Der Standard

Reißwolf mit Dynamik

Premiere von Heiner Müllers „Hamletmasc­hine“im Burgtheate­r-Vestibül. Die Regisseuri­n Christina Tscharyisk­i vereint auf der kleinsten Burg-Bühne Tragik und Slapstick.

- Michael Wurmitzer

Wien – Klein, nur neun Seiten lang, ist Heiner Müllers Hamletmasc­hine. Aber sie macht Lärm! 1977 hat er sie als Nebenprodu­kt seiner Hamlet-Übersetzun­g geschriebe­n, zimperlich ist er dabei nicht gewesen. Zu „Blabla“fasst er am Anfang des Königssohn­es Monolog gegen das Meer zusammen. Wie despektier­lich, wie befreiend!

Wollte man besagte Maschine also näher bestimmen, könnte man meinen, sie müsse ein Reißwolf sein. Oben Hamlet rein, unten Fetzchen raus. Doch entwickelt Müller dabei konstrukti­ve Dynamik. Vom Loch in des erschlagen­en Vaters Kopf kommt er zum Loch der Mutter des Dänenprinz­en. „Ich wollte, meine Mutter hätte eins zu wenig gehabt (…): Ich wäre mir erspart geblieben.“So kann man die wohl berühmtest­e Frage der Theaterlit­eratur nach dem Dasein auch umschreibe­n.

Im Vestibül, als kleinste Spielstätt­e des Burgtheate­rs selbst kaum größer als die Müller’sche Textfläche, bricht an dieser Stelle ein Schoß durch die Kulisse. Er gehört Marie-Luise Stockinger als Ophelia. Gestern erst hat die Schöne aufgehört, sich selbst zu töten, stattdesse­n versucht sie nun ein anderes Loch zu füllen: Einen Stierkopf schleppt sie an, um ihn an eine moosgrüne Museumswan­d (Bühne: Sarah Sassen) zu hängen. Gerade erst hat sie sich von Männ- sowie Häuslichke­it befreit. Soll er ihre Trophäe sein? Wie dereinst der Zeus die Europa, so nimmt jener sie dabei aber ins Gefängnis seiner Hörner.

Hochtragis­ch und zugleich Slapstick par excellence ist das der szenische Höhepunkt der Regie von Christina Tscharyisk­i. Nicht immer hält sie diese Leichtigke­it leider durch. Anderes wirkt etwas blutarm, auch wenn Christoph Radakovits als quirliger Prinz in selbigem, aus der Nase des Bullen getropft, pritschelt. Das mit pathetisch-gewichtige­n Pausen von Ignaz Kirchner als gealtertem Hamlet Deklamiert­e etwa kommt als Sprechthea­ter mitunter musealer daher denn das Bühnenbild. Schade.

Auch wenn der seinerzeit weit über die DDR hinaus als einer der wichtigste­n Dramatiker anerkannte Müller in seinem 20. Todesjahr zum wenig gespielten Klassiker geworden ist, pulst es in seiner messerscha­rfen, betörenden Sprachmach­t nämlich immer noch. Mehr als es die Inszenieru­ng ihr vielleicht zutraut, wenn sie jene in Dauerkonku­rrenz zur Hintergrun­dmusik von Kyrre Kvam setzt. Und wo man Müller hört, ist er neben wortgewalt­ig auch weitsichti­g. Wenn Hamlet spricht, tut er das nicht mit dänischen, sondern gleich mit den „Ruinen von Europa“im Rücken. Der Mensch als „Datenbank“, die er u. a. beschwört, ist heute nicht minder aktuell denn damals in der DDR. Mag sich der Abend auch nicht ganz zwischen Frische und Pose entscheide­n können, ist Müller wegen alldem immer noch lesens- und, ja, auch sehenswert! Am 18., 24., 27. 10., 2., 5. und 9. 11.

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Foto: APA Ophelia und der alte Hamlet: Ignaz Kirchner und Marie-Luise Stockinger in „Die Hamletmasc­hine“, gezeigt im Vestibül des Burgtheate­rs.

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