Baby Bear und die wilden Wasser
Der Kärntner Norbert Sattler war ein gutes Jahrzehnt lang einer der besten Wildwasserkanuten der Welt. Er sammelte in Slalomkursen Medaillen und in weit wilderen Wassern Lebensweisheit. Mit 64 Jahren legt er seinen Schülern zuerst ruhigere Gewässer ans He
Wien/Klagenfurt – Die Eieruhr meldet laut und deutlich Vollendung, das Gespräch wird jäh unterbrochen, „sonst ist sie hin, die Eieruhr“, sagt Norbert Sattler. Der lässt sich sonst kaum unterbrechen in der Erzählung eines Sportlerlebens, das auch vollendet wirkt. Und wieder nicht.
Der in Mauthern geborene Kärntner Norbert Sattler war eine Zeitlang, ohne Übertreibung geschrieben, der beste Wildwasserkanute der Welt. Nur die Krönung blieb ihm versagt, olympisch konnte er sich lediglich versilbern. 1972 in München, genauer in Augsburg, im dortigen Eiskanal. Der sollte eigentlich winters Treibeis des Lech von den Turbinen eines Wasserwerks fernhalten. Umgebaut kam er aber zu olympischen Ehren, weil sich die westdeutschen Kanuten der besseren Trainingsmöglichkeiten wegen einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz versprachen. Sie irrten dramatisch: Gold gewann der Ostdeutsche Siegbert Horn vor Sattler und seinem Landsmann Harald Gimpel.
Sattler lagen einfach die Verhältnisse „wie in einem Hochwasser führenden Fluss“. Die DDRSportbehörden wiederum hatten daheim den Augsburger Eiskanal kurzerhand kopiert und also alle Nachteile kompensiert. „Das war ja damals auch im Sport ein Krieg“, sagt Sattler. „Wir Österreicher waren da immer etwas dazwischen, aber gerne wurde das von deren Funktionären nicht gesehen.“Die hatten ihre Gründe. Schließlich bot das Training im Westen die Möglichkeit zur sogenannten Republikflucht. Sattler erinnert an eine Kanutin, die einen Trainingslauf auf der Lieser in Kärnten einfach nicht beendete. „Sie ist geradeaus weitergefahren, hat dann irgendwann Boot und Paddel seinlassen, ist in ein Auto gestiegen – und weg war sie.“
Auch auf der wilden Lieser, die unterhalb von Spittal in die Drau mündet, hat sich Norbert Sattler als Wildwasserkanute perfektioniert. Erstmals in ein Paddelboot gestiegen ist er aber auf dem Wörthersee. Vater Walter, während des Zweiten Weltkriegs Flugzeugingenieur, danach in Klagenfurt Realitätenhändler, besaß ein Faltboot, war aber eigentlich leidenschaftlicher Boxer. „Er war deutscher Studentenmeister, ich wollte mich aber nicht schlagen lassen.“Das Boxtraining machte aus dem Burschen Norbert Sattler immerhin einen echten Knopf. Wegen seiner auf nur 1,69 Meter Körpergröße verteilten Muskelpakete sollte er später in der Szene der Extrem-Wildwasserpaddler Baby Bear geheißen werden.
Das Flachwasser langweilte Norbert Sattler bald, Wildwasser sollte es sein, nicht die Regatta, in der seine jüngere Schwester Barbara reüssierte, sondern der Slalom. Und in dieser Disziplin forderte Norbert Sattler sehr bald die arrivierten Österreicher, darunter den Oberösterreicher Kurt Presslmayr, der 1963 in Spittal/Drau Weltmeister in der Regatta geworden war und zwei Jahre später, ebenda, nicht nur seinen Titel verteidigte, sondern auch noch im Slalom triumphierte. „Er war mein Vorbild.“
Den ersten Staatsmeistertitel bei den Erwachsenen holte Norbert Sattler beim Traunfall bei Steyrermühl noch als Jugendlicher. Vater Walter hatte ihn einfach genannt, nach einer Bestzeit des Filius im ersten Lauf meldeten die Funktionäre Bedenken an. „Sie haben gemeint, es sei zu gefährlich, aber sie wollten nur die Arrivierten schützen. Weil der ORF live übertragen hat, mussten sie mich fahren lassen. Und ich bin Meister geworden.“
1969 absolvierte Norbert Sattler seine erste WM, bis 1986 sportelte er international in wilden Wassern. 1973 gelang die Revanche an Olympiasieger Horn, Norbert Sattler wurde auf der Muota in der Schweiz Weltmeister. Olympische Revanche war ihm nicht vergönnt, denn 1976 in Montreal 110. Teil
stand der Wildwasserslalom nicht mehr auf dem Programm. „Schade, ich wäre sicher noch besser gewesen, das Duell mit Horn wäre weitergegangen.“Bei der Heim-WM 1977 in Spittal holte Norbert Sattler Bronze im Einzel und Silber in einer Mannschaft. Im Jahr darauf wurde er Europameister.
Die sportlichen Erfolge nach Olympia 1972 hatten das Scheitern des Schülers in der HTL verschmerzen lassen, Norbert Sattler, der in Ferlach den Beruf des Werkzeugbauers erlernte, verdiente sein Geld zumeist beim Bundesheer, „ich war bei der HSNS, habe aber öfter abgerüstet“. Das lag an zahlreichen längeren Auslandsaufenthalten, zunächst in Südafrika, wo er auch als Trainer arbeitete, später dann in den USA, wo Norbert Sattler ein Star der Extrem-Wildwasserszene war. Der TV-Sender ABC drehte Dokumentationen, brauchte Athleten, die den Anforderungen gerecht werden konnten. „Das war sehr professionell. Mit dem Hubschrauber wurden die Flüsse ausgesucht. Wir sind dann überall hinuntergefahren. Ich wollte aber nicht im Wildwasser sterben.“Sattler frug sich, ob es sinnvoll sei, für 1000 Dollar plus Kost und Logis sein Leben zu riskieren. „Es war schön, aber nicht ganz meine Welt.“
Der Trainerjob wäre seine Welt gewesen, doch in Österreich zog man Engagements ausländischer Trainer vor. Norbert Sattler eckte an, „man hat mir Prügel in die Haxn geworfen. Man will irgendwann ein bisschen etwas anderes machen, aber die Funktionäre bleiben ja immer die gleichen.“In Südafrika und später in Japan, wo er seine Ehefrau Hiromi kennenlernte, war Sattlers Know-how durchaus willkommen.
Heute bietet er zusammen mit Schwester Barbara Kajakkurse an, während der Saison wohnt Norbert Sattler in einem Campingbus mit Vorzelt in Bovec, Slowenien, paddelt mit Schülern auf der herrlichen Soča. Es gibt Wochen- und Dreitageskurse, „aber die Leute sind nicht mehr vernünftig“. Der Profi würde gerne die Grundschule zunächst auf dem Wörthersee lehren, „aber viele wollen während eines halben Tages aufs Wildwasser. Die glauben, das ist wie ins Riesenrad steigen bei der Herbstmesse.“
Dabei braucht alles seine Zeit, das gilt fürs Wildwasserpaddeln ebenso wie fürs Eierkochen.