KOPF DES TAGES
Eine unpolitische Kandidatin wurde zum Symbol
Eigentlich könnte Henriette Reker längst Oberbürgermeisterin von Köln sein. Denn eigentlich sollte in der viertgrößten deutschen Stadt schon am 13. September ein Nachfolger für den scheidenden Stadtchef Jürgen Roters gewählt werden. Damals, mehr als einen Monat vor dem Attentatsversuch, der die Kandidatin nun über die Stadtgrenzen hinaus bekannt machte, hatte sie in Umfragen deutlich geführt. Zu groß war der Unmut der Kölner über angeblichen Stillstand unter der langjährigen SPD-Regierung.
Doch es sollte anders kommen: Weil auf dem Stimmzettel die Parteibezeichnungen zu groß und die Kandidatennamen zu klein aufgedruckt waren, wurde der Urnengang im letzten Moment verschoben. Eine Wendung, hinter der manche Anhänger Rekers die SPD-dominierte Verwaltung vermuteten. Immerhin hatte die parteilose Kandidatin die engen Verflechtungen zwischen Beamtenapparat und Politik zu einem ihrer großen Wahlkampfthemen gemacht.
Und tatsächlich: Die Verlängerung schien dem SPD-Kandidaten Jochen Ott zu helfen, während Reker, als Kölner Sozialdezernentin auch für die Unterbringung von Flüchtlingen verantwortlich, in Boulevard-Schlagzeilen geriet. Denn die Herbergssuche zwang die Juristin, die bisher als unpolitischeffizient aufgetreten war, Stellung zu beziehen. Sie mietete Hotels und einen ehemaligen Baumarkt an; und das Bonotel, in den 1990erJahren noch Treffpunkt der Kölner Society, ließ sie vollständig kaufen. „Vier Sterne für Asylanten“machten Zeitungen daraus, während Ott die Verteilungsfrage in seiner Kampagne nutzte. Zu viele Menschen würde Reker in die ärmeren Stadtteile schicken, kaum jemand lande in den reicheren Vierteln.
Der Vorwurf zielte auf eine Schwachstelle Rekers ab, die mit einem australischen Golflehrer verheiratet ist und der in Arbeitertraditionen verhafteten Stadt mehr Glanz und ein „professionelles Management“verspricht. Sooft die 58-Jährige auch auf ihre „sozialdemokratische Familie“verwies und den Münchner Ex-Bürgermeister Christian Ude (SPD) als Vorbild nannte – den Eindruck, es fehle der gemeinsamen Kandidatin von CDU, FDP und Grünen an Nähe zu den Sorgen einfacher Bürger, den versuchten Gegner immer wieder aufzubauen.
Die Entzauberung könnte Konkurrenten gelungen sein. Der Anschlag vom Samstag hat in Köln zwar zu einer Welle des Mitgefühls geführt – die Wahlbeteiligung lag aber unter jener der letzten Abstimmung.