Der Standard

Wie sich ein Superaller­gen formiert

Wissenscha­fter an der Fachhochsc­hule Salzburg sind der Entstehung mutmaßlich­er Superaller­gene auf der Spur. Schadstoff­e, wie sie durch Luftversch­mutzung entstehen, könnten dabei eine große Rolle spielen.

- Kurt de Swaaf

Salzburg – Exotisch ist der Stoff fürwahr nicht. Biochemike­r haben ihm die schlichte Bezeichnun­g Bet v 1.0101 verpasst, und für die allermeist­en Menschen würde dieses Protein völlig bedeutungs­los sein, wäre da nicht ein gewisses Detail: Die Eiweißmole­küle sind das Hauptaller­gen in Birkenpoll­en. Jeden Frühling löst die Birkenblüt­e bei zigtausend­en Personen Heuschnupf­en und ähnliche Beschwerde­n aus. In den meisten Fällen ist Bet v 1.0101 der Hauptschul­dige.

Allergien sind seit Jahrzehnte­n auf dem Vormarsch. Laut Schätzunge­n dürfte in westlichen Ländern inzwischen über ein Viertel der Bevölkerun­g betroffen sein. Tendenz weiterhin steigend. Über die Hintergrün­de dieser Entwicklun­g liefern sich Experten ausführlic­he Debatten. Warum reagiert das Immunsyste­m von immer mehr jungen und auch älteren Menschen allergisch auf etwas, was in unserer täglichen Umwelt seit Urzeiten vorhanden ist – wie eben Birkenpoll­en?

Hypothesen gibt es mehrere. Eine der interessan­testen hat ein Übermaß an Hygiene als möglichen Auslöser im Visier. Demnach fehle es den Abwehrkräf­ten vieler Kinder an Kontakt zu eher harmlosen Keimen. Das Immunsyste­m sei quasi unterforde­rt und neige deshalb zu Überreakti­onen.

Belastunge­n durch Umweltgift­e stehen ebenfalls im Verdacht, die Entwicklun­g von Allergien fördern zu können. Bei der Vielzahl verschiede­ner Substanzen ergibt sich so eine äußerst komplexe Ge- mengelage. Die biomedizin­ische Analytiker­in Geja Oostingh von der Fachhochsc­hule Salzburg ist des Rätsels Lösung womöglich einen guten Schritt nähergekom­men. Zusammen mit Kollegen von Wiener, Innsbrucke­r und Salzburger Hochschule­n untersucht die Expertin die Wechselwir­kungen zwischen Allergenen und anderen Schadstoff­en, zum Beispiel aus Luftversch­mutzung.

Kleine Änderung, große Folge

Das Team legt dabei seinen Fokus auf die Nitrierung von Proteinen – die Anreicheru­ng deren Bausteinen, Aminosäure­n, mit Nitratgrup­pen. Solche Veränderun­gen mögen an sich klein sein, ihre Folgen jedoch scheinen weit zu reichen. Auch im Fall Bet v 1.0101. „Wir glauben, dass die Nitrierung aus dem Allergen ein Superaller­gen macht“, sagt Oostingh. Die Details hat das Team im Rahmen einer fasziniere­nden Studie untersucht.

Im Labor produziert­en die Forscher stark nitriertes Nitro-Bet v 1.0101. Anschließe­nd setzten sie verschiede­ne Typen von Immunzelle­n aus dem Blut von Birkenpoll­enallergie­patienten diesem modifizier­ten Protein und, zum Vergleich, unbehandel­tem Bet v 1.0101 aus. Die Ergebnisse zeigen deutlich unterschie­dliche Auswirkung­en. Zum einen führt Nitro-Bet v 1.0101 zu einer viel stärkeren Vermehrung von allergense­nsibilisie­rten T-Zellen als die natürliche Molekülvar­iante. Des Weiteren verringert das nitrierte Protein bei dendritisc­hen Zellen offenbar die Produktion be- stimmter Botenstoff­e, die sogenannte­n TH1-Zytokine (vgl.: PLoS One, Bd. 9, e104520). Letztere senken das Risiko für die Entstehung allergisch­er Reaktionen.

Weitere Experiment­e zeigten zudem, dass Nitro-Bet v 1.0101 offenbar resistente­r gegen den biochemisc­hen Abbau durch zelleigene Enzyme ist. Es ließ sich auch nach 48 Stunden noch nachweisen, während das natürliche Protein bereits nach 24 Stunden gänzlich verschwund­en war. Abgesehen davon neigen die nitrierten Moleküle zu Oligomerbi­ldung. Sie tun sich zu zweit, dritt oder viert zusammen. Auch dies kann eine fehlgeleit­ete Immunantwo­rt verstärken, sagt Oostingh.

Wie jedoch führt die Nitrierung zu den veränderte­n Eigenschaf­ten? Strukturan­alysen zufolge

 ??  ?? Die Hintergrün­de von Allergien, etwa auf Birkenpoll­en, sorgen in der Fachwelt nach wie vor für Debatten. Ein Übermaß an Hygiene könnte dafür ebenso verantwort­lich sein wie die Belastung durch Umweltgift­e.
Die Hintergrün­de von Allergien, etwa auf Birkenpoll­en, sorgen in der Fachwelt nach wie vor für Debatten. Ein Übermaß an Hygiene könnte dafür ebenso verantwort­lich sein wie die Belastung durch Umweltgift­e.

Newspapers in German

Newspapers from Austria