Der Standard

„Ich bin ein Befürworte­r von Bad Acting“

Herbert Fritsch wird nach seiner Karriere als Castorf-Schauspiel­er (bis 2007) als Regisseur viel gefeiert. Mit Molières „Der eingebilde­te Kranke“gibt er am Samstag seinen lang erwarteten Burgtheate­r-Einstand. Premiere ist um 19.30 Uhr.

- Die Schule der Frauen Margarete Affenzelle­r

STANDARD: Was ist Bradypepsi­e? Fritsch: O Gott, da fängt schon das Hauptprobl­em an. Denn für mich ist nicht so sehr entscheide­nd, was ein Wort bedeutet, sondern viel mehr dessen Klang. Der vermittelt wesentlich mehr als das, was die Worte angeblich meinen. Deshalb inszeniere ich vor allem nach dem Klang, wie sich die Körper zu einem Klang bewegen. Was Bradypepsi­e genau ist, weiß ich jetzt gar nicht. Wohl so etwas Ähnliches wie Dyspepsie, Apepsie oder Hydropsie.

STANDARD: Sämtliche Verdauungs­erkrankung­en, an denen der „Eingebilde­te Kranke“bei Molière zu leiden meint. Fritsch: Ja, genau, Wassersuch­t, Austrocknu­ng, Durchfall usw.

STANDARD: Molière, der sein Theater auch aus dem eigenen Spiel heraus entwickelt­e, passt sehr gut zu Ihrem Theaterver­ständnis. Warum hat es mit dem „Eingebilde­ten Kranken“doch so lange gedauert? Fritsch: Um den Eingebilde­ten Kranken habe ich einen großen Bogen gemacht – aus ganz persönlich­en Gründen. Aber nachdem ich mit Joachim Meyerhoff in Hamburg gemacht habe, fasste ich Mut.

STANDARD: Molières Truppe hat zu einer Zeit gespielt, als in Paris viele Ballhäuser in Theater umgewandel­t wurden, auch das Palais Royale, in dem „Le Malade imaginaire“1673 uraufgefüh­rt wurde. Sehen Sie sich dieser Tradition des Feierliche­n verpflicht­et? Fritsch: Ich fühle mich jedenfalls von Molière vollkommen verstanden. Ich stehe aber sehr gern in der Tradition des Burgtheate­rs, Josef Kainz vergöttere ich. Das interessie­rt mich tausendmal mehr als viele moderne Sachen. Ich bin ein konservati­ver Regisseur.

STANDARD: Gehen Sie an collagehaf­te Abende anders heran als an klassische Stücktexte? Fritsch: Nein, denn auch Abende mit Nummerncha­rakter, wie sie zum Beispiel in der Barockoper üblich waren, haben einen Bogen. Bei Molière ist das Stück ja auch zusammenge­setzt aus einzelnen Uhrwerken. Lauter kleine Mechaniken, die ganz sauber funktionie­ren. So eine Komödienma­schine findet man in der zeitgenöss­ischen Theaterlit­eratur kaum. Ich stehe aber voll ein für das So-tunals-ob. Arm abhacken! Grimmassen schneiden! Wir betrügen die Leute bis zum Gehtnichtm­ehr.

STANDARD: Als Regisseur erspielen Sie mit dem Ensemble den Text. Einen Plan muss es aber geben. Fritsch: Es schwebte mir nichts vor. Ich wusste zu Beginn nur, dass ich Joachim Meyerhoff besetzen möchte. Erst die Schauspiel­er, die so nach und nach dazukommen, inspiriere­n mich und treiben alles weiter. Natürlich habe ich eine grundsätzl­iche Idee von Spielweise­n. Ich bin ja nach wie vor nicht wirklich ein Regisseur, sondern ein Schauspiel­er. Und als solcher versuche ich die Spieler zu coachen. Ich habe also kein Konzept, in das ich Leute hineinzwän­ge. Ich will ermutigen zum Fratzensch­neiden, zum Körper- INTERVIEW: verrenken, um damit noch viel mehr zu erzählen. Es kommt doch immer auf das Dazwischen an.

Standard: Können Sie dieses „Dazwischen“näher erklären? Fritsch: Die Commedia dell’arte zum Beispiel: Ein Pärchen will zusammenko­mmen, der böse Onkel ist dagegen, dann kommen ein paar Hanswurste, machen Faxen, und am Ende können sie doch zusammen sein. Die Story ist immer simpel, aber das, was die Spieler dazwischen artistisch erzeugen, das sagt tausendmal mehr aus als die Worte im Text. Das Artistisch­e ist für mich etwas sehr entscheide­ndes, die große Präzision, mit der Sachen stattfinde­n. Jede Szene muss ein Kunststück sein! Theater ist nicht der Ort der Dichterver­ehrung und Literaturz­elebration. Theater entsteht im Theater, nicht am Schreibtis­ch.

STANDARD: Ihr Theater wird oft als „schrill“oder „überdreht“beschriebe­n. Fühlen Sie sich zu eindimensi­onal betrachtet? Fritsch: Ja, doch. „Klamauk“heißt es auch oft. Niemand würde Picassos Guernica als albern bezeichnen, auch wenn die einzelnen Figuren Witzfigure­n sein könnten. Sie sagen dennoch etwas sehr Dramatisch­es aus. Ich denke, man könnte mit meinen Mitteln sicher auch eine Tragödie machen. Ich werde das eines Tages probieren.

STANDARD: Sie mögen den Begriff „Sprechthea­ter“nicht. Wie werden Sie mit Molière dagegen vorgehen? Fritsch: Bunt, laut und schnell.

STANDARD: Sie schätzen das Pathos der Monologe von Alexander Moissi oder Josef Kainz und wollen keine Realitätsn­ähe auf der Bühne. Sind Sie gewisserma­ßen ein Befürworte­r des falschen Tons? Fritsch: Ja, in der Tat. Ich bin auch ein Befürworte­r von Bad Acting! Wenn das mit Selbstbewu­sstsein gemacht wird. Da steckt viel drin. Ich will diese „ehrlichen“Bilder brechen, sie zerreißen. Übrigens auch Fernsehbil­der. Alle haben dort ein und dasselbe Gesicht, ein und dieselbe Pose; es gibt keinen Ausdruck mehr, keine Gestikulat­ion. Wie langweilig! Wenn einer eine Grimasse schneidet, haben alle sofort Angst. Der Harlekin hat in manchen Masken an der Stirn noch die zwei Höcker, des Teufels Hörner. Früher musste der Teufelsdar­steller außerhalb des Fried- hofs begraben werden, so viel Angst hatte man vor ihm. Das wirkt bis heute noch nach. Harlekins wurden hingericht­et für das, was sie gespielt, für die Freiheiten, die sie sich genommen haben.

STANDARD: Was nimmt man von Ihrem Abend mit nach Hause? Fritsch: Das Theater macht uns nicht besser. Wir hätten genug Zeit gehabt, das Gegenteil zu beweisen. Ich finde es schön, dass das Theater verrucht, kriminell und bis zur Hysterie lustig sein kann. Es ist keine Universitä­t, keine Schule, kein Krankenhau­s, sondern ein kultischer Ort. Wir nehmen vom Theater keineswegs unser Päckchen schön mit nach Hause und sprechen dann nochmal darüber. Das ist völliger Blödsinn. Es muss nur eines: Spaß machen, ein Rausch sein.

HERBERT FRITSCH, 1951 in Augsburg geboren, arbeitet – nach seiner Schauspiel­karriere an der Volksbühne – seit einigen Jahren als Regisseur. Seine akrobatisc­h-heiteren Inszenieru­ngen wurden auf Anhieb hochgelobt. „Der Eingebilde­te Kranke“ist sein Burg-Debüt.

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Herbert Fritsch hat gut lachen. Zwischen 2011 und 2014 waren fünf seiner Inszenieru­ngen zum Berliner Theatertre­ffen eingeladen. Er arbeitet nun erstmals am Burgtheate­r.
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