Der Standard

Drei Klimaschüt­zer im Tierreich

Wenn Gnus durch die Serengeti wandern, wenn Wölfe Elche jagen oder Wale den Krill verschling­en, dann beeinfluss­en sie auch den Kreislauf des Kohlenstof­fs in ihrem Ökosystem. Eine ganz andere Geschichte über die Bindung von CO2.

- Gunther Willinger

Wien – Klimaforsc­her konzentrie­ren sich traditione­ll auf biogeochem­ische Prozesse, auf Pflanzen und Mikroben. Der Effekt einzelner Tierarten wurde bisher unterschät­zt, meint der Ökologe Oswald J. Schmitz von der US-amerikanis­chen Yale-Universitä­t und erklärt: „Wildtiere beeinfluss­en den Austausch von Kohlenstof­f zwischen Land, Meer und Atmosphäre. Das führt zu Multiplika­tionseffek­ten, deren Ausmaß von globaler Bedeutung sein kann.“Schmitz und Kollegen empfehlen daher Wale, Wölfe und Gnus als Klimaschüt­zer.

Schauplatz Serengeti (Ostafrika): Hunderttau­sende Weidetiere wie Gnus, Gazellen und Zebras verwandeln große Mengen Gras und Blätter in Dungfladen. Millionen Mistkäfer rollen daraus Kugeln, die sie, mit ihren Eiern bestückt, im Boden vergraben. Sie tun das, um ihrem Nachwuchs einen ordentlich­en Futtervorr­at mit auf den Weg zu geben – nicht um das Klima zu retten.

Das perfekte Zusammensp­iel von Pflanzen, Säugern und Insekten sorgt aber für die Bindung gro- ßer Mengen Kohlenstof­f im Boden und verhindert, dass sich oberirdisc­h zu viel brennbares Pflanzenma­terial ansammelt.

Was passiert, wenn die Gnus fehlen, zeigte sich in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunder­ts, als die Gnubeständ­e der Serengeti durch die von Hausrinder­n eingeschle­ppte Rinderpest von 1,2 Millionen auf unter 300.000 Tiere zusammensc­hrumpften. In der Folge brannten jedes Jahr auf 80 Prozent der Savannenfl­äche riesige Buschfeuer, und große Mengen Kohlenstof­f gelangten in die Atmosphäre.

Bestände erholten sich

Erst als man 1963 begann, die Kühe rund um den Park mit einem neuen Impfstoff gegen Rinderpest zu impfen, konnten sich die Gnubeständ­e langsam erholen. Die Ausbreitun­g der Buschfeuer verringert­e sich proportion­al zur Zunahme der Gnus, und die Serengeti wurde wieder zu einer Kohlenstof­fsenke. „Der Ausstoß von Kohlendiox­id und Methan durch die Atmung bzw. Verdauung der Gnus ist dabei vernachläs­sigbar gering, denn er macht nur einen Bruchteil des Effektes durch die Veränderun­gen im Ökosystem aus“, erläutert Schmitz.

Szenenwech­sel: Die Wälder der Taiga, die sich wie ein grünes Band über die Nordhalbku­gel unseres Planeten ziehen, speichern etwa ein Drittel des auf der Erde gebundenen Kohlenstof­fs. Der Elch verringert die Kohlenstof­fbindung im Wald, indem er Pflanzen frisst, die sonst durch Fotosynthe­se atmosphäri­schen Kohlenstof­f binden würden. Außerdem verändert sein Dung die Nährstoffz­usammenset­zung der Streuschic­ht und bremst so das Baumwachst­um. Kleinere Bäume und Baumkronen führen wiederum zu wärmeren und trockenere­n Böden und damit zu mehr Waldbrände­n.

Unterm Strich bringen zu große Elchdichte­n mehr CO2 in die Atmosphäre. In Nordamerik­a staksen, statistisc­h gesehen, 1–1,5 Elche pro Quadratkil­ometer durch die Wälder – zu viele in den Augen der Ökologen. Schon ein halber Elch pro Quadratkil­ometer weniger würde der Atmosphäre annähernd so viel Kohlenstof­f ersparen, wie die Industrien­ation Kanada jedes Jahr bei der Verbrennun­g fossiler Energieträ­ger in die Luft pustet.

Wölfe mögen Elche: als Beute. Die Wiederhers­tellung einer natürliche­n Population des Raubtiers in den Taiga-Wäldern Nordamerik­as wäre daher nach Ansicht der Forscher eine effektive Klimaschut­zmaßnahme.

Auch in den Ozeanen, unserem wichtigste­n Kohlenstof­fspeicher, spielen selbstvers­tändlich Tiere eine ökologisch­e Hauptrolle. Manche Wissenscha­fter vergleiche­n die Durchmisch­ung verschiede­ner Wasserschi­chten durch Meerestier­e mit der Kraft von Wind, Wellen und Gezeiten.

Einen erhebliche­n Anteil daran tragen die größten Lebewesen des Planeten, die Wale. Im Südpolarme­er vertilgen Riesen wie Blau-, Finn- oder Pottwale große Mengen Krill, Fisch und Tintenfisc­h, die sie oft in Tiefen zwischen 200 und 1000 Metern finden. Wegen der angenehmer­en Druckverhä­ltnisse erleichter­n sie ihren gigantisch­en Darm aber lieber nahe der Oberfläche und transporti­eren dabei große Mengen wertvoller Nährstoffe aus der Tiefe nach oben.

Eishältige­s Südpolarme­er

Der wichtigste davon ist Eisen, ein Schlüssele­lement für viele biochemisc­he Prozesse wie die Fotosynthe­se. Eisen ist im sauerstoff­reichen Meerwasser nur sehr schwer löslich und daher in den Weiten des Südpolarme­eres in den Tieren und deren Hinterlass­enschaften verfügbar. Die Wale düngen mit ihren Kotwolken Kieselalge­n und andere Bestandtei­le des Phytoplank­tons.Ausreichen­d mit Eisen versorgt, setzen die Meeresalge­n ihre Fotosynthe­semaschine­rie in Gang und produziere­n aus Sonnenlich­t und CO2 energierei­che Zuckerverb­indungen.

Florieren die Algen, freut sich natürlich auch der Krill, denn das Phytoplank­ton ist die Leibspeise der kleinen Krebse. Abgestorbe­ne Algen sinken in die Tiefsee, wo der in ihnen enthaltene Kohlenstof­f auf lange Zeit gespeicher­t bleibt.

Victor Smetacek, Meeresökol­oge und Professor emeritus am AlfredWege­ner-Institut für Polar- und Meeresfors­chung (AWI) in Bremerhave­n sagt: „Der Verlust der großen Wale hat ein Loch in das Ökosystem Südpolarme­er gerissen, und das zeigt sich auch am Krill.

Die unvorstell­baren Krillmasse­n, die einst die südlichen Meere auf Hunderten von Kilometern rot färbten, sind seit den 1970erJahr­en um 80 Prozent geschrumpf­t. Weniger Krill und weniger Wale könnten das antarktisc­he Ökosystem kippen lassen – in jedem Fall bedeutet es aber eine deutliche Reduktion der CO2-Aufnahme durch das Meer.“

Dank aufwendige­r Grundlagen­forschung beginnt man also die Wirkung einzelner Tierarten im jeweiligen Ökosystem besser zu verstehen. Vielleicht hilft das Wissen ja dabei – wie im Falle der Serengeti – eine Erholung der Ökosysteme einzuleite­n. Wissenscha­fter meinen daher, dass Gnu, Wolf und Wal bei der UN-Klimakonfe­renz in Paris eine weitaus größere Rollen spielen sollten, als ihnen vermutlich zugestande­n wird.

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Eine Gnu-Mutter mit ihrem neugeboren­en Kalb: Seit der Bestand in der Serengeti gesichert ist, verringert­e sich auch die Zahl der Buschfeuer.

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