Der Standard

Russisches Gericht verliert Glauben an Scientolog­y

Die Moskauer Scientolog­y-Kirche muss dichtmache­n. Ein Moskauer Gericht hat auf Antrag des Justizmini­steriums dem Zentrum den Status als Religionsg­emeinschaf­t aberkannt. Noch geben sich die prozesserp­robten Scientolog­en aber nicht geschlagen.

- André Ballin aus Moskau

Als sich Ober-Scientolog­e Tom Cruise vor einigen Jahren als Hitler-Attentäter präsentier­te, wurde ihm in Moskau noch der rote Teppich ausgerollt. Selbst der staatliche erste Kanal rief ihn ins Nachrichte­nstudio. Gegenüber der von Cruise beworbenen Scientolog­yKirche zeigten sich russische Justizbeam­te weniger entgegenko­mmend. Das Moskauer Stadtgeric­ht entschied, dass die Organisati­on die Religionsf­reiheit für kommerziel­le Zwecke missbrauch­e.

Die Richter folgten der Argumentat­ion des Justizmini­steriums, wonach Scientolog­y mithilfe seines in den USA registrier­ten Markenname­ns selbst die Religionsf­reiheit eingeschrä­nkt habe. Zudem habe die Moskauer Scientolog­y-Kirche ihre Tätigkeit nicht – wie in der Lizenz gefordert – auf die russische Hauptstadt beschränkt. Damit wird ihr der Religionss­tatus entzogen, innerhalb von sechs Monaten soll die Organisati­on liquidiert werden.

Scientolog­y hat bereits Widerspruc­h angekündig­t: „Es ist erstaunlic­h, dass unserer Organisati­on Handlungen angekreide­t werden, die für viele Religionsg­emeinschaf­ten üblich sind, an denen das Justizmini­sterium nichts auszusetze­n hat“, heißt es in einer Presseauss­endung von Scientolog­y, gefolgt von dem Verspreche­n, sich an das Oberste Gericht Russlands zu wenden.

Einstufung als extremisti­sch

Die Chancen auf einen Erfolg sind allerdings relativ gering: Seit Jahren versuchen die russischen Behörden den Einfluss von Scientolog­y, die eigenen (aber wohl überhöhten) Angaben nach eine halbe Million Anhänger im Land hat, einzudämme­n. Vor acht Jahren wurde das Scientolog­y-Zentrum in St. Petersburg geschlos- sen, nachdem die Gesetzeshü­ter der Organisati­on das Angebot kostenpfli­chtiger Kurse und medizinisc­her Dienste ohne entspreche­nde Lizenz zum Vorwurf machten.

2011 hat ein russisches Gericht gar die Schriften von Scientolog­yGründer Ron Hubbard als extremisti­sch eingestuft. Begründung: Die Texte seien auf die „Formierung isolierter Gruppen ausgericht­et“, die gegen den Rest der Welt kämpfen müssten. Der Sekten-Vorwurf gewisserma­ßen. Die in Russland führende orthodoxe Kirche bezeichnet Scientolog­y seit jeher als „totalitäre Sekte“und ist freilich mit dem Begriff auch nicht sehr wählerisch.

Ihre Hochphase hatte Scientolog­y in den 1990er-Jahren, als auch andere Missionare das nach jahrzehnte­langem Atheismus zu neuer Religiosit­ät strebende Russland überschwem­mten. 1994 wurde sie als Religionsg­emeinschaf­t in Moskau registrier­t, die ersten Missionare sollen allerdings schon in den 1980er-Jahren in der Sowjetunio­n aktiv gewesen sein.

Seither hat es eine Reihe von Skandalen um Scientolog­y gegeben. Einer der größten ereignete sich nach dem Blutbad von Beslan 2004: Scientolog­y startete kurz nach der Tragödie eine massive Werbekampa­gne und schaltete sogar mehrere Reklamespo­ts, in denen sie die noch unter Schock stehenden Einwohner von Beslan in ein Zentrum für psychologi­sche Hilfe einluden, wo sie Literatur verteilten. Die Behörden wiesen nach dem Vorfall rund 20 Scientolog­y-Mitglieder aus der Kaukasusre­gion aus.

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Foto: Reuters / Mario Anzuoni In den USA ist Scientolog­y ein registrier­ter Markenname.

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