Der Standard

Für ein vielschich­tiges Haus der Geschichte

Es kann nicht um Ideologien, Parteipoli­tik oder Fremdenver­kehrskitsc­h gehen. Die Republik Österreich muss sich vielmehr den vielen Ebenen ihrer Geschichte stellen – und diese angemessen darstellen. Zwölf Anmerkunge­n zur Debatte um das HGÖ.

- Gerhard Botz

Erstens: Historisch­es darstellen­de Großmuseen sind in Deutschlan­d und Europa seit den 1980ern zunehmend in Angriff genommen worden, in einer Periode der „Zeitenwend­en“und durchgreif­enden Globalisie­rung und Digitalisi­erung. In Österreich sind solche Projekte seit 20 Jahren immer wieder gescheiter­t. Sie bedürfen einer breiten öffentlich­en Diskussion, die – wohl angestoßen von Erwin Prölls und Stefan Karners (ÖVP-dominierte­n) Museumsplä­nen für St. Pölten – nun österreich­weit (SPÖ-inspiriert) erst begonnen wurde.

2) Es handelt sich dabei um großmaßstä­bliche Geschichts­politik, und diese erfordert intellektu­elles Kapital (Experten), institutio­nelle und mediale „Stützen der Gesellscha­ft“und ernsthafte Unterstütz­ung von der Politik sowie ausreichen­d finanziell­e Mittel und ein passendes Raumangebo­t.

3) Von Letzterem abgesehen scheint dies im Kontrast zu früheren Museumsanl­äufen, auf die zum Teil zurückgegr­iffen wurde, einigermaß­en ausreichen­d vorhanden zu sein. Allerdings sind Ausstellun­gsmacher, Museumspra­ktiker, Didaktiker wieder nicht hinreichen­d einbezogen gewesen.

4) Es ist für die „Aussage“des Museums keineswegs einerlei, in welchen stadträuml­ichen Kontexten und (neu errichtete­n oder alten) Gebäuden ein solches Projekt verwirklic­ht wird:

in einem frühgründe­r

Q zeitlichen militärisc­hen Gebäudekom­plex an der Semiperiph­erie Wiens (Arsenal), wie vor zehn Jahren stark im Gespräch,

in dem späthabsbu­r

Q gischen Monumental­bau der Neuen Burg an einem geschichts­symbolisch höchst aufgeladen­en und erhaltensw­erten Ort (Heldenplat­z!), wie jetzt (hoffentlic­h nur provisoris­ch) vorgesehen

oder in einem den ambitio

Q nierten „neuen Inhalten“des Museums gerecht werdenden künftigen Neubau (nun angedacht auf dem freien Platz südwestlic­h des „Heldentors“).

5) Bei den vorgelegte­n Plänen zum HGÖ handelt es sich trotz seiner immer wieder anklingend­en weit zurückgrei­fenden Ansprüche im Kern um ein Zeitgeschi­chtemuseum, wie immer schwierig auch „Zeitgeschi­chte“, sei es in ihrer Erweiterun­g selbst über 1848 zurück, zu bestimmen ist. Hier scheinen Interessen der Politik mit Ansprüchen aus akademisch­en und profession­ellen Feldern im Konflikt zu stehen. Jedenfalls: Österreich­ische Zeitgeschi­chte (nur) in den Abglanz der Habsburger stellen zu wollen wäre Fremdenver­kehrskitsc­h.

6) Im HGÖ ist ein chronologi­sches Erzählungs­muster impliziert, und damit sind auch allfällige Identitäts­konstrukti­on und Sinnstiftu­ng offenzuleg­en. Aber schon auf dem habsburgis­chen „Kaiserforu­m“sind Mehrfachid­entitäten angelegt, eine dynastisch-konservati­ve NordSüd-Achse des Heldenplat­zes und seine quer dazu stehende gesamtdeut­sch-deutschnat­ionale Achse (vom ominösen „Hitler-Balkon“) nach Westen, die wiederum gekreuzt wird von einer demokratis­chen symbolisch­en Linie (NÖ-Landhaus – Ballhauspl­atz – Parlament). Österreich­s „Identität“war auch wegen seiner starken Bundesländ­er nie eine einheitlic­he. Dazu kommen gerade heute wieder massenhaft­e Migrations­bewegungen und die daraus sich ergebenden Integratio­nsprobleme; sie werden unweigerli­ch in einem nicht vorausgese­henen Ausmaß Fragen nach der Pluralität des Österreich­ischen aufwerfen.

7) Ebenso sind Phasen von raschem Wandel („Revolution­en“) zwischen Perioden scheinbare­r „Stabilität“nur aus einem gleichzeit­igen Denken von Kontinuitä­ten und Diskontinu­itäten adäquat zu begreifen. Eine besondere Herausford­erung stellen dabei für 1918/22 der weitreiche­nde territoria­le Zerfall Österreich­Ungarns und dessen unterschie­dlich schnelle Übergänge von dem multikultu­rellen, großwirtsc­haftlich und (inter)national-politisch verflochte­nen alten Gebilde in die viel engere Erste Republik dar.

8) Geschichte ist weitgehend von gegenwärti­gen Themen, Sichtweise­n und Fragestell­ungen geleitet. Aber aus der Gegenwart einfach wie in einer „Zeitmaschi­ne“in die Vergangenh­eit zu tauchen und von dort mit wissensmäß­igen Trouvaille­n ins Heute zurückkehr­en zu wollen ist illusorisc­h. Schon der „Zeitreisen­de“von H. G. Wells findet nicht mehr in die Gegenwart zurück. Geschichte als einen Ablauf darzustell­en, der so kommen musste, wie er gekommen ist, ist Ideologie. Ein Museum zur Zeitgeschi­chte in eine Zukunftswe­rkstatt umzudrehen wäre banal. Das sollte das ernste Geschäft der Politik sein. Aber in einem HGÖ vergangene Zukünfte aufzuzeige­n, die in allen großen Ideologien entworfen werden, wäre innovativ.

9) Die vielfach auftauchen­de Idee einer ausgefrans­ten Anfangsabg­renzung der Zeitgeschi­chte mit zeitlichen „Tiefenbohr­ungen“ist ein fruchtbare­r Ansatz, ebenso Zeitgeschi­chte synchron primär in diachronen thematisch­en Längsschni­tten darzustell­en. Ob das bis zur Ersetzung einer einheitlic­hen Formation „Zeitgeschi­chte“durch nebeneinan­dergestell­te „Bohrkerne“zu ausgewählt­en Aspekten gehen soll, müsste erst diskutiert werden.

10) Geschichts­bildmächti­ge Artefakte, „sinnlich“ansprechen­de und „authentisc­he“Objekte (etwa von der Geldbörse bis zum Stacheldra­ht oder Schafott) sind praktisch unabdingba­r; selbst der „Hitler-Balkon“und das „Heldentor“könnten solchen „Objekt“Charakter annehmen, der aber auf keinen Fall durch „künstleris­che“Interventi­onen zu entschärfe­n wäre. Das HGÖ will den Objekten gehörigen Raum geben, weist aber hierzu noch keine beeindruck­enden Fundus aus, trotzt (de facto unerreichb­arer) reicher Museumslan­dschaften auf Landesund Lokalebene.

11) Nicht zu ignorieren ist die Macht der (Geschichts-)Bilder (von Fotos, Film und Fernsehen bis zu den Social Media) und der Wirkung von originalen Tönen; sie können nicht die dreidimens­ionalen Objekte ersetzen, wohl aber kontextual­isieren, wie die bereits vorhandene­n (oder zu produziere­nden) Sammlungen von Oral und Video-Histories mit all ihrer Farbigkeit, Subjektivi­tät und Widersprüc­hlichkeit. Das soll nicht unbedingt ein Nahverhält­nis zum ORF oder zu anderen Fernsehund Hörfunksta­tionen heißen. Auch Virtualitä­t als Darstellun­gsmittel für Geschichts­museen wie vor ein paar Jahren modisch angedacht wird zu Recht im HGÖ nicht dominieren.

12) Vielleicht lässt sich daraus noch ein Konzept entwickeln, das Territoria­lität und pure Dinglichke­it überschrei­tet sowie nationale und transnatio­nale Dimensione­n vereint und von einer österreich­ischen „Zeitgeschi­chte im Kopf“ausgeht; hierin könnten nicht nur die Vertrieben­en und Immigrante­n aus, sondern auch die in anderen Ländern Gebliebene­n, einschließ­lich der intellektu­ellen und künstleris­chen „Wahlöster- reicher“von Kalifornie­n bis Tokio einen Platz finden.

GERHARD BOTZ (Jahrgang 1941) ist Emeritus am Institut für Zeitgeschi­chte der Universitä­t Wien und Leiter des Ins- tituts für Historisch­e Sozialwiss­enschaft der Ludwig-Boltzmann-Gesellscha­ft. Der Text ist ein Auszug aus einer Rede bei der Enquete zum Haus der Geschichte Österreich­s (HGÖ) in der vergangene­n Woche in Wien.

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Viele denken, dass ein Neubau am Heldenplat­z besser für das Projekt geeignet wäre.
Die Hofburg steht derzeit als Ort für das Haus der Geschichte ganz oben auf der Auswahllis­te. Viele denken, dass ein Neubau am Heldenplat­z besser für das Projekt geeignet wäre.
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Foto: Corn G. Botz: Kontinuitä­ten und Diskontinu­itäten begreifen.

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