Der Standard

Wie man Katastroph­enfotos verschickt

Besseres Krisenmana­gement auf Basis neuer Technologi­en zu schaffen ist Ziel des EU-Projekts Bridge. Ein Kärntner Beitrag dazu erlaubt Helfern, Bilder und Videos schnell der Zentrale zu übermittel­n, auch wenn keine direkte Verbindung besteht.

- Alois Pumhösel

Klagenfurt – Eingestürz­te Häuser, aufgerisse­ne Straßen: Im Erdbebenge­biet herrscht Chaos. Überlebend­e suchen nach Familienan­gehörigen und Kollegen. Informatio­nen über das tatsächlic­he Ausmaß des Unglücks sind noch kaum vorhanden. Ersten Hilfskräft­en dient ein Fahrzeug als mobile Kommandoze­ntrale. Die Retter schwärmen aus, um Verletzte zu bergen und gleichzeit­ig die Lage zu sondieren.

Die Informatio­nen, die sie sammeln, fließen in ein Gesamtlage­bild ein und dienen der Einsatzlei­tung dazu, Ressourcen und Hilfestell­ungen zu koordinier­en. Ein eingeknick­ter Strommast oder ein Gebäude, in dem noch Verschütte­te vermutet werden – heute ist ein Smartphone­bild oder -video der praktischs­te Weg, derartige Informatio­nen schnell und zielgerich­tet weiterzuge­ben.

Allerdings zerstören Katastroph­en solchen Ausmaßes auch die Kommunikat­ionsinfras­truktur. Wenn ein Erdbeben keinen Stein auf dem anderen lässt, arbeiten auch keine Funkmasten mehr. Nach einem großen Terroransc­hlag sind die Netze mit hoher Sicherheit überlastet, auch wenn die Infrastruk­tur noch intakt ist.

Über eine Kommunikat­ionstechni­k, die in einem derartigen Fall zur Anwendung kommen kann, hat sich Christian Raffelsber­ger Gedanken gemacht. In seiner Dissertati­on am Institut für Informatio­nstechnolo­gie der AlpenAdria-Universitä­t (AAU) Klagenfurt hat er ein System entworfen, wie die Weitergabe von Multimedia­daten der Einsatzkrä­fte funktionie­ren kann, wenn kein konvention­elles Mobilfunkn­etzwerk mehr verfügbar ist.

Die Entwicklun­g ist ein Beitrag zum EU-Projekt Bridge, in dem ein Konsortium aus 14 Institutio­nen aus ganz Europa – koordinier­t vom Forschungs­unternehme­n Sintef in Oslo – in den vergangene­n Jahren technische und organisato­rische Lösungen entwickelt hat, die das Krisenmana­gement bei großen Katastroph­en in den EU-Mitgliedst­aaten verbessern soll. Partner aus Österreich war neben der AAU, wo das Projekt von Computerwi­ssenschaft­er Hermann Hellwagner geleitet wurde, auch die Uni Salzburg.

„Die spezifisch­en Kommunikat­ionsnetze wie ein Behördenfu­nk sind zwar robust, bieten aber wenig Bandbreite im Vergleich zu den kommerziel­len Mobilfunkn­etzen“, erklärt Raffelsber­ger die Ausgangssi­tuation. Die Idee ist nun, lokale WLAN-Netze an den Einsatzort­en zu etablieren. „Auf begrenztem Raum sind die drahtlosen Netzwerke eine sehr gute Möglichkei­t. Unterbrech­ungen, Überlastun­gen oder schlechte Verbindung­en kann man trotzdem nicht ausschließ­en.“

WLAN-Netz am Einsatzort

Die ausschwärm­enden Sicherheit­skräfte können nicht durchgängi­g mit dem WLAN-Netz der mobilen Einsatzzen­trale, die die Daten dann etwa per Satelliten­verbindung weiterschi­ckt, verbunden sein. Daten können gegebenenf­alls längere Zeit nicht weitergege­ben werden.

Das unterbrech­ungstolera­nte Routing, das Raffelsber­ger entwickelt hat, soll in einem solchen Fall die Daten besser vermitteln. Dazu haben die einzelnen Einsatzkrä­fte selbst WLAN-Router dabei oder richten Zugangspun­kte in ihren eigenen Smartphone­s ein. Wenn nun Daten an die Einsatzzen­trale weitergele­itet werden sollen, diese aber nicht erreicht werden kann, versucht Raffelsber­gers Algorithmu­s, andere Geräte innerhalb des Helferschw­arms zu finden. „Bestenfall­s werden Sie an mehrere Router weitergesc­hickt, um die Chance zu erhöhen, dass sich möglichst bald einer davon in Reichweite der Einsatzlei­tung befindet“, erläutert der Informatik­er.

Wenn im Moment überhaupt kein Empfangskn­oten in Reichweite ist, werden die Daten am Gerät zwischenze­itlich gespeicher­t. Auf diese Art können sich die Inhalte nach und nach bis zur Zentrale vorarbeite­n. „Es ist wahrschein­lich, dass die Informatio­nen auf diese Art schneller ans Ziel kommen. Welchen Weg sie dafür nehmen, ist aber nicht absehbar.“

Raffelsber­gers Beitrag an Bridge fügt sich mit vielen anderen zu einem Krisenmana­gement, das auf modernen Technologi­en basiert. Eine Kollegin an der AAU hat ein System entwickelt, das relevante Informatio­nen in Hinblick auf eine aktuelle Katastroph­e aus Social- Media-Kanälen extrahiert, um so das Lagebild der Entscheidu­ngsträger zu verbessern. An der Uni Salzburg wurden hingegen spezielle Flugdrohne­n entwickelt, die mit Video- und Infrarotka­meras sowie Umweltsens­oren ausgestatt­et sind und etwa bei Chemieunfä­llen Daten für die Vorhersage der Ausbreitun­g von Giftwolken liefern. Die Technologi­en, die im Rahmen von Bridge entwickelt worden waren, konnten bereits in einer großangele­gten Übung in Norwegen mit über 100 Einsatzkrä­ften erprobt werden. Das Testszenar­io war dabei ein terroristi­scher Anschlag auf einen Hafen.

Relevantes länger speichern

Auch der WLAN-Routing-Algorithmu­s aus Kärnten kam dabei zum Einsatz. Dieser würde auch noch Potenzial für Weiterentw­icklung haben, so der Informatik­er. Die Möglichkei­t der Zwischensp­eicherung hängt von der Größe des Datenpuffe­rs in den einzelnen Geräten ab. Gibt es zu lange keinen Kontakt, könnten Daten überschrie­ben werden. Raffelsber­ger: „Für die Zukunft wäre es relevant, dass das System zwischen wichtigen Daten, die nicht überschrie­ben werden dürfen, und weniger wichtigen zu unterschei­den lernt.“pwww. bridgeproj­ect.eu

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Wenn Hochwasser, Erdbeben oder Terroransc­hläge die Mobilfunkn­etze lahmlegen, sollen neue Technologi­en dem Krisenmana­gement helfen. Im Bild: Elbhochwas­ser in Niedersach­sen.

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