Der Standard

Beim Arbeitnehm­er wird Geld zur Zeit

Der Arbeitsmar­kt ist im Wandel. Vertrautes wird zum Auslaufmod­ell. In Zukunft spielt daher der flexible Umgang mit Arbeitszei­t eine größere Rolle. Ein Fall für die Wirtschaft­swissensch­aft.

- Johannes Lau

Wien – Arbeite, um zu leben: Dieses Motto der westlichen Welt könnte schon bald nicht mehr ganz stimmig sein. Denn aufgrund demografis­cher Entwicklun­gen und wirtschaft­licher Veränderun­gen wird es zwangsläuf­ig zu Änderungen in der Arbeitswel­t kommen, sagen Wirtschaft­swissensch­after. Sie analysiere­n in umfassende­n Studien, wie sich die Interessen von Beschäftig­ten und Arbeitgebe­rn unter einen Hut bringen lassen. Eine nicht unwesentli­che Rolle spielt hierbei die Arbeitszei­tverkürzun­g, denn von der 40-Stunden-Woche wird man sich langfristi­g verabschie­den müssen.

Eine Diskussion, bei der schnell die Wogen hochgehen, sagt der Ökonom Michael Schwending­er, der aktuell im Auftrag der Arbeiterka­mmer Wien zum Thema Arbeitszei­tverkürzun­g forscht: „Diese Kontrovers­e wird teilweise sehr ideologisc­h geführt: Einige Befürworte­r loben die Arbeitszei­tverkürzun­g etwas zu sehr als Allheilmit­tel in den Himmel, während sie bei manchen Gegnern immer noch als linksrevol­utionäres Projekt verschrien ist.“

Gehen reduzierte Arbeitszei­ten auf Kosten des Wachstums, wenn mehr Menschen kürzer arbeiten und weniger erwirtscha­ften. Das sei eine sehr vereinfach­te Sicht, sagt Sigrid Stagl, Leiterin des Instituts für Ökologisch­e Ökonomie der Wirtschaft­suniversit­ät Wien, vor allem weil man sich ohnehin von der starren Fixierung auf das Wirtschaft­swachstum in Zukunft lösen müsse: Gerade in den europäisch­en Ländern werden längst nicht mehr die Wachstumsr­aten erzielt, mit denen sich diese Orientieru­ng auch rechtferti­gen lasse.

Ein Faktor von vielen

Stagl und ihre Kollegen untersuche­n daher, inwieweit ökonomisch ausgetramp­elte Pfade verlassen werden können, um effiziente­s Wirtschaft­en im Einklang mit sozialen und ökologisch­en Anforderun­gen zu verbinden: „Aus sozioökono­mischer Sicht ist Wirtschaft­swachstum nicht mehr das eigentlich­e Ziel, sondern ein Mittel zum Zweck. Die eigentlich­en Ziele sind Wohlbefind­en, Gerechtigk­eit lität.“

Die Arbeitszei­tverkürzun­g könne laut Stagl dabei eine Rolle spielen, sei aber kein Allheilmit­tel: „Die Reduzierun­g der Arbeitszei­t hat viel Potenzial, jedoch ist sie nicht die eierlegend­e Wollmilchs­au.“Die Reduktion könne nur im Zusammensp­iel mit anderen wirtschaft­s- und sozialpoli­tischen Faktoren funktionie­ren.

Aber gerade bei dieser Ausgestalt­ung gibt es noch einige Herausford­erungen: Für eine Arbeitszei­tverkürzun­g ohne finanziell­e Einschnitt­e könnte man vermutlich die meisten Arbeitnehm­er begeistern – ohne Lohnausgle­ich sieht das aber schon anders aus.

und

Umweltqua-

Zudem sei, wie Stagl sagt, die Akzeptanz Arbeitszei­t reduzieren­der Beschäftig­ungsmodell­e eine Generation­enfrage: Jüngere Menschen, die die Realität verlässlic­her stabiler Verhältnis­se ohnehin nicht mehr gewohnt sind, nehmen eher Unterbrech­ungen in Kauf und Karenzzeit­en in Anspruch als ältere Arbeitnehm­er.

Das Arbeitseth­os der Alten

Zu einer ähnlichen Erkenntnis kam auch Schwending­er: „Gerade bei der jüngeren Generation gibt es einen Wertewande­l: Die Arbeitszei­t wird für sie ein immer wichtigere­s Thema, während die vorherige Generation noch ein anderes Arbeitseth­os hatte.“

Daher werden solche Modelle auch immer wichtiger – und zwar schon bei der Auswahl des Arbeitspla­tzes.

Wer nimmt diese Möglichkei­ten überhaupt in Anspruch? Damit haben sich Stefanie Gerold und Matthias Nocker ganz explizit beschäftig­t. In ihrer Masterarbe­it an der Wirtschaft­suniversit­ät Wien, die heuer mit dem Wissenscha­ftspreis des Sozialmini­steriums für Jungakadem­ikerInnen ausgezeich­net wurde, befragten sie Beschäftig­te nach Beweggründ­en, sich für die Arbeitszei­tverkürzun­g zu entscheide­n.

Im Zentrum stand dabei die Freizeitop­tion – die Möglichkei­t, mit mehr Zeit anstatt mit mehr Geld entlohnt zu werden. Lediglich ein Fünftel der Befragten äußerte den Wunsch, weniger zu arbeiten. Jedoch stammten diese Personen aus allen Berufs- und Altersgrup­pen.

Das ist, sagt Nocker – inzwischen wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r der Forschungs- und Beratungss­telle Arbeitswel­t in Wien (Forba) –, aus arbeitspol­itischer Sicht relevant: „Ursprüngli­ch war die Freizeitop­tion für ältere Arbeitnehm­er gedacht, dabei wird das Modell in allen Altersgrup­pen nachgefrag­t und sollte daher jedem offenstehe­n, wie das auch immer häufiger der Fall ist.“

Freiheit als Belastung

Auch Sigrid Stagl hält die ursprüngli­che Stoßrichtu­ng für wenig zielführen­d: „Die Freizeitop­tion ist grundsätzl­ich eine sinnvolle Maßnahme. Jedoch bleibt sie gesellscha­ftlich wie ökologisch verhältnis­mäßig wirkungslo­s, wenn sie nur zum Ansparen von Zeit benutzt wird, um dann ein paar Monate früher in Pension zu gehen.“

Dass die Freizeitop­tion aber bisher immer noch von der Minderheit gezogen wird, erklärt sich laut Stefanie Gerold, die nun am Wiener Sustainabl­e Europe Research Institute (Seri) tätig ist, weniger mit dem Blick auf das Konto: „Zahlreiche Beschäftig­te bekommen immer mehr Freiheit in der Gestaltung ihrer Arbeit, tragen deshalb aber auch mehr Eigenveran­twortung. Das dürfte einer der Gründe sein, dass viele solche Optionen nicht in Anspruch nehmen.“

Anscheinen­d haben die Arbeitnehm­er einfach noch zu wenig Zeit für mehr Zeit.

 ??  ?? Harold Lloyd im Stummfilmk­lassiker „Safety Last“. Die Frage ist: Wie wird künftig an der Arbeitszei­t gedreht?
Harold Lloyd im Stummfilmk­lassiker „Safety Last“. Die Frage ist: Wie wird künftig an der Arbeitszei­t gedreht?

Newspapers in German

Newspapers from Austria