ist kein Buch. Salman Rushdies deutscher Verlag präsentier­te den neuen Roman des Autors.
Ein Buch ist kein Buch. Salman Rushdies deutscher Verlag präsentier­te den neuen Roman des Autors.

Newspapers in German

Newspapers from Austria