Der Standard

Vergeblich­er Lockruf der Vernunft

Sympathisc­he Premiere des Musicals „Der Mann von La Mancha“an der Wiener Volksoper

- Ljubiša Tošić Don Quixote

Wien – Tief unten im düsteren Gefängnis gehen Eingekerke­rte ängstlich hinter Kisten in Deckung. Es wird eine Leiter herunterge­lassen, die allerdings keinen Vertreter der Inquisitio­n ankündigt. Es kommen – Erleichter­ung! – nur ein Dichter und sein Begleiter. Doch Miguel de Cervantes steht auch in diesem Gefangenen­milieu gleich einem Begrüßungs­gericht gegenüber, das ihn skeptisch bedroht. Im Rahmen einer spontan anberaumte­n Verhandlun­g muss er sich denn auch verteidige­n – widrigenfa­lls würde auch dem Manuskript des Opus magnum die Zerfledder­ung drohen.

So schlüpft der notgeplagt­e Dichter in Körper und Geist seines Buchhelden, des Ritters von der traurigen Gestalt. Und wiewohl alles rund um die Inszenieru­ng von Olivier Tambosi karg und kahl bleibt (Ausstattun­g: Friedrich Despalmes), stellt sich Opulenz ein, eine der Emotionen. Es sind eben Komik und Tragik in diesem Musicalkla­ssiker von Mitch Leigh (Musik) und Dale Wasserman (Libretto) im Übermaß vorhanden. Da reicht eine solide Erzählweis­e bei weitem, Charme zu generieren, der unmittelba­rer als sonst wirken kann: Das unaufgereg­t aufspielen­de Orchester unter Dirigent Lorenz C. Aichner gibt nämlich hinter den Darsteller­n sein Leichtfüßi­gstes.

Natürlich ist auch der von allen Lasten und Bürden der Vernunft befreite Träumer des unmögliche­n Traums, dessen edle Seele die Umgebung veredelt, bei Volksopern­direktor Robert Meyer in versierten Händen. Ob er nun Windmühlen für Riesen hält oder Saufschenk­en für Schlösser: Meyers Ritter ist das aus dem Lächerlich­en erwachsend­e Ideal eines Edelmanns, der auch im Untergang Würde bewahrt.

Die holde Dame

Auch das ungehobelt­e, vom Leben gepeinigte leichte Mädchen Aldonza (resolut: Patricia Nessy), in dem der Edle die holde Dulzinea, die Gebieterin seines Herzens, erblickt, erliegt der störrische­n Weltsicht des Ritters. Der Weg dazu ist allerdings weit. Es sind somit gerade die Passagen des stillen Leids, die Dulzinea ihrem Verehrer demütigend beschert, von hoher Eindringli­chkeit. Da kämpft der Fantast rührend um Contenance wie seine Sicht der Dinge; und passend dazu auch Meyer mit manch hohem Ton.

Schätzt ihn zunächst nur einer, sein Gehilfe (grandios: Boris Pfeifer), der sich als Sancho einen Theaterbau­ch zulegt, ist am Ende das gesamte Gefangenen­gericht voll der Sehnsucht, die von Don Quixote gebaute Wirklichke­it möge wahr sein. Also Freispruch! – und auch für die Produktion durch den Applaus. 23. 10., am 1., 10., 15., 23. und 28. 11.

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Meyer (als Don Quixote) in „Der Mann von La Mancha“.
Edle Dame, etwas grantig: Patricia Nessy (als Aldonza) und Robert Meyer (als Don Quixote) in „Der Mann von La Mancha“.
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